: Die große taz-Sehnsucht
Die Untersuchung oder Der Untergang des Hauses Kohl, Teil 13
Gossel stand im „Exil“ und sah an sich hinab, er wurde immer dicker. Da prostete ihm einer zu, klopfte eine zusammengerollte taz gegen Gossels Bauch, begann mit großer Geste loszulegen:
„Am Anfang, ganz am Anfang, mein Lieber, waren die Menschen Kugeln. Sie rollten und tollten herum und scheibten sich durch Leben. Doch die runden Urmenschen, da sie es nicht besser wussten, neigten auch zur Sünde, also ging Gott her und sagte: ‚Wenn ihr schweindi, schweindi, ich euch hacki, hacki auseinand.‘ Da waren die Kugelmenschen tief betroffen und sagten: ‚Tschuldi, net bös sei, versprochi.‘
Aber kaum hatte Gott sich umgedreht, waren die Kugelmenschen gemäß ihrer Veranlagung schon wieder dabei, mit sich selbst Unzucht zu treiben. Also blieb Gott über kurz oder lang gar nichts anderes übrig, als sie zu zerhacken. ‚Sagi hacki, hacki, wenn i sag.‘
Von jetzt an lebten die einzelnen Menschenhälften zerrissen und geteilt, stets auf der Suche nach ihrem Gegenüber. War es anfangs noch leicht, sich zu finden, so wurde es im Laufe der Zeit komplizierter und komplizierter. Nun hat die Erde mittlerweile Milliarden von Menschen, was es fast unmöglich macht, sein Gegenüber wieder zu finden. Also ist es nur verständlich, dass die Menschen auf andere Art versuchen, ihre verloren gegangene Idealität wiederherzustellen. Die Frauen werden schwanger, die Männer trinken sich einen Bierbauch an. Die enorme Verbreitung des Bierbauchs zeigt an, was für eine Sehnsucht hier herrscht. Sehnsucht nach Liebe, Sinn, Geborgenheit und einer Zeitung wie der taz. Spart sich jeder ein paar Gramm vom Bauch herunter, braucht der Finanzgott nicht ‚hacki, hacki auseinand‘, kann sie leben, unsere taz.“
So einfach war das, staunte Gossel, bestellte sich nun keinen Schnaps, sondern ging das Geld dafür gleich überweisen. Das war gut für die Figur, gut für die taz.
FRANZOBEL
Franzobel, geboren 1967, lebt als Schriftsteller in Wien und Argentinien. Zuletzt erschienen „Scala Santa oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt“ (Zsolnay) und „Sony Monster lebt“ (Ritter)
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