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Punkten mit der Putztruppe

Alle haben etwas davon: Die Presse macht Auflage, und der grüne Außenminister kann in Ruhe seinen Auftritt beim Opec-Prozess vorbereiten

von STEFFEN GRIMBERG

„Joschka Fischer überrascht die Öffentlichkeit mit einem späten Geständnis“, titelt die Welt und machte sich auf einer ganzen Seite über das Interview des Außenministers mit „den Männern vom Stern“ her. Springers Welt ist bis hierher noch in Ordnung, auch wenn der Artikel von der Schreibe her eigentlich in die Bild gehört hätte: „Joschka Fischer wusste von diesen Fotos. Sie sind bald 30 Jahre alt und trotzdem topaktuell. (...) Er stritt nichts ab, es hätte keinen Sinn gehabt.“

Doch Bild gibt sich friedlich-staatstragend: Über „Fischers Sturm und Drang“ schreibt onkelhaft Peter Boenisch in einem gegen alle Gewohnheit fast 40 Zeilen langen Kommentar: „Fischer war, wie er war, und er ist, wie er ist. Heute entscheiden allein seine diplomatischen Ergebnisse und nicht die Bilder aus einer beiderseits gewalttätigen und hasserfüllten Vergangenheit.“ Und wo die Welt Fischers „linksradikale Vergangenheit“ geißelt, steht auf der Seite eins des Massenblattes nur etwas von einer „Vergangenheit mit gewalttätigen Entgleisungen“.

Was Fischer „den Männern von Stern“ nun gesagt hatte, liest sich über weite Strecken wie ein bestelltes Interview: Mitte Januar muss der Außenminister im Prozess gegen Hans-Joachim Klein aussagen, spätestens dann wäre seine Rolle in der Frankfurter Hausbesetzerszene Mitte der 70er-Jahre – in diversen Veröffenlichungen breit dokumentiert – wieder aufgerollt worden. Zur Nach-vorne-Verteidigung also das Gespräch mit der Illustrierten, nicht mit dem gleichfalls in Sachen Sponti-Fischer recherchierenden Nachrichtenmagazin aus Hamburg. Vorsichtig, geradezu nett wird beim Stern gefragt: „Wie würden Sie denn heute Ihre Rolle in den 70er-Jahren beurteilen? Da bewegten Sie sich im Grenzbereich von Straßenprotest und beträchtlicher Militanz.“ Fischer: „Das war nicht nur im Grenzbereich, da gibt es nichts schönzureden. Ja, ich war militant. Den bewaffneten Kampf habe ich aber immer abgelehnt und heftig politisch bekämpft.“

Die Springer-Blockade am Ostermontag 1968 in Frankfurt war ein Wendepunkt für Fischer. Damals habe er von der Polizei „furchtbare Dresche“ gekriegt, danach „begann ich mich zu wehren und nicht mehr wegzulaufen“. Neu sind die Erkenntnisse über die „Putztruppe“ und ihr prominentestes Mitglied („Wir haben Steine geworfen“) nicht, einigermaßen neu sind allein die Fotos, die Stern wie Bild von der Frankfurter Journalistin Bettina Röhl gekauft haben. Sie habe die damals teilweise in der FAZ erschienenen Bilder des Frankfurter Fotografen Lutz Kleinhans bei den Recherchen zu ihrem Apo-Buch „Sag mir, wo Du stehst“ gefunden, schreibt Röhl auf ihrer Internetseite (www.bettinaroehl.de). Und Fischer dementiert im Interview keineswegs, der Mann mit dem schwarzen Motorradhelm zu sein: „Was sieht man auf diesen Fotos? Wahrscheinlich war es die Situation, an die ich mich erinnere. Da waren wir damals am Weglaufen nach einer Demonstration in Bornheim, die gewaltsam aufgelöst wurde.“ Nachfragen zum Rest der Fotoserie, bei der ein Polizist in die Mangel genommen wird, bleiben aus. Dem Stern geht es eher um Fischers Wandlung: „Heute vertreten Sie dieselbe Ordnung, die Sie damals militant attackierten. Wie erklären Sie das einem jungen Menschen, der die Apo-Zeit nur aus Büchern kennt?“ Fischer: „Vietnam, Notstandsgesetze, der Mordanschlag auf Rudi Dutschke, der Kontinuitätsverdacht zwischen NS-Staat und Bundesrepublik. Wir hatten Feindbilder im Kopf. Wir sind auf viel Hass gestoßen, als wir gewaltfrei demonstriert haben.“ Und beinahe die gesamte zweite Hälfte des Interviews (Stern:„Machen wir einen harten Schnitt und kommen wir zur Gegenwart“) wendet sich Fischers Erfolgsbilanz der rot-grünen Koalition und Spekulation über schwarz-grüne Bündnisse zu.

Was den Stern zum Liebesdienst an Fischer – und zur Zahlung einer offenbar stolzen Summe für die Röhl-Fotos – bewogen hat, bleibt unklar. Immerhin hat es das angeschlagene Blatt geschafft, den Spiegel unter Zugzwang zu setzen. Dort, so ist zu hören, lässt man seit einem halben Jahr im Frankfurter Milieu recherchieren. Pünktlich zur Fischer-Aussage im Opec-Prozess am 15. Januar sollte die Geschichte ins Blatt. Jetzt ist eine Woche weniger Zeit, und schon für den kommenden Sonntag hat „Spiegel TV“ Experten zur Frankfurter Spontiszene der 70er-Jahre nach Hamburg eingeladen. Vielleicht fordert ja der Spiegel, wozu sich gestern nicht einmal die Welt-Leitartikler hinreißen lassen wollten: Fischers Rücktritt.

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