: Ein Senator sieht rot
Auf einen Journalisten, der in der Antifa-Szene recherchierte, setzte Eckart Werthebach (CDU) trotz Zeugnisverweigerungsrecht den Staatsschutz an
von PLUTONIA PLARRE
Im Kampf gegen autonome antifaschistische Gruppen schreckt Innensenator Eckart Werthebach (CDU) vor nichts zurück: Auf einen Journalisten, der ein Interview mit einem Aktivisten der Antifa geführt hatte, setzte er den polizeilichen Staatsschutz an. Ziel der Aktion, in die auch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde, war es, den Reporter zur Herausgabe seiner Gesprächsprotokolle zu bewegen. Der Mann berief sich jedoch auf das Zeugnisverweigerungsrecht, das Journalisten nach Paragraf 18 des Berliner Pressegesetzes und der Strafprozessordnung zusteht.
Der freie Journalist Peter Kessen arbeitete an einem Hörfunkfeature für den Südwestrundfunk. Das Thema der Sendung: Die Antifa-Szene in Berlin. Im Rahmen seiner Recherche hatte er zunächst Anhänger der Antifa interviewt. Einer seiner Gesprächspartner erklärte dabei wörtlich: „Herr Werthebach ist jemand für mich, der bekämpfenswerter ist als alle Nazis zusammen, weil er mit seiner Politik dafür sorgt, dass wir zum Beispiel weiter kriminalisiert werden.“ Den genauen Verlauf des Gespräches hat Kessen auf Band.
Mit diesem Zitat konfrontierte der Journalist später den Innensenator, den er gleichfalls zum Thema Antifa befragte. „Die Aussage“, erinnert sich Kessen, „schien Werthebach nicht zu überraschen.“ Im Lauf des Gespräches habe sich der Innensenator jedoch zunehmend ereifert. „Er zitierte so genannte Mordoptionen gegen Neonazis aus der Autonomen-Zeitung Interim und konstatierte, der Rechtsstaat müsse seinen Feinden auch mit Illiberalität begegnen können.“ Kessen habe eingewendet, dass die Antifa nicht nur aus Linksextremisten im Sinne des Verfassungsschutzes zusammengesetzt sei, sondern auch aus Teenagern, die möglicherweise Erfahrungen mit Rechtsextremisten gesammelt hätten. Doch darauf sei Werthebach nicht eingegangen.
Einen Tag später rief der Staatsschutz bei Kessen an: Man ermittle wegen einer Morddrohung durch die Antifa. Herr Werthebach habe Strafanzeige gegen unbekannt erstattet, erfuhr der Journalist zu seinem Erstaunen. Ob er bereit sei, ihm die entsprechenden Passagen seines Interviews mit der Antifa zuzufaxen, wollte der Staatsschutzbeamte wissen. Kessen verneinte mit dem Hinweis, der Vorwurf komme ihm vollkommen absurd vor. Doch der Staatsschutz gab keine Ruhe. Eine halbe Woche später eröffnete ein Beamter dem Journalisten am Telefon, der Fall werde nun an die Staatsanwaltschaft weitergegeben.
Kessen ging in die Offensive und rief bei der Staatsanwaltschaft an. Er wurde mit einem für politische Straftaten zuständigen Oberstaatsanwalt verbunden, der sich erst sachkundig machen musste. Wenige Stunden später kam der Rückruf. Den Verlauf des Gespräches fasst Kessen wie folgt zusammen: Der Staatsanwalt habe ihm empfohlen, einem Besuch des Chefs des Staatsschutzes zuzustimmen, um gemeinsam mit diesem das entsprechende Interview-Band abzuhören. Diese Praxis käme bei Berliner Journalisten häufiger vor. Journalisten, die sich weigerten, würden keine Informationen mehr bekommen, drohte der Oberstaatsanwalt.
Kessen versicherte, dass im Interview mit den Antifas „nachweislich“ keine Straftaten propagiert würden. Auch Werthebach habe in dem Gespräch mit ihm kein einziges Mal das Wort Morddrohung erwähnt, begründete er seine Weigerung, die Kassetten dem Staatsschutz vorzuspielen. „Als Journalist bin ich verpflichtet, keine Straftaten zu decken, aber auch meine Quellen und Interviewpartner zu schützen.“ Der Oberstaatsanwalt habe das Gespräch daraufhin für beendet erklärt. Vorher setzte er aber noch einmal die Daumenschrauben an: Er drohte mit der Möglichkeit einer Hausdurchsuchung und eines Ermittlungsverfahrens wegen Verschleierung von Straftaten.
Seit dem 4. April hat Kessen nichts mehr von den Ermittlungsbehörden gehört. Vielleicht liegt das daran, dass er einen Anwalt eingeschaltet hat, der sich beim Generalstaatsanwalt des Landgerichts über das Verhalten des Innensenators, des Staatsschutzes und des Oberstaatsanwalts beschwerte. Kessen sei absolut berechtigt, das Zeugnis über seine Eigenrecherchen zu verweigern. Aus dem Kontext des Interviews gehe eindeutig hervor, dass es sich bei der Äußerung des Antifa-Gesprächspartners um keine Morddrohung sondern um eine politische Beurteilung des Wirkens des Innensenators handele, argumentiert der Anwalt. Zudem habe der Antifa-Gesprächspartner deutlich zu erkennen gegeben, dass er politische Morde für illegitim halte. Die entsprechende Passage des Interviews mit dem Antifaschisten wird in dem Anwaltsschreiben wörtlich zitiert: „Ich denke, dass völlig klar ist, und das hat es auch noch nicht gegeben, dass Linke bei Angriffen auf Rechte die mit Absicht umgebracht haben. Das ist noch nie passiert so. Und ich möchte auch nie diese Verantwortung auf mich laden.“
Eine Justizsprecherin erklärte gegenüber der taz, es werde wegen Bedrohung zum Nachteil des Innensenators ermittelt. Gegenwärtig werde geprüft, ob anlässlich eines Interviews strafrechtlich relevante Äußerungen eines Mitglieds der Antifa gemacht worden sind. Das Verfahren richte sich gegen unbekannt. Der Journalist werde nicht als Beschuldigter geführt.
Bleibt die Frage, was den Innensenator zu dem Vorgehen bewogen hat. Aus seinem Hause war mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen keine Stellungnahme zu erhalten. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, hält eine Mischung aus Überempfindlichkeit und knallhartem politischem Kalkül für denkbar: „Möglicherweise wollte sich Werthebach eine Argumentationshilfe für ein Vorgehen gegen die Autononen-Demonstration am 1. Mai sichern.“ Klar ist für Wieland eines: „Der Druck auf den Journalisten zur Preisgabe von Informationen ist absolut unzulässig.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen