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kampagne gegen fischerViertklassige Beerdigung

Falls sich nicht alle gewöhnlich gut informierten Kreise getäuscht haben, wird das Ermittlungsverfahren gegen Joschka Fischer wg. Falschaussage in Sachen Beherbergung von Terroristen im Frankfurt der 70er-Jahre heute eingestellt. Damit wird eine Kampagne gegen den Außenminister und mit ihm stellvertretend gegen die Generation der 68er-Aktivisten viertklassig begraben. Es gibt keine „Wende der Wegzeichen“. Der Versuch, die damalige radikale Linke unter den Generalverdacht des Terrorismus zu stellen, ja sogar der Gleichung Rot = Braun zu einem späten Sieg zu verhelfen, ist schmählich gescheitert. Warum?

Kommentarvon CHRISTIAN SEMLER

Bestimmt nicht wegen der 68er, die angeblich übermächtig in den Medien nisten und den Anschlag der Rechtskonservativen zum Scheitern brachten. So viele 68er-Wachhunde und Interpretationskönige gibt’s in den Medien nicht, nicht einmal bei der taz. Vielmehr wurden die Anstrengungen der CDU durch die Demoskopen frustriert, die Woche für Woche Fischers unangefochtene Beliebtheit konstatieren. Und wie wir wissen, kommen Umfragen nicht nur bei Christdemokraten einem Urteil Gottes gleich. Die Befragten nehmen Fischers Militanz in den 70er-Jahren als interessante Episode im Leben eines Politikers, der seit langem keinen Zweifel daran lässt, dass er das Grundgesetz ebenso bejaht wie die Verfassungswirklichkeit der Republik. Und schließlich gab es ja damals genügend Grund zur Randale.

So erfreulich dieses Ergebnis in „geschichtspolitischer“ Hinsicht ist, so zweischneidig wird es, wenn man die außer Gebrauch geratene Elle der Aufklärung anlegt. Die Diskussion der vergangenen Monate war auf die „Militanz“ damaliger Demonstranten eingeengt. War es, wenn nicht legitim, so doch heute entschuldbar, wenn in den 70er-Jahren gegen die Polizei zu Steinen und Knüppeln gegriffen wurde? Außen vor bleibt in der Regel die Frage, warum Fischer und viele andere damals zu Streetfightern wurden, wofür sie eintraten, wogegen sie kämpften und ob der Streit von damals wirklich in allen Punkten erledigt ist. Es geht also um Bruch und Kontinuität. Für Fischer ist die Sache klar: Für ihn existiert nur der Bruch. Ein Blick auf unseren Parteienstaat oder, noch einfacher, auf den Zustand der Weltwirtschafts-„Ordnung“ würde die Kontinuitätslinien der damaligen mit den heutigen Kämpfen zutage fördern. Bruch und Kontinuität – diese Dialektik wird uns weiter beschäftigen, nachdem der Sargdeckel über der CDU-Kampagne zugeknallt ist.

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