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„Auf Warnungen ist nicht gehört worden“

SPD-Landeschef und Bausenator Peter Strieder fordert vom Regierenden Bürgermeister Vorschläge zur Lösung der Finanzkrise der Stadt: „Wenn es die nicht gibt, dann hat diese Koalition keine Legitimation mehr.“ Bei der Bankgesellschaft habe „ein ausgeklügeltes System der Verschleierung“ geherrscht

Die Legitimation der Koalition kann nur darin bestehen, die Stadt kraftvoll zu führen

Interview ROBIN ALEXANDER, ROLF LAUTENSCHLÄGER und ANDREAS SPANNBAUER

taz: Herr Strieder, wann reden Sie mit Gerhard Schröder über den Ausstieg aus der großen Koalition in Berlin?

Peter Strieder: Über die Zukunft der großen Koalition entscheiden wir in Berlin. Die Bundesebene hält sich aus solchen Entscheidungen grundsätzlich heraus.

Glauben wir Ihnen nicht.

Die SPD-Spitze wird von uns informiert, wenn wir das für sinnvoll halten.

Wie hoch liegt die Hürde für den Ausstieg aus der Koalition?

Die Bankenkrise hat zu einem weiteren Vertrauensverlust in die Politik insgesamt geführt. Ziel der SPD ist es, diese Krise zu lösen. Wir sind nicht bereit, das Wegducken der CDU hinzunehmen. Ich sage sogar ganz deutlich: Es ist Schluss mit Durchwursteln. Eberhard Diepgen und die CDU müssen sich von der Politik der homöopatischen Dosen verabschieden.

Wir können nicht einfach so vier Milliarden Neuverschuldung für die Bank und zwei Milliarden für die Vermögensaktivierung aufnehmen, wenn wir nicht gleichzeitig sagen, wie wir diese Belastung bewältigen wollen. Wir erwarten von der CDU, dem Finanzsenator und dem Regierenden Bürgermeister klare Vorschläge. Wenn es die nicht gibt, dann hat diese Koalition keine Legitimation mehr.

Ist das nicht längst der Fall?

Die Legitimation einer großen Koalition kann in so einer schwierigen Situation nur darin bestehen, die Stadt kraftvoll zu führen. Wenn man dazu nicht gemeinsam in der Lage ist, gibt es sie nicht mehr.

Was soll Diepgen tun?

Diepgen tut so, als seien die sechs Milliarden durch einen Anruf bei der Bank erledigt. Er will die Dimension des Desasters durch buchhalterische Tricks vertuschen. Die CDU geriert sich, als hätten wir dieses Jahr kein Problem; und was nächstes Jahr kommt, darüber denken wir nächstes Jahr nach. Das machen wir nicht mit.

Die Opposition fordert Neuwahlen und droht mit einem Volksentscheid.

Wir sind in der Regierung, und es ist unsere Pflicht, verantwortlich zu handeln. Alles andere sind Oppositionsstrategien.

In der Koalition stimmt aber doch der Sex nicht mehr ...

Sexy war die große Koalition noch nie.

... da ist es doch legitim, über Alternativen nachzudenken.

Wir sind eine Regierung, die über eine satte Mehrheit im Parlament verfügt. Diese Regierung hat die Aufgabe, die finanziellen Probleme endlich anzugehen. Darin läge ja der Charme einer großen Koalition: schmerzhafte Entscheidungen zu treffen und gemeinsam zu vertreten. Wir erwarten vom Koalitionsausschuss am Mittwoch klare Ergebnisse.

Haben Sie Angst vor Neuwahlen und einem Lagerwahlkampf?

Wir haben gesagt, dass wir Neuwahlen nicht scheuen, wenn sie denn sein müssen. Das gilt nach wie vor.

Ist der jetzige Senat nicht fachlich ungeeignet, weil er die Katastrophe nicht bemerkt hat, bevor es zu spät war?

Das Versagen von hoch bezahlten Managern ist nicht das Versagen des Senats. Ich persönlich bin seit sieben Monaten im Aufsichtsrat der Landesbank. Die Protokolle zeigen mir, dass sowohl die politischen Vertreter als auch die der Industrie in den vergangenen Jahren gerade zu dem umstrittenen Immobilienkomplex beharrlich Fragen gestellt haben.

Ich habe den Eindruck, dass es in den Teilbanken der Bankgesellschaft ein ausgeklügeltes System der Verschleierung von Wahrheiten gegeben hat. Die Aufsichtsräte wie auch die Bankenaufsicht können nur auf der Basis der Berichte der Wirtschaftsprüfer Fragen stellen. Wenn behauptet wird, es ist überall ausreichend Vorsorge getroffen worden, muss man sich darauf verlassen. Das hat nichts mit dem Aufsichtsratsmandat von Politikern oder dem öffentlich-rechtlichen Charakter der Bank zu tun. Es liegt an der Qualität und dem Wollen der Manager.

Könnte das Verteidigungsplädoyer von Diepgen sein.

Natürlich ist die Politik verantwortlich in dem Sinne, dass die Banken zu einem erheblichen Teil dem Land Berlin gehören. Das muss aber von der persönlichen Schuld der Manager unterschieden werden. Hier müssen Regressforderungen, Pensionsansprüche und strafrechtliche Ermittlungen überprüft werden.

Niemand versteht die Weigerung des Senats, für das Desaster die Verantwortung zu übernehmen. Das Ziel Ihrer Koalition, die Haushaltssanierung, können Sie doch abschreiben.

Die Frage der politischen Verantwortung muss jeder für sich persönlich stellen und beantworten. Die Krise der Bankgesellschaft hat viele Ursachen. Sie hat etwas mit den Problemen auf dem Immobilienmarkt zu tun und mit dem verantwortungslosen Handeln einzelner Manager. Sie hat auch zu tun mit der Strategie der Bank, möglichst schnell möglichst viel zu wachsen. Dabei hat man Kredite übernommen, die andere Banken wegen fehlender Sicherheiten längst abgelehnt haben. Auf Warnungen aus den Banken selbst ist nicht gehört worden.

Wie kann die Bank saniert werden?

Wir müssen Partner finden, die einen Teil der notwendigen Einlagen übernehmen. Möglicherweise muss sich sogar der Eigentümer Berlin ganz zurückziehen und die ganze Bankgesellschaft verkaufen.

Ist ein Verkauf sinnvoll?

Jedenfalls schließe ich das nicht aus. Auf jeden Fall muss das Land auf lange Sicht erhebliche Anteile verkaufen, um den jetzt notwendigen Kapitalbedarf refinanzieren zu können. Die vier Milliarden Mark, die wir in die Bank einschießen, müssen durch eine vorübergehende Kreditaufnahme beschafft werden. Wenn die Bank konsolidiert ist, muss das Geld durch ihren Verkauf wieder eingenommen und die Schulden zurückgezahlt werden. Das bedeutet aber, dass für jede Milliarde Mark Kredit 50 Millionen Zinsen gezahlt werden müssen. Das belastet ganz konkret die Berlinerinnen und Berliner. Unsere Aufgabe ist es, diese Belastung effektiv und sozial gerecht zu organisieren.

Der CDU-Haushaltsexperte Alexander Kaczmarek fordert die völlige Privatisierung.

Es gibt im Senat niemanden, der sich bisher als Unternehmensberater für Bankkonzerne in einer Krise bewährt hat. Ich bin deswegen nicht so vorlaut wie Herr Kaczmarek. Wir müssen im Rahmen der Bankgeschäfte noch einiges klären. Die Antwort auf die Frage, ob man gänzlich auf ein öffentlich-rechtliches Bankensystem in Berlin verzichtet, kann man sich nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln. Für Entscheidungen aus dem Bauch ist die Bankgesellschaft zu wichtig.

Wann wird der Senat einen Partner für die Bankgesellschaft gefunden haben?

Der Finanzsenator will durch einen strategischen Partner die Belastungen für den Landeshaushalt möglichst gering halten. Ich verstehe meine Verantwortung umfassender. Die Frage der Sicherung von Arbeitsplätzen bei der Bank und des Finanzplatzes Berlin spielen eine wichtige Rolle. Es besteht die Gefahr, dass wir umso mehr Vermögen des Landes vernichten, je schneller wir die Bank verkaufen. Deswegen kann ich heute nicht sicher sagen: Es ist richtig, binnen sechs Wochen zu einer Entscheidung zu kommen. Bei einer Konsolidierung und einem anschließenden Verkauf der Bank könnten die Einnahmen deutlich höher sein.

Die Opposition fordert eine Entflechtung der Bankgesellschaft.

Die große Gefahr bei einer Entflechtung ist, dass die Rosinen rausgepickt werden und das Land Berlin auf den Risiken sitzen bleibt. Das größte Interesse besteht an der Sparkasse, weil die mit 60 Prozent Marktzugang ein üppiges Kundenpotenzial hat.

Welche neuen Erkenntnisse bringen die Prüfberichte der Bankenaufsicht?

Es spricht vieles dafür, dass die Verantwortlichen innerhalb der Teilbanken eher außergewöhnliche Bearbeitungsmethoden an den Tag gelegt haben. Die Bankenaufsicht hat den geschassten Vorstandsmitgliedern fehlende Zuverlässigkeit attestiert. Das ist ein erster Hinweis darauf, dass sie sich nicht so verhalten haben, wie man das im Bankenbereich erwartet.

Diepgen und die CDU müssen sich von der Politik der homöopatischen Dosen verabschieden

Was bedeutet die Krise wirklich für Berlin?

Wir müssen zusätzlich 600 Millionen Mark jährlich einsparen. Die Zinsen für die erhöhte Neuverschuldung, immerhin 300 Millionen, können wir nicht auch noch über Kredite finanzieren. Das heißt, es sind ganz erhebliche Einsparungen notwendig. Man muss diese Maßnahmen jetzt treffen, statt sich der Realität zu verweigern und zu sagen: Niemand darf belastet werden. Im Haushalt 2002 fehlen zwischen 1,5 und 2 Milliarden. Wir erwarten vom Finanzsenator und dem Regierungschef, dass sie jetzt strukturelle Vorschläge zur Haushaltskonsolidierung vorlegen, damit diese ab 2002 wirksam werden können.

An welche Maßnahmen denken Sie?

Die Berliner Polizei hat mit 2.000 Personen den größten Verwaltungsapparat, an dem gespart werden könnte, ohne die eigentlichen Polizeiaufgaben zu gefährden. Die Büros für die Verwaltung müssen nicht in den teuersten Lagen der Stadt sein. Auch die Frage nach einem effektiveren Einsatz von EU-Fördergeldern, der Opernreform und der Einstellung von Lottomitteln in den Haushalt stellt sich. Wir müssen außerdem darüber nachdenken, welche Investitionen verzichtbar sind. Straßenbau und Straßenbahnprojekte müssen ebenso wie die U 5 oder Neubauten für Krankenhäuser überprüft werden.

Ist es sozialdemokratische Politik, Spekulationsverluste einer Bank bei den kleinen Leuten zurückzuholen?

Zunächst einmal ist es sozialdemokratische Politik, die 16.000 Arbeitsplätze dieser Bank zu erhalten und die Sparer vor Auswirkungen zu schützen. Es ist unerträglich, dass die Berliner für das Missmanagment von Landowsky und Co. büßen müssen. Aber es hilft auch nichts, jetzt die Augen zu verschließen. Auch die U 5 kann nur einmal gestrichen werden. Es wird andere Maßnahmen geben müssen, etwa bei der Infrastruktur der Stadt, bei Bädern oder Kultureinrichtungen, die die Menschen unmittelbar spüren.

Niemand wird einsehen, warum er sparen soll und gleichzeitig für die Bankgesellschaft Milliardendefizite akzeptiert werden.

In einem ersten Reflex ist es doch ganz natürlich, zu sagen, wer für diese Bank 300 Millionen Zinsen ausgeben kann, der kann auch noch einmal 30 Millionen Zinsen bezahlen, um alle Fußballplätze zu sanieren. Wenn man das machen würde, dann hätte die Politik ihre Existenzberechtigung verloren. Der Sparkurs ist umso notwendiger, je schwieriger die Situation des Landes ist.

Muss der Bund einspringen?

Es wird nicht so sein, dass wir uns um das Reichstagsgebäude mit dem Hut hinstellen können und ein Notopfer Berlin fordern. Es gibt allerdings teilungsbedingte Sonderlasten, deren Übernahme Helmut Kohl verweigert hat, etwa beim sozialen Wohnungsbau. Man hat Berlin auf diesen gemeinsam aufgebauten Sonderlasten sitzen lassen. Hier muss Berlin geholfen werden. Das hat nichts mit Haushaltsnotlage, sondern mit deutscher Geschichte zu tun.

Wo stehen die großen Einschnitte bevor? Was ist mit den städtebaulichen Entwicklungsgebieten, der Messe und dem Großflughafen?

Die städtebaulichen Entwicklungsgebiete müssen überprüft werden. Manche Projekte sind aber so weit fortgeschritten, dass wir sie nicht einfach einstellen können, um bisherige Investitionen nicht zu entwerten. Für den Ausbau der Messe wird Berlin nichts bezahlen, sondern lediglich die Grundstücke zur Verfügung stellen. Auch den Großflughafen werden wir nicht finanzieren. Das Privatisierungsverfahren muss nur schnell abgeschlossen werden.

Zurück zum Thema Koalition: Gibt es Alternativen zur großen Koalition in der Bevölkerung und in der SPD-Wählerschaft überhaupt Mehrheiten?

Diese Frage wird dann beantwortet, wenn sie sich stellt. Im Moment müssen wir mit der großen Koalition die Krise bewältigen. Die Klassiker sagen: Die Verhältnisse suchen sich ihre Mehrheiten.

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