: Ein ewiger Zankapfel
Nach dem Abschluss der Osloer Verträge über eine palästinensische Autonomie wurde das Orienthaus zum Streitpunkt
von THOMAS DREGER
Dieser Schlag trifft die Palästinenser härter als Raketen: Seit gestern Nacht weht über dem Orienthaus in Ostjerusalem die israelische Fahne. Die palästinensische Selbsverwaltungsbehörde verliert damit ihr inoffizielles Außenministerium.
Um 2.00 Uhr früh, 15 Stunden nach dem Selbstmordanschlag eines Palästinensers in einer Pizzeria in Westjerusalem, stürmten israelische Soldaten das Gebäude, verhafteten einige Wächter, beschlagnahmten Materialien und erklärten die Einrichtung für geschlossen. Bei Tagesanbruch blockierten Dutzende schwer bewaffnete Polizisten die Zufahrtsstraßen. Selbst Inhaber von Läden in dem Viertel durften nicht vorbei. Das Gebäude sei jetzt eine Polizeiwache, behauptete ein Polizist.
Die Hausbesetzung dürfte den Hass vieler Palästinenser weiter nähren. „Die israelische Besetzung des Orienthauses hat die Zerstörung aller Vereinbarungen zum Ziel“, wetterte Ahmad Abdal Rahman, ein wichtiger Berater von Palästinenserpräsident Jassir Arafat. Die Palästinenser hätten „keine andere Wahl, als den Widerstand und die Intifada zu verstärken, um das Heilige Jerusalem zu befreien und das Orienthaus und andere palästinensische Einrichtungen zurückzugewinnen.“
Die Besetzung hat hohen symbolischen Charakter, fügt den Palästinensern jedoch auch praktischen Schaden zu. Die Autonomiebehörden unterhielten hier ihr Büro für internationale Beziehungen, ihr Presse- und Informationsbüro. Hier residierte auch der Ende Mai verstorbene Faisal Husseini, der höchste Repräsentant der PLO in Jerusalem. Er empfing hier regelmäßig ausländische Diplomaten und gelegentlich sogar den einen oder anderen Außenminister – sehr zum Ärger der Israelis, die Ostjerusalem als ihr Staatsgebiet ansehen.
Um die israelische Regierung nicht zu brüskieren, trauten sich ausländische Staatsoberhäupter und Regierungschefs bisher nicht in das Orienthaus – mit einer Ausnahme: die türkische Ministerpräsidentin Tansu Ciller „verschwand“ einst bei einem Israelbesuch und ließ ihre Limousine mit der türkischen Standarte vor dem Gebäude vorfahren. Die Israelis drückten beide Augen zu. Eine Art Generalversammlung der Israelbotschafter der Europäischen Union im März 1999 in dem Gebäude führte jedoch fast zum diplomatischen Eklat.
An der in einer Mischung aus orientalischem und Kolonialstil gebauten Villa, die an einer Ostjerusalemer Seitenstraße liegt, lassen sich mehr als hundert Jahre palästinensischer Geschichte ablesen. Gebaut wurde es 1897 von Ismail Musa al-Husseini, Spross einer der einflussreichsten Aristokratenfamilien der Stadt. Hier hielt er Hof. Zu seinen Gästen gehörte beispielsweise der deutsche Kaiser Wilhelm, für den im Jahr 1900 eine Teeparty gegeben wurde.
Nachdem Äthiopiens Kaiser Haile Selassi 1936 von den Italienern gestürzt worden war, genossen er und seine Frau vorübergehend die Gastlichkeit des Orienthauses. Und der saudiarabische König Abdallah nahm hier 1930 die Kondolenzen für seinen Vorgänger Scharif Hussein Ben Ali entgegen, der in der nicht weit entfernten Al-Aksa-Moschee begraben wurde.
Nach Ismail Husseinis Tod 1945 übernahm dessen Sohn Ibrahim das Gebäude und machte es der Öffentlichkeit zugänglich. Für ein Jahr hatte die Palästinenserhilfsorganisation der Vereinten Nationen (UNRWA) hier ihr Hauptquartier, dann wurde das Haus zu einem Luxushotel umgebaut. Doch während des israelisch-arabischen Sechstagekrieges 1967, der schließlich zur Annektierung Ostjerusalems durch Israel führte, knickte das Geschäft ein. Die Familie Husseini schloss das Hotel, das Orienthaus war wieder Privatgebäude.
1983 dann mietete die Gesellschaft für Arabische Studien Büroräume, um dort ein Archiv über die arabische Präsenz und Ansprüche auf Grundeigentum anzulegen. Doch am Morgen des 28. Juli 1988 stürmten israelische Besatzungstruppen im Auftrag des damaligen Verteidigungsministers Jitzhak Rabin das Gebäude, angeblich aus „Sicherheitsgründen“. Zuvor hatten die israelischen Behörden behauptet, von dem Haus aus werde die Intifada gelenkt, der Aufstand der Palästinenser in den besetzten Gebieten.
Erst im Juli 1992, nach Beendigung der Intifada, erlaubten die Israelis die Wiedereröffnung der Institution. Faisal Husseini, Ururenkel des Gründers, übernahm offiziell das Gebäude. Und als PLO-Aktivist und enger Vertrauter von deren Chef Jassir Arafat machte er es zur inoffiziellen Repräsentanz der Organisation in Jerusalem.
Nach dem Abschluss der Osloer Verträge über eine palästinensische Autonomie wurde das Orienthaus dann praktisch zum Ministerium – und zum zentralen Zankapfel zwischen Palästinensern und Israelis.
Der UN-Teilungsplan 181 von 1947 betrachtet Jerusalem als seperate Einheit, als Corpus separatum. Keine der beiden Seiten sollte dort politische Institutionen errichten. Doch die Israelis, die Jerusalem zu ihrer ungeteilten Hauptstadt erklärten, lehnen dies ab.
Das im September 1993 von Israelis und Palästinensern unterzeichnete Oslo-Abkommen sieht vor, dass palästinensische Einrichtungen in Ostjerusalem, die bereits zuvor bestanden, weiter existieren dürfen. Faisal Husseini nahm dies für das Orienthaus in Anspruch – mit dem Haken, dass das Gebäude inzwischen vom Forschungszentrum zu einer Quasiregierungseinrichtung umgewidmet worden war.
Israels Regierung unter Jitzhak Rabin protestierte zwar regelmäßig gegen die Aktivitäten in dem Haus, hatte sich aber inoffiziell für eine Politik der Tolerierung entschieden. Ganz anders der Rechtsaußen Benjamin Netanjahu. Nach seiner Wahl 1996 zum Regierungschef machte er die Schließung zur Chefsache. Er musste aber zur Kenntnis nehmen, dass sich sogar israelische Initiativen gegen sein Vorhaben stellten. Nach einem solchen Schritt wäre man wegen anstehender Proteste nicht mehr sicher, argumentierten sie und wendeten sich mit einer Petition an den Obersten Gerichtshof. Und der gab ihnen Recht. Per einstweiliger Verfügung untersagten die Richter Netanjahus Vorhaben. Der schäumte und ließ dennoch drei palästinensische Büros in dem Haus dichtmachen.
Ob sich ein solches Gerichtsurteil allerdings nach den jüngsten palästinensischen Anschlägen wiederholen wird, ist fraglich. Israels Regierung um Ariel Scharon zeigt sich jedenfalls zu allem entschlossen. Schließlich dokumentiert sie durch die Aktion erneut ihren Anspruch auf Gesamtjerusalem. Ein israelischer Diplomat erklärte gestern, die Regierung habe am späten Donnerstagabend entschieden, in ganz Ostjerusalem neue Polizeicheckpoints einzurichten. Deren vornehmliche Aufgabe sei es, die palästinensischen Sicherheitskräfte aus der Gegend zu vertreiben. Und Uzi Landau, Israels Minister für öffentliche Sicherheit, erklärte nach der Besetzung des Orienthauses: „Was wir heute getan haben, ist Recht und Ordnung in Jerusalem wiederherzustellen.“ Die Maßnahme sei „selbstverständlich von Dauer“.
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