Jetzt will Union die Kasse stürzen

Weil Rot-Grün den versprochenen Kassensturz angeblich verweigert, rechnet die CDU Berlins Defizit selbst aus. Spitzenkandidat Steffel hat dafür allerdings keine Zeit. Haushaltsexperte sagt, wenn jetzt mit Sparen begonnen wird, zahlt es sich 2030 aus

von ROBIN ALEXANDER

Im politischen Berlin ist diese Woche „Kassensturz“. Heute wird die Finanzsenatorin Christine Krajewski im Senat und anschließend vor der Presse „die Haushaltsrisiken offenlegen“. Dabei ist der „Kassensturz“ – oder vielmehr die Forderung danach – eigentlich eine Waffe der Regierung gegen die Opposition. Wer Regierung und wer Opposition ist, spielt aber in diesem Fall keine große Rolle. Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister, pflegte gebetsmühlenartig den Kassensturz einzufordern, als er noch Fraktionschef der SPD im Abgeordnetenhaus war. Seitdem Wowereit den Senat leitet, verwendet er den Begriff nur noch, wenn er explizit danach gefragt wird. Dafür hat die neuerdings oppositionelle CDU-Fraktion selbigen für sich entdeckt und sogar selbst ausgerechnet, wo Berlin finanziell steht.

Frank Steffel, der Spitzenkandidat der Union bei den kommenden Wahlen, fehlte bei der Präsentation der Vorstellungen seiner Fraktion. Stattdessen erklärte Alexander Kaczmarek, stellvertretender Vorsitzender und Haushaltsexperte seiner Fraktion, stolz: „Wir legen heute vor, was die andere Seite versprochen hat.“ Kaczmarek und seine Mitarbeiter beziffern die „bislang nicht berücksichtigten Risiken“ im Berliner Haushalt auf 28,9 Milliarden Mark bis zum Jahr 2009. Bis zu diesem Zeitpunkt soll die Nettoneuverschuldung des Landes Berlin auf null gesenkt werden. Diese Absicht teilen alte und neue Koalition. Umgerechnet ergibt dies etwa 3,1 Milliarden Mark nicht berücksichtigte Risiken pro Jahr.

„Diese Zahlen zeigen den Handlungsbedarf auf – sie ersetzen nicht das Handeln“, meinte Kaczmarek. Und obwohl „der rot-grüne Senat die Regierung ist und demzufolge Vorschläge machen muss“, präsentierte Kaczmarek unter der dramatischen Überschrift „Die letzte Chance“, ein „Szenario“, wie Berlins Finanzen doch noch konsolidiert werden könnten: „Die Risiken werden nicht negiert. Die Nettoneuverschuldung wird gesenkt.“ Der Vorschlag sieht die langfristige Rückführung der Ausgaben auf 38,1 Milliarden vor, von denen allerdings wegen der hohen Zinslast nur 31,6 Milliarden tatsächlich „verfügbare Ausgaben“ wären. Die Konsolidierung müsste sofort begonnen werden, würde sich aber erst in ferner Zukunft auszahlen: „Einen Vorteil hat man erst ab 2030.“

Die Grünen, die anders als Wowereits SPD auch als Senatspartei an der Forderung nach einem „Kassensturz“ festhalten, begrüßten gestern die CDU-Vorschläge, jedoch nicht ohne an die Verantwortung der langjährigen Senatspartei CDU für die desolaten Finanzen zu erinnern. Burkhard Müller-Schoenau, finanzpolitischer Sprecher der Grünen: „Schattenhaushalte, unrealistische Annahmen über Einnahmen aus Vermögensverkäufen und das Verschleiern von Risiken waren das Handwerkszeug der großen Koalition.“ „Opposition befreit“, gestand Kaczmarek bei der Präsentation seiner Vorschläge ein und gab zu, die große Koalition habe die Lage „früher immer schöngeredet“.

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