: Gegen die Sammelwut des BKA
Innenpolitische Sprecher von SPD und Grünen kritisieren die neue Datei des Bundeskriminalamts, in der potenzielle linke Gewalttäter erfasst werden. Özdemir warnt vor „Überwachungsstaat“. Wiefelspütz: Grundrechte gelten auch für Extremisten
von NICK REIMERund LUKAS WALLRAFF
Nicht nur das Einwanderungskonzept von Innenminister Otto Schily (SPD) stößt auf Widerstand in der Koalition. Auch beim Thema Innere Sicherheit kommt Protest aus den eigenen Reihen. Die innenpolitischen Sprecher von SPD und Grünen kritisierten jetzt die neue Datei des Bundeskriminalamts (BKA) zu potenziellen linken Gewalttätern. Man werde im Innenausschuss intensiv über die Datei und die Ausreiseverbote reden, die daraus vor dem G-8-Gipfel in Genua abgeleitet worden seien, sagte Dieter Wiefelspütz (SPD) der Zeit: „Wir werden das ganze Thema grundsätzlich auf die Tagesordnung heben.“
Wie Wiefelspütz hält auch der Grüne Cem Özdemir die Datei für rechtsstaatlich zweifelhaft. Özdemir warnte vor einem „Überwachungsstaat“. Wenn sich die Polizei nicht zurückhalte, „wird der Staat zu dem, was einige Globalisierungskritiker ihm vorwerfen“. Wiefelspütz betonte: „Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und das Grundrecht, Deutschland zu verlassen, gelten auch für Extremisten.“
Die umstrittene Datei, in der bereits die Daten von knapp 300 Personen gespeichert sind, wird seit Anfang des Jahres auf Beschluss der Innenministerkonferenz aufgebaut – nach dem Vorbild der „Gewaltdatei Sport“, in der Fußball-Hooligans erfasst werden, um bei als gefährdet geltenden Länderspielen an der Ausreise gehindert zu werden.
Im Juni erließ das BKA eine Ausführungsbestimmung. Die Datei werde zum „Zweck der Verhinderung politisch motivierter Straftaten Links, insbesondere gewaltsame Auseinandersetzungen sowie der Abwehr von Gefahren“ aufgebaut, schreibt das BKA darin. Aufgenommen würden nicht nur rechtskräftig verurteilte Personen, sondern auch solche, gegen die lediglich ein begründeter Verdacht vorliegt oder ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Das BKA nennt auch die zur Aufnahme relevanten Delikte: unter anderem Landfriedensbruch, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Explizit aufgeführt werden diese Delikte auch im Zusammenhang mit „Nukleartransporten“.
Abgestimmt wurde dieses Verfahren zwischen BKA, den Landeskriminalämtern und dem Bundesgrenzschutz. „Danach hat das Bundesinnenministerium die Innenminister der Länder angewiesen, vor Genua die Personen zu melden, auf die diese Kriterien zutreffend sind“, so der Sprecher des niedersächsischen Innenministers. „Wir haben vor Genua einige Dutzend Personen erfasst. Die Datei wird seitdem weiter aufgebaut“, erklärte der Sprecher des bayrischen Innenministers Günther Beckstein (CSU).
In einigen Bundesländern gibt es dagegen erhebliche Bedenken. „Allein eine Feststellung der Personalien reicht als Grundlage aus, um nach der derzeitigen Praxis in der Datei zu landen“, heißt es aus dem rot-grünen Berliner Senat. Dies sei völlig unverhältnismäßig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen