: „Legalize It!“ gegen den Terror
Drogenfreigabe, Energiewende, Schiene statt Straße: Seit dem 11. September haben drei urgrüne Forderungen die Chance, Schlüsselelemente der Anti-Terror-Politik zu werden
Wie sollten gute Grüne eigentlich fühlen und handeln? Pazifistisch, ökologisch und obrigkeitsfeindlich. Doch wie sehen dann ihre Aufgaben seit dem 11. September aus? Krieg führen und den Staat stärken sollen sie – und von Ökologie haben sie in Zeiten wie diesen gefälligst zu schweigen. Kein Wunder, dass viele Grüne da die Unlust an der Macht überfällt: Was hat man in der Regierung verloren, wenn man so gar keine seiner ureigenen Forderungen auf die politische Agenda setzen kann?
So weit, so korrekt. Aber es ist keineswegs eine Naturnotwendigkeit, dass sich die Handlungskataloge der westlichen Regierungen allesamt so lesen, als seien sie noch von Otto von Bismarck oder Winston Churchill verfasst. Zugegeben: Grüne Friedenspolitik hatte keine sinnvolle Alternative zur aktuellen militärischen Auseinandersetzung parat, konnte sie vielleicht auch nicht parat haben – den Streit zwischen Gesinnungs- und Verantwortungspazifisten haben offensichtlich Letztere für sich entschieden.
Aber es geht ja in der Folge des 11. September nicht nur um die erfolgreiche Führung eines Krieges, es geht auch um die mittel- und langfristige Ausgestaltung militärischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Systeme. Dazu könnte eigentlich jeder Denkrichtung etwas einfallen – oder sind auch die libertäre und die ökologische Ideologie so impotent, dass sie wie die pazifistische bei der ersten echten Herausforderung versagen?
O nein! Wie die drei folgenden Beispiele zeigen, kann es auch Antworten auf die neue Weltlage geben, die sich wie urgrüne Forderungen lesen, ja, die lupenreine, urgrüne Programmatik sind – wenn auch mit neuen Begründungen versehen. Diese drei Forderungen wurden bisher als typische Beispiele für grüne Schönwetterpolitik angeführt: So etwas kann man nur angehen, wenn die wirklich wichtigen Probleme wie Sicherheit und Arbeitslosigkeit gelöst sind, hieß es. Dabei könnte der 11. September nun deutlich machen, dass einiges, was bisher als Schönwetterpolitik galt, gerade in Zeiten düsterster Wolken seine eigentliche Qualität entfaltet.
Die Legalisierung von Drogen etwa entzieht dem Terrorismus die Finanzquellen. Ob Sendero Luminoso in Peru oder Taliban in Afghanistan: Die Hauptanbaugebiete von Hanf, Opium und Koka sind ein idealer Nährboden für Terrororganisationen. Zudem erfordert die Sicherung der Wertschöpfungskette vom Anbau in unwegsamem Gelände bis zum Konsum in den Metropolen der westlichen Welt straff organisierte, militärisch hochgerüstete Verbände enormer Größenordnung.
Die Einnahmen aus den Drogengeschäften, jedes Jahr viele Milliarden Dollar, sind eine der wichtigsten Finanzquellen für die gefährlichsten Terrororganisationen der Welt, so auch für das Bin-Laden- Netzwerk. Eine kontrollierte Freigabe weicher oder gar aller Drogen sowie eine Verstaatlichung der Vertriebswege in den Industrieländern könnte die Macht der Drogenbarone brechen und damit den Dollarstrom zum Versiegen bringen, mit dem bisher die Süchtigen der Ersten Welt die Angriffe gegen ihre Regierungen finanzieren.
Hanfbauern im bayrischen Bergland können die Grundstoffe, aus denen die Träume sind, sicherlich weit kostengünstiger liefern als Paschtunen im Hindukusch. Und mit ein wenig dann ebenfalls erlaubter Forschungs- und Züchtungsarbeit müsste es ein Leichtes sein, mit dem Grünen Allgäuer gegen den Schwarzen Afghanen bestehen zu können.
Die Energiewende entzieht dem islamischen Fundamentalismus die ökonomische Basis. Der real existierende Sozialismus lebte von der Substanz. Als die Substanz verbraucht war, brach er zusammen. Der islamische Fundamentalismus lebt vom Öl. Ohne den scheinbar unendlichen Strom der Ölmilliarden in den Mittleren Osten würden die arabischen Kernlande des Islam noch immer eine Nischenexistenz in der Weltpolitik fristen. Sie würden eher Beduinenromantik an Touristen vermarkten als Großkunde bei allen Waffenhändlern der Welt sein.
Die Petrodollars haben den feudalen Regimen der Region einen Modernisierungsschock versetzt, der die Ausbreitung fundamentalistischer Lehren begünstigte und eine großzügige Finanzierung ihrer Anhänger ermöglichte. Zudem konnten es sich viele Ölstaaten leisten, Staat, Wirtschaft und Justiz streng nach den Lehren des Korans – oder doch nach dem, was die Islamisten dafür halten – auszurichten. Eigentlich hätte eine solche Politik diese Länder wieder in vormoderne Armenhäuser verwandeln müssen; dass es nicht dazu kam, liegt an der Subventionierung solch ökonomisch sinnwidriger Modelle durch die Einnahmen aus dem Ölgeschäft.
Da nirgends auf der Welt mehr Öl gefördert wird als auf der arabischen Halbinsel, wird es nichts bringen, darauf zu hoffen, dass irgendwann alles Öl verbraucht sein könnte. Stattdessen wäre es sowohl weit wirksamer als auch weit schneller, wenn es den Industriestaaten gelänge, mit drastisch weniger Rohöl auszukommen. Der hässliche Weg hierzu wird gerade beschritten, er heißt Weltrezession. Der weit hübschere Weg zu diesem Ziel nennt sich Energiewende und besteht darin, den gleichen Wohlstand mit nur einem Viertel der bisher benötigten fossilen Energie zu erreichen.
Schienenverkehr ist am besten vor terroristischer Zweckentfremdung geschützt. Flugzeuge können nicht nur entführt werden, Terroristen können sie auch in Hochhäuser, Ministerien oder Atomkraftwerke lenken. Mit Sprengstoff beladene Autos können an jedem beliebigen Ort der Welt schwerste Zerstörungen anrichten. Und Züge? Bleiben auf der Schiene. Auch die abgefeimtesten Terroristen können mit Schienenfahrzeugen wohl nicht mehr Schaden anrichten, als alle Insassen zu töten.
Ein Horrorszenario wie am 11. September ist auf der Schiene nicht vorstellbar. Je mehr Fernverkehr aus der Luft auf die Schiene verlagert wird, desto geringer wird die Verwundbarkeit der zivilisierten Welt. Und die Schlüsseltechnologie hierfür, der Transrapid, schafft auch noch Arbeitsplätze – hier, in der Bundesrepublik Deutschland.
Drogenfreigabe, Energiewende, Schiene statt Luft und Straße: drei klassische Felder grüner Klientelpolitik haben plötzlich die Chance, Schlüsselelemente einer globalen Anti-Terror-Politik zu werden. Aber noch beschäftigt sich die gesamte grüne Partei lieber mit Militärstrategien. Wie schon beim Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus scheint auch diesmal zu gelten: Nicht die Ideologien selbst werden durch eine geänderte Weltlage unfruchtbar – nur ihre Ideologen. DETLEF GÜRTLER
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