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Standhaft bleiben!

PRO: Die Kriegsgegner müssen nach ihrem Gewissen entscheiden dürfen

Wenn ein Unfallarzt sich entscheiden muss, welchem von zwei Schwerverletzten er zuerst hilft, dann hat er nicht den anderen umgebracht, falls dieser stirbt. Er hat dessen Verletzungen auch nicht herbeigeführt. Sondern er stand vor einem unlösbaren Dilemma. Abgeordnete, die Krieg für das falsche Mittel im Kampf gegen den Terror halten, sollten sich nicht in die Rolle derjenigen drängen lassen, die das rot-grüne Projekt gemeuchelt haben. Sie wünschen nicht den Bruch der Koalition, sondern sie haben in einer politischen Grundsatzfrage eine andere Meinung als die meisten ihrer Parteifreunde. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Die Bereitschaft zur Fraktionsdisziplin ist in einer Parteiendemokratie unverzichtbar. Wenn aber Loyalitäten zum einzigen Kriterium für die Entscheidungen der Abgeordneten werden, dann sind taktisch bestimmter Beliebigkeit keine Grenzen mehr gesetzt. Das wäre zugleich das Ende jeder politischen Glaubwürdigkeit. Auch deshalb müssen Parlamentarier die Möglichkeit behalten, ihrem Gewissen zumindest dort zu folgen, wo ihrer Ansicht nach letzte Fragen berührt sind. Alle, die sich in den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen bisher eindeutig gegen den Krieg in Afghanistan ausgesprochen haben, machten zugleich deutlich, dass sie dies in ihrem eigenen Wertesystem für eine jener letzten Fragen halten. Wenn es ihnen damit ernst ist, dann kann sich allerdings auch niemand unter Hinweis darauf umstimmen lassen, dass vieles andere auf dem Spiel steht.

Wer den Einsatz von völkerrechtlich geächteten Waffen wie Streubomben vor Ankündigung der Vertrauensfrage nicht unterstützen konnte und wollte, wird niemals wieder Gehör finden, wenn er die Stimme gegen einen militärischen Einsatz erheben möchte. Mag sein, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder das aus pragmatischen Gründen für wünschenswert hält. Dem Gemeinwohl diente es nicht. Es ist nicht systemstabilisierend, wenn sich aus den Reihen von zwei Parteien mit – auch – pazifistischer Tradition kein Widerstand gegen eine Entscheidung regt, in der die Bevölkerung so tief gespalten ist wie kaum jemals zuvor.

Manche Abgeordnete der Regierungsparteien meinen jetzt, es sei albern, eine Koalition über einem erfolgreich beendeten Einsatz zerbrechen zu lassen. Das ist naiv. Die Eroberung von Kabul war niemals gleichbedeutend mit der Eroberung von Afghanistan. Und die Eroberung von Afghanistan wäre nicht gleichbedeutend mit dem Sieg über den Terror. Die USA weisen zu Recht darauf hin, dass dieser Krieg noch sehr lange dauern wird. Niemand sollte hinterher sagen, dass sich weitere Schrecken nicht vorhersehen ließen. Sie wurden angekündigt.

Den grünen Abweichlern wird all das nichts nützen. Wer morgen nicht zustimmt, wird als Totengräber abgestempelt sein. Zu Unrecht, vermutlich: Zum ersten Mal seit Beginn der Legislaturperiode dürfte ein grüner Parteitag den Kurs der Bundesregierung nicht absegnen. Aber Schuldzuweisungen an einige wenige sind ja erheblich bequemer als eine Analyse der Frage, warum die Partei es in all den Jahren ihres Bestehens nicht geschafft hat, einmal redlich über ihr Verhältnis zum Militär zu diskutieren – und dann auch klar definierte Grenzen zu ziehen. Stattdessen beschlossen die Gremien regelmäßig illusorische Forderungen, die dann, ebenso regelmäßig, aus vermeintlich realpolitisch notwendigen Gründen komplett über Bord geworfen wurden. Diese Ausgangslage dürfte es den Grünen schwer machen, sich in der Opposition zu erneuern. Wer so oft betont hat, wie altmodisch Grundsätze sind, dem werden neu entdeckte Prinzipien nicht abgenommen.

Es ist übrigens wahr, dass ein Bruch der rot-grünen Koalition nichts an einer deutschen Kriegsbeteiligung ändern wird. Das ist im Zusammenhang mit der Entscheidung über letzte Fragen häufig so. Trotzdem sind die meisten Völker stolz auf ihre Widerständler. Jedenfalls im historischen Rückblick. Zugegeben: das ist ein schwacher Trost.

BETTINA GAUS

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