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„Wir wollen nicht raus“

Grünen-Chefin Claudia Roth über Stärken und Schwächen eines Kanzlers und den Spagat ihrer Partei vor der Entscheidung über die Koalition

Interview HEIDE OESTREICH und MATTHIAS URBACH

taz: Frau Roth, wie geht es Ihnen heute?

Claudia Roth: Naja. Mir helfen ja oft Scherben-Songs in solchen Situationen. In den letzten Tagen war es immer wieder: „Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten.“ Ich frage mich aber schon langsam: Kann die Nacht noch tiefer werden?

Zum Beispiel, wenn am Freitag die Koalition zerbricht. Wird sie brechen?

Das kann ich im Moment nicht sagen. Aber ich werde mich – nicht durch Druck, sondern durch Debatten – dafür einsetzen, dass sie fortbesteht.

Der Druck kommt nun vom Kanzler, waren Sie überrascht über die Vertrauensfrage?

Natürlich, die Signale gingen ja vorher in die entgegengesetzte Richtung. Das ist wohl nur mit der parteiinternen Diskussion in der SPD zu begründen und durch die schlechte Presse.

War es ein Akt der Stärke oder der Schwäche, die Vertrauensfrage zu stellen?

Ich hätte mir gewünscht, dass der Kanzler es als Stärke begreift, wenn es in einer Koalition in so einer existenziellen Frage auch abweichende Stimmen gibt. Gleichwohl spricht einiges dafür, dass es ihm in unserer politischen Kultur als Schwäche ausgelegt worden wäre. In anderen Ländern wird es als völlig normal empfunden, dass man mal wechselnde Mehrheiten hat.

Haben Sie versucht, den Kanzler zurückzuhalten?

Mehrere Grüne haben versucht, ihn davon abzubringen. Ich hätte mir gewünscht, dass man die Frage des Militäreinsatzes und die Vertrauensfrage, bei der es um den Fortbestand der Koalition geht, auseinander hält. Denn wir wollen nicht aus der Koalition raus. Diese gute Arbeit, etwa die Atomgesetznovelle, das Naturschutzgesetz und das Zuwanderungsgesetz wollen wir fortsetzen. Das steht nun alles auf dem Spiel.

Fühlen Sie sich erpresst?

Nein, wenn es diesen starken Druck von außen gibt, dann muss der Kanzler das für sich entscheiden. Sei’s drum, jetzt ist es so.

Können Sie die Zweifler noch verstehen, nachdem Sie ihnen mit dem Parteiratsbeschluss so weit entgegengekommen sind?

Der Parteiratsbeschluss drückt den Spagat aus, den wir aushalten wollen. Ganz ausdrücklich steht darin der Respekt vor denen, die einen Einsatz ablehnen. Und es sind deutlich mehr als acht in der Fraktion, die skeptisch sind. Nun haben wir durchgesetzt, dass die wesentlichen Bedingungen des Parteirates in einer Protokollnotiz dem Antrag der Regierung angefügt werden. Mit diesen Präzisierungen halte ich den Antrag für zustimmungsfähig. Wir schicken keine Bodentruppen. Die KSK soll nur für polizeiliche Zugriffe auf Terroristen eingesetzt werden.

Wir schicken Sanitäter, die die USA bei Luftangriffen mit Streubomben unterstützen. Ist das nicht scheinheilig?

Natürlich muss man etwa den Einsatz von Streubomben weiter heftig kritisieren, den halte ich schlicht für falsch. Das heißt aber nicht, dass wir nicht mehr an der Anti-Terror-Koalition teilnehmen. Gerade jetzt müssen wir in Afghanistan für eine politische Nach-Taliban-Lösung sorgen.

Haben unter dem Druck der Vertrauensfrage acht oder mehr Abgeordnete das Recht, die Koalition zu beenden?

Ich würde sagen, diese Frage, die auch die Zukunft der gesamten Partei betrifft, kann nur der Parteitag entscheiden und nicht einzelne Abgeordnete, die eigentlich zu einer anderen Frage abstimmen wollen. Ich glaube auch, dass die Skeptiker glaubhaft machen können, dass sie eine andere Position haben, auch wenn sie am Freitag dem Kanzler das Vertrauen aussprechen. Ich plädiere dafür, dass das Reformprojekt Rot-Grün fortgesetzt wird.

Die Mehrheit der Landesverbände ist gegen einen Militäreinsatz.

Es gibt in der Partei prinzipielle Gegner eines Militäreinsatzes. Es gibt aber einen Länderratsbeschluss, der Bedingungen stellt für diesen Einsatz. Die von uns in den Regierungsantrag eingeführte Protokollnotiz ist die logische Fortsetzung dieses Länderratsbeschlusses. Es wird ja sehr allgemein diskutiert, nach dem Motto: Bist du für oder gegen Krieg? Aber es geht um die Frage, sind wir bereit, uns an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auch mit polizeilich-militärischen Mitteln zu beteiligen?

Der Einsatz von Streubomben ist eine polizeiliche Aktion?

Natürlich gibt es eine Empörung in den Kreisverbänden gegen die Verwendung von Streubomben. Das teile ich voll.

Wenn nun Schröder das Vertrauen der Grünen bekommt, nächste Woche aber der Parteitag gegen einen Afghanistaneinsatz stimmt, führt das dann auch zum Ende der Koalition?

Das kann man jetzt noch nicht sagen. Doch der Parteitag wird sich bei aller möglichen Kritik gleichwohl fragen müssen, ob er deshalb die Koalition beenden will. Ob wir in der Opposition mehr erreichen können als in der Regierung. Das wird sehr schwer.

Jetzt ist Kabul gefallen. Halten Sie an der Forderung nach einem Bombenstopp fest?

Ja. Dabei geht es inzwischen vor allem um die Stimmung in der islamischen Welt. Deshalb sollte man während des Ramadan die Bombardements unterbrechen, um den Eindruck nicht zu verstärken, man führe einen Krieg gegen das afghanische Volk.

Aber die Situation hat sich durch den Rückzug der Taliban geändert. Das war doch nur durch das Bombardement möglich.

Das muss sich erst noch zeigen. Ich sage doch nicht: Ich hatte immer Recht. Aber als wir die Bombenpause diskutierten, zeichnete sich überhaupt keine Möglichkeit ab, das Land zu versorgen. Der Vorschlag versuchte, die humanitäre Lage der Menschen zu verbessern.

Ihnen wurde ja unterstellt, als Sie für den Bombenstopp waren, Sie hätten sich von Ihren Emotionen hinwegtragen lassen.

Das Einklagen von Menschenrechten, der Einsatz für humanitäre Hilfe hat immer den Geruch von Irrealo und Träumerei. Das ärgert mich sehr. Es geht hier um die Verantwortung gegenüber siebeneinhalb Millionen Menschen, die in Afghanistan auf der Flucht sind.

Sie zweifeln also an der Besonnenheit der Anti-Terror-Koalition?

Natürlich hängt die Stabilität der Anti-Terror-Koalition auch von ihrem Umgang mit den Flüchtlingen ab. Da wurde viel vorbereitet, aber nicht, dass die Anrainerstaaten die Grenzen für die Flüchtlinge aufmachen. Und was man angesichts des Winters macht. Deshalb müssen wir den Einfluss auf diese Koalition unbedingt behalten.

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