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kommentarKoalition gerettet, Debatte tot

Aufatmen bei Rot-Grün nach der gewonnenen Vertrauensabstimmung? Keineswegs. Das Stimmensplitting bei den acht Neinsagern rettete zwar die Koalition, beseitigte aber nicht das Problem, das seit der Erklärung der „uneingeschränkten Solidarität“ mit den USA durch Bundeskanzler Schröder herrscht. Im Kern geht es darum, wie die Bundesrepublik (und die Europäische Union) künftig gegenüber der militärischen Supermacht einen Entscheidungsspielraum wahren und wie sie vermeiden will, dass der Blankoscheck, den sie ausgestellt hat, tatsächlich eingezogen wird.

 Bei ihrem Abstimmungsverhalten folgten die grünen Kritiker des Regierungskurses einem Abwägungsmodell. Auf der einen Waagschale die Ablehnung des Krieges, auf der anderen die Teilnahme an der Koalition und die Chancen künftiger, politischer Mitgestaltung. Die Aufteilung der Stimmen folgte den Regeln pragmatischer Rationalität. Flagge zeigen und Rot-Grün retten. Aber in diesem Verfahren stecken unwägbare Risiken.

 Denn entgegen den Zusicherungen, die in dem jetzt angenommenen Antrag der Bundesregierung enthalten sind, sind die politischen Ziele und ihnen folgend die Kriegsziele der „Anti-Terror-Koalition“ so weit und so undeutlich gefasst, dass sie sich jeder Auslegung fügen. Was bedeutet beispielsweise die Einschränkung in dem Antrag „Einsatz außerhalb Afghanistans nur mit Zustimmung der Regierung des Landes, in dem der Einsatz erfolgen soll“? Es sollte nicht schwierig sein, eine solche Regierung zu basteln, notfalls im Exil.

 Zwar wird uns versichert, der vor uns liegende, „lang dauernde Krieg“ werde stets der politischen Hauptprämisse – Kampf dem internationalen Terrorismus – folgen und in politische, humanitäre und wirtschaftliche Maßnahmen eingebettet sein. Aber was heißt das? Wie weit genau und gegen welche Staaten wird das Anti-Terror-Netz ausgespannt werden?

 Das sind keine Fragen, die vor allem einer individuellen Gewissensprüfung unterliegen, die vor dem „inneren Gerichtshof“ jedes Abgeordneten entschieden werden. Sie sind Gegenstand der politischen Vernunft und müssen in der Öffentlichkeit rational erörtert werden. Das heißt aber auch: ohne Zwang.

 Die Abstimmungstaktik der oppositionellen Bündnisgrünen folgte dem Prinzip des „rational choice“, sie hat alle Identitätsgesichtspunkte beiseite gelassen. Sie hat Glaubwürdigkeitsverlust in Kauf genommen, um Bewegungsspielraum zu erhalten. Den gilt es jetzt für eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Schröders bedingungsloser Gefolgschaft zur Bush-Administration zu nutzen. Sonst wird Schröder den Grünen gegenüber künftig nur eine Umgangsform kennen – das Schlittenfahren.

CHRISTIAN SEMLER

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