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Die Diplomatin

Sie ist Deutschlands dienstälteste Ausländerbeauftragte. Sie hat viele Regierungen überstanden. Barbara John ist heute 20 Jahre im Amt

Ihre Arbeit, sagt sie, sei manchmal wie Schneeschaufeln in Alaska

von SABINE AM ORDE

Eigentlich ist es nur eine Nebensächlichkeit. „Kümmern Sie sich gar nicht um mich“, sagt Barbara John beiläufig zu der gestressten Organisatorin kurz vor der Podiumsdiskussion im Russischen Haus. Was wohl nur als Aufmunterung für die junge Frau gemeint war, die im Trubel des Kongresses die Debattanten für die nächste Veranstaltung zusammensucht, scheint typisch für Berlins Ausländerbeauftragte zu sein. Im Zweifelsfall nimmt Barbara John sich selbst zurück. Sie will keine Aufmerksamkeit, agiert im Hintergrund. Mit Ruhe und mit Hartnäckigkeit. „Vielleicht ist das preußisch“, sagt sie später in ihrem Büro. Auf jeden Fall ist es erfolgreich. Denn mit dieser ruhigen, aber beharrlichen Art hat sich die Ausländerbeauftragte, die heute ihr 20-jähriges Dienstjubiläum begeht, auf ganzer Linie durchgesetzt.

Viele Jahre lang war die CDU-Politikerin umstritten, wurde von rechts und links gleichermaßen bekämpft. Als sie sich zum Beispiel Mitte der 80er-Jahre recht früh die Einbürgerung von Immigranten ansprach, stieß sie bei ausländerpolitischen Hardlinern der CDU ebenso auf Widerstand wie bei linken Immigranten und Bündnisgrünen. „Überfremdung“ warf ihr die eine Seite vor, „Assimilation“ die andere. 1989 versuchten die Grünen in den Koalitionsverhandlungen, die langjährige Ausländerbeauftragte abzusägen. Sie habe sich, so die Begründung, zu sehr um das Zwischenmenschliche und zu wenig um das Politische gekümmert. Doch die SPD hielt an Barbara John fest.

Auch die jetzige Regierungsbildung – egal ob nun Rot-Rot oder doch noch die Ampel kommt – wird die heute 63-Jährige wohl überstehen. Denn in der SPD gilt John, die eine ganz normale Angestellte ist, als gesetzt. Auch die Grünen versuchen nicht mehr ernsthaft, die CDU-Frau loszuwerden. Und selbst die PDS signalisiert, dass Barbara John auch unter Rot-Rot Ausländerbeauftragte bleiben wird.

Barbara John grinst, wenn sie das hört. „Früher“, sagt John, „waren die Auseinandersetzungen ideologischer.“ Und Ideologie ist etwas, womit die ehemalige Lehrerin wenig anfangen kann. Auch „diese Ränkespiele, diese Hintergrundkungeleien“ in der Politik mag sie nicht. „Die verstellen doch nur die Problemlösungen.“ Dass Polarisierung in ihrem Amt selten hilft, hat sie schnell gelernt. Kurz nachdem Richard von Weizsäcker sie Ende 1981 „in Kreuzberg ausgebuddelt“ (O-Ton CDU) und zur Ausländerbeauftragten gemacht hatte, kritisierte Barbara John die Ausländerbehörde scharf. Prompt waren die Verantwortlichen dort für sie nicht mehr ansprechbar. „Die haben mir ganz schnell gezeigt, wer am längeren Hebel sitzt“, sagt die Ausländerbeauftragte, die kaum festgeschriebene Kompetenzen hat. Damals sei ihr klar geworden, dass sie mit Gesprächen und Verhandlungen hinter den Kulissen viel mehr erreichen kann als mit Schlagzeilen. Dass andere dann die Zeitungsmeldungen bestimmen, stört sie nicht. „Kümmern Sie sich gar nicht um mich.

Heute ist John ein Profi, wenn es um es dem Umgang mit Verwaltung und Bürokratie geht. Geschickt wandelt sie auf den mit Fallstricken überzogenen Pfaden der Bürokratie, lotet Spielräume aus, sucht nach Bündnispartnern. So schlägt sie in der Auseinandersetzung mit Ausländerbehörde und Innenverwaltung in Einzelfällen viel für Migranten heraus. „Ich liebe die Verwaltung überhaupt nicht“, sagt die CDU-Frau. „Aber sie bietet Spielräume, in denen ich mich tummeln kann.“ Und wenn sie sich dann so tummelt wie auf dem Podium mit SchülerInnen im Russischen Haus, dann scheint sie die richtige Frau am richtigen Ort zu sein. Ganz in Graublau und ohne Make-up ist sie unscheinbar, aber ständig präsent, erklärt den Jugendlichen verständlich ihre Position und hat auch noch ein Ohr für die Probleme eines asiatischen Mädchens, das neben ihr steht.

Ihre Hauptaufgabe sieht Barbara John in einer Einstellungsveränderung bei der deutschen und auch bei der nichtdeutschen Bevölkerung: „Einwanderer müssen sich hier zu Hause und Einheimische dürfen sich nicht überfordert fühlen.“ Das sei für beide Seiten eine große Herausforderung, die Ausdauer brauche und sehr viel Zeit. „Manchmal“, sagt John, „ist das wie Schneeschaufeln in Alaska.“

Und für dieses Schneeschaufeln, meinen viele, sei Barbara John genau die Richtige. Weil sie eine ist, „die Brücken baut“, wie der ausländerpolitische Sprecher der SPD, Thomas Kleineidam sagt. Weil sie „das Gemeinsame“ betont, wie der Grünen-Migrationsexperte Hartwig Berger lobt. Weil „man gut mit ihr zusammenarbeiten kann“, wie der PDS-Abgeordnete Giyas Sayan sagt. Weil man ausgleichend, unprätentiös, hartnäckig sein muss, wenn man schon keine Macht hat. Und weil dabei ein CDU-Parteibuch eher förder- als hinderlich ist. „Sie ist genau die Richtige, um das Thema Integration in die Mehrheitsgesellschaft zu tragen“, sagt der Sprecher des Türkischen Bundes (TBB), Safter Cinar. „Eine Frau wie Barbara John kann hier doch viel mehr erreichen als jemand aus dem linken Spektrum.“

Barbara John selbst hofft, dass es für sie mit einer neuen Landesregierung leichter wird als unter der großen Koalition. „Da muss man nicht mehr alles von Anfang an erklären.“ Zwischen zwei Veranstaltungen sitzt sie in ihrem Büro, das im ersten Stock eines scheußlichen Flachbaus in der Potsdamer Straße in Tiergarten untergebracht ist. Besonders viel Erklärungsbedarf gab es wohl bei ihrer eigenen Partei, der CDU. Warum blieb sie trotzdem all die Jahre dabei? Barbara John lächelt und zieht die Schultern leicht hoch. Fast so, als fiele ihr selbst keine überzeugende Antwort ein. „Man kann die CDU doch nicht den anderen überlassen“, sagt sie und drückt die gespreizten Finger gegeneinander.

Die anderen, das sind die, die sie abschätzig „Türken-Bärbel“ nennen; die sie aus dem Landesvorstand kickten, als sie 1989 Strafanzeige wegen eines Wahlspots der „Republikaner“ stellte, und die ihr deshalb die Wahlniederlage der CDU anlasteten. Das sind die, die sie auf einem Landesparteitag 1993 auspfiffen, weil sie eine Debatte über die doppelte Staatsbürgerschaft einforderte – und die heute das Einwanderungsgesetz im Bundesrat verhindern wollen, für das sich Barbara John viele Jahre stark gemacht hat. An Austritt habe sie nie gedacht, sagt sie und presst die Finger noch etwas fester gegeneinander. Mehr will sie nicht sagen, Persönliches stellt Barbara John zurück. „Kümmern Sie sich gar nicht um mich.“

Diese starke Bindung an die CDU hat in Johns Familie Tradition. Ihre Eltern waren gläubige schlesische Katholiken, auch Barbara John ist eine religiöse Frau. In den 20er-Jahren ließen die Johns sich in Kreuzberg nieder, und wie viele der heutigen Immigranten machte der Vater sich selbstständig, „in einer kleinen Klitsche“ stellte er Kerzen her. Er war Mitglied der Zentrums-Partei, nach der Gründung der CDU wurde er Christdemokrat. Auf den Versammlungen, zu denen er die Tochter mitnahm, gefielen ihr die Leute und die Atmosphäre, Ende der 60er-Jahre trat sie selbst in die Partei ein. „Es waren wohl soziale Gründe“, sagt sie heute rückblickend. Damals arbeitete John an der Technischen Universität, dort war die ehemalige Lehrerin für Deutschkurse für Ausländer zuständig.

Kurz darauf wurde sie in die Kreuzberger Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gewählt, zehn Jahre lang war sie dort schulpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion. Dann versprach Richard von Weizsäcker im Wahlkampf, eine Ausländerbeauftragte einzuführen. Weizsäcker wurde Bürgermeister, Barbara John die erste Ausländerbeauftragte in einem deutschen Bundesland. Seitdem hat Barbara John, die alleine lebt, ihr Leben der Integration verschrieben. Mindestens 80 Stunden pro Woche arbeitet sie, auch am Wochenende stehen meist drei bis vier Termine an. „Da treffen sich die ausländischen Vereine nun mal, und da will ich schon regelmäßig vorbeischauen.“

In der türkischen Community hat Barbara John, die noch aus ihrer Zeit an der TU fließend türkisch spricht, ihr Engagement den Ehrentitel „Abla“ eingebracht, was große Schwester heißt. Andere ethnische Minderheiten sehen sie kritischer. In der kurdischen Community gilt John als stark protürkisch, Empörung hat 1998 ihre Weigerung ausgelöst, eine Broschüre über Kurden in Berlin herauszugeben. „Ich kann nichts finanzieren, was die Spaltung in der Stadt verstärkt“, sagt dazu Barbara John. Auch von der Bevorzugung der Türken will sie nichts wissen. „Das ist nun einmal die größte Gruppe.“ Doch auch die Polen fühlen sich nicht genug unterstützt. „Wir sind die drittgrößte Gruppe in Berlin“, kritisiert Withold Kaminski vom Polnischen Sozialrat, „aber Geld bekommen wir kaum.“ Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien kritisieren, dass die Ausländerbeauftragte sich zu sehr auf die Programme für Rückkehrer konzentriert habe.

Das sieht John anders. „Es kann nicht jeder bleiben, der hierher gekommen ist“, ist ihre Position. „Wer zurückgehen kann, soll das so früh wie möglich tun. Wer das aber nicht kann, den darf man auch nicht an der Integration hindern.“ Zu dieser Argumentation passt auch, dass Barbara John sich für die Erweiterung des Asylbewerberleistungsgesetzes stark gemacht hat, das bestimmten Flüchtlingsgruppen den Zugang zu Sozialhilfe und Gesundheitsversorgung verwehrt. Damit hat sie Flüchtlingsinitiativen gegen sich aufgebracht. Diese meinen sowieso, dass sich John zu wenig für Flüchtlinge einsetzt. Oft sei es ein abgekartetes Spiel mit verteilten Rollen: Der Innensenator zeigt sich unerbittlich, Barbara John beschwichtigt. Eine „reine Pufferfunktion“ habe John, „es verändert sich nichts.“

Ganz kritiklos ist aber auch Safter Cinar vom TBB nicht. Er wirft Barbara John vor, im Umgang mit dem politischen Islam, also Gruppen wie Milli Görüs und der Islamischen Föderation, „naiv“ zu sein. Barbara John spricht mit diesen Organisationen und lädt sie auch zu Veranstaltungen ein. Mit dem Verein Müsiad hat sie eine Broschüre über „Moscheen in Berlin“ herausgegeben. „Weil man sie nicht ausgrenzen darf“, wie John sagt. Aus Cinars Sicht macht sie so islamischen Fundamentalismus gesellschaftsfähig.

Zwei Jahre hat Barbara John noch bis zum Rentenalter, die will sie bleiben, „mindestens“. Heute aber wird erst mal das 20-Jährige gefeiert, mit einem Tag der offenen Tür im eigenen Büro. Einen Festakt gibt es nicht. „Einen Tag der offenen Tür für die Einwanderer ist sowieso sinnvoller“, sagt Barbara John. Das klingt fast ein bisschen trotzig. Dennoch merkt man, dass die fehlende Anerkennung sie trifft. Aber nur kurz. Denn es gibt ja Wichtigeres. „Kümmern Sie sich gar nicht um mich.“

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