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Am Ende der Kompromissfähigkeit

Mehr als 100 Sozialdemokraten haben die Partei seit der Unterzeichnung des rot-roten Koalitionsvertrags verlassen. Sie protestieren damit gegen die Zusammenarbeit mit der PDS als Nachfolgepartei der SED. Vor allem Mitglieder aus Ostberlin geben ihr Mitgliedsbücher zurück – oder zerschneiden sie

von SUSANNE AMANN

Christine Luft ist nicht kompromisslos. Im Gegenteil, das Leben besteht für sie aus vielen Kompromissen. „Deswegen war ich im Herzen auch immer demokratisch“, sagt die 52-Jährige und lacht dabei. Nur manchmal, da kann man eben keine Kompromisse mehr machen, weil man sich sonst nicht mehr ins Gesicht sehen kann. Die Entscheidung der Berliner SPD, mit der PDS zu koalieren, war so ein Moment. Da hat Christine Luft beschlossen, aus der SPD auszutreten.

Der Schritt ist der rothaarigen Ostberlinerin aus Marzahn nicht leicht gefallen. Im Umbruchwinter 1998/90 kam sie eher aus Zufall zur SDP, der gerade gegründeten SPD des Ostens. Sie hatte ihren Cousin im Fernsehen gesehen und spontan beschlossen, jetzt auch Parteipolitik zu machen. Bis zum Herbst 89 hatte sich die gelernte Stenotypistin der SED erfolgreich ferngehalten, nicht aber der Politik: Als Gewerkschaftsleiterin in ihrem Druckereibetrieb hatte sie schon damals bei den Parteioberen den Ruf „Kollegen aufzuwiegeln“, was ihr Zutrittsverbote zu bestimmten Bereichen und die penible Überwachung ihrer Arbeit einbrachte.

Vom ersten Treffen im Marzahner Ortsverband am Helene-Weigel-Platz ging der politische Aufstieg dann relativ schnell. Luft wurde als Abgeordnete in die letzte Stadtverordnetenversammlung und auch gleich in den Fraktionsvorstand gewählt. Sie muss heute noch schmunzeln, wenn sie an die ersten Tage im Roten Rathaus denkt. „Wir wussten ja bei vielen Dingen überhaupt nicht, wie sie funktionieren“, sagt sie. Deshalb wurde halt improvisiert, Kompetenzen gab es noch nicht. „Ich wollte zum Beispiel die Abrechnungen nicht alleine unterschreiben, hatte ja keine Ahnung, ob die Zahlen stimmen“, erinnert sich Luft. Kollege Helmut Fechner löste das Problem dann pragmatisch: „Komm, es sind revolutionäre Zeiten, da unterschreiben wir halt einfach beide.“ Die Abrechnungen wurden im Übrigen zwei Jahre später vom Landesrechnungshof alle abgesegnet.

Dass die Partei, in der sich Christine Luft mehr als zehn Jahre politisch zu Hause gefühlt hat, jetzt mit der PDS koaliert, ist für sie unerträglich. „Ich habe wirklich was gegen pauschale Urteile, aber die PDS hat sich weder programmatisch verändert, noch hat sie sich mit ihrer Geschichte auseinandergesetzt.“ Auch das Argument, die jetzigen PDS-Politiker hätten doch niemandem persönlich geschadet, zählt für sie nicht. „Es war doch das System, das jedem geschadet hat. Und von diesem haben sie sich bis heute nicht distanziert.“

Die Koalition der SPD mit der PDS hat den Ausschlag zum Austritt gegeben, wenn auch das Unwohlsein schon länger da war. „Die Westgenossen sind so arrogant mit uns umgegangen, haben überhaupt nicht auf uns gehört und sich für unsere Themen nicht interessiert“, bemängelt Luft im Nachhinein. Da sei die Koalition nur der letzte Tropfen gewesen. Trotzdem wird sie weiter politisch aktiv sein, denn eines ist für sie selbstverständlich: „Politik ist für mich auch ohne Partei möglich!“

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