: Außer Spesen nichts gewesen
Die V-Leute sind nicht das Problem: Man hätte das Verbotsverfahren gegen die NPD nie einleiten dürfen. Die Partei ist zwar antidemokratisch und rassistisch – aber erfolglos
Als im November 1954 das Verbotsverfahren gegen die KPD im dritten Jahr vor sich hindümpelte, suchte Josef Wintrich, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Konrad Adenauer auf, um beim Bundeskanzler zu klären, ob die Bundesregierung an ihrem Antrag festhalten wolle. Auf ein solches Entgegenkommen können die Antragsteller im NPD-Verfahren nicht hoffen; Karlsruhe ist zu Recht verärgert über das dilettantische und arrogante Verhalten der Bundesregierung.
Die Verbotsbetreiber möchten ihre Anträge höchstens „nachbessern“ und erläuterten gestern dem Karlsruher Gericht die misslichen „V-Leute-Pannen“ – wie zu hören ist in der Hoffnung, die Richter „gnädig zu stimmen“. An dem Verfahren hält auch Günther Beckstein fest, Stoibers Mann für die öffentliche Ordnung, der die Verbotsidee im August 2000 aufgebracht hatte (und die Pannen Otto Schily allein anlasten möchte). Dabei deutet vieles darauf hin, dass das Unternehmen NPD-Verbot gute Chancen hat: zu scheitern.
Nur in einem kann man der schwarz-rot-grünen Verbotskoalition zustimmen – die V-Leute sind tatsächlich nicht das Hauptproblem. Denn die FDP hat Recht behalten: Das ganze Verbotsverfahren „stank“ verfassungsrechtlich und demokratiepolitisch von Beginn an; man hätte es nie einleiten dürfen und spätestens bei genauerer Analyse der NPD abblasen müssen: mangels Masse. Jetzt nimmt eine staunende Öffentlichkeit zur Kenntnis, welches Treiben unter dem hochtrabenden Namen Verfassungsschutz üblich ist. Dazu gehört, dass Parteien, die sich durchaus im Rahmen der Legalität bewegen, systematisch ausgeforscht werden, wenn immer eine Bundes- oder Landesregierung oppositionelle Mitbewerber auf dem politischen Markt des „Extremismus“ verdächtigt.
Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählen auch Lauschangriffe, der Einsatz von Spitzeln in Parteigremien und Telefonüberwachung. Was in anderen westlichen Demokratien zu Recht skandalös und verboten ist, gilt hier immer noch als Funktionsbeweis der „wehrhaften Demokratie“. Zu diesem kapitalen Missverständnis haben Kohorten akademischer Extremismusforscher und antifaschistischer Selbsthilfegruppen leichtfertig beigetragen. Im NPD-Verbotsverfahren haben sich viele weit aus dem Fenster gehängt, jetzt sitzen sie selbst in der Verbotsfalle.
Dass die NPD eine antidemokratische Partei mit rassistischen und antisemitischen Tendenzen ist, haben nicht jahrzehntelang die bezahlten V-Leute herausgefunden. Die NPD arbeitet gar nicht konspirativ; so genannte Nationaldemokraten machen in ihren Blättchen und auf der Straße keinen Hehl aus ihrem krausen Denken. Das haben übrigens die Innenminister bestätigt, die erwägen, sich nun auf das „publizierte Material“ zurückzuziehen. Dass man auch dem Offenkundigen auf geheimdienstlichen Wegen nachspürt, gehört nicht nur zu den Eigentümlichkeiten eines Verfassungsschutzes, der sich stets wichtig machen muss. Auch die Antragsteller waren offenbar der Meinung, konspirativ zusammengetragenes Material würde mehr Eindruck schinden und die besondere Gefährlichkeit der Promillepartei suggerieren.
Hätte man es mit einer wirklich gefährlichen, teils im Untergrund arbeitenden und Gewalt verübenden oder vorbereitenden Partei zu tun, wäre das Risiko geheimdienstlicher Methoden und der Einsatz von V-Leuten gerechtfertigt gewesen. Aber genau hier liegt das zentrale Problem dieses Verfahrens: Die NPD ist eine erfolg- und bedeutungslose Partei, der man außer verfassungswidrigen Zielen und vollmundigen Absichtserklärungen nichts Nennenswertes anlasten kann. Ausgerechnet gegen sie haben die Sicherheitsbehörden, in sich völlig unkoordiniert, seit 1964 so viele V-Leute bis in Führungspositionen eingesetzt, dass sich jeder unvoreingenommene Beobachter fragen muss, ob eine Partei hier wirklich nur ausgespäht oder nicht vielmehr zu jener widerlichen Agitation ermuntert worden ist, die man ihr jetzt zum Vorwurf macht.
Verdächtig oft beziehen sich die Antragsteller auf das KPD-Urteil, das auf dem Demokratieniveau der Fünfzigerjahre argumentiert, ein „Verfassungsfeind“ sei, wer verfassungswidrige Propaganda betreibt. Nachdem die NPD im Sommer 2000 als „Schaltzentrale“ fremdenfeindlicher Gewalt ausgemacht und damit zur konkreten Bedrohung für Freiheit und Demokratie hochstilisiert war, hätte man konkrete Beweise erwartet – und eventuell auch den Antrag auf eine einstweilige Verfügung in Karlsruhe, die das „unerträgliche“ Treiben der Partei beendet hätte. Das Verfassungsgericht könnte ja, wenn es „zur Verhinderung drohender Gewalt dringend geboten ist“, der NPD jegliches öffentliche Auftreten untersagen (wie 1952 der Sozialistischen Reichspartei). Denkbar wäre auch gewesen, die Durchsuchung von Parteibüros und die Beschlagnahme von Beweismitteln anzuordnen (wie 1956 bei der KPD).
Von all dem konnte natürlich keine Rede sein, und zu keinem Zeitpunkt stellte die NPD eine Gefahr für die Berliner Republik dar. Gegenüber der auf Gesinnungen fixierten Interpretation des Artikels 21 Abs. 2 GG muss man auf dessen Wortlaut hinweisen: Die Frage, ob eine Partei verfassungswidrig ist, ist nicht nur „nach ihren Zielen“, sondern auch (und unseres Erachtens vor allem) nach dem „Verhalten ihrer Anhänger“ zu beurteilen. Doch in den weitschweifigen Ausführungen der drei vorliegenden Anträge wird keineswegs plausibel gemacht, dass die NPD eine gefährliche Partei ist. Einige wenige Gewalttaten einzelner Mitglieder lassen sich der Organisation als parteitypisches Verhalten nicht zurechnen – und der brutale Überfall auf Besucher der KZ-Gedenkstätte Kemna, für den zwei Funktionäre als Rädelsführer verurteilt wurden, erscheint im Kontext der Verbotsanträge als singuläre Tat.
Dass wegen der Aktivitäten der NPD keine Gefahr im Verzuge ist, davon gehen selbst die Antragsteller aus. Sie dramatisieren die Lage und befleißigen sich einer Rhetorik, die das Schlimmste befürchten lässt, betonen aber: „Ob die NPD … derzeitig reale Erfolgsaussichten hat, ob eine konkrete Gefahr … besteht, ist belanglos“ (Bundesrat).
Die Verbotsbetreiber, die nach dem V-Leute-Debakel in Zweckoptimismus machen, ahnen, dass ihnen nicht nur ein Beweisnotstand blüht, sondern die vom Gericht angedeutete Revision des Eröffnungsbeschlusses. Allzu sicher waren sie sich ihrer Sache, und sie haben von Beginn an unterschätzt, dass eine Partei nur mit Zweidrittelmehrheit verboten werden kann. Sollten also nicht mindestens sechs der acht Richterinnen und Richter im zuständigen Senat für das Verbot der NPD stimmen, kann deren Verfassungswidrigkeit nicht festgestellt werden. Und wenn der Zweite Senat, noch unter dem Vorsitz von Jutta Limbach, nicht ohnehin die Akten schließt, dann dürfte sich am Ende die auch von der Präsidentin des Verfassungsgerichts geteilte Meinung durchsetzen, dass sich eine selbstbewusste Demokratie mit Rechtsradikalen am besten argumentativ und seitens der Wähler mit dem Stimmzettel auseinander setzt.
Bundesregierung, Bundesrat und Parlament erleben ein Fiasko in ihrem „Kampf gegen rechts“, der sich in symbolischer Politik erschöpft und in eklatanten Verfahrensfehlern verhaspelt hat. Ernst Benda, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, der 1968 als Innenminister selbst einen – am Ende zu den Akten gelegten – Verbotsantrag gegen die NPD vorbereitete und der die aktuellen Anträge weiterhin begrüßt, hat den Verbotsbetreibern den Rat erteilt, die Anträge zurückzuziehen, sie substanziell zu überarbeiten und erneut einzureichen. Aber was wäre damit gewonnen? Anträge, die in der Substanz dürftig sind, lassen sich vielleicht von der einen oder anderen geheimdienstlichen Peinlichkeit befreien, nicht aber substanziell nachbessern.
CLAUS LEGGEWIE, HORST MEIER
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