: Collateral Damage
„Wofür wir kämpfen“ oder wie sich ein Kollektiv führender amerikanischer Intellektueller um Kopf und Kragen schreibt. Über einen Aufruf, der den gerechten Krieg verteidigt
58 amerikanische Intellektuelle haben einen gemeinsamen Text geschrieben, übertitelt „What We’re Fighting For“ (nachzulesen unter www.propositionsonline.com im Internet). Seit dessen Veröffentlichung vor rund zwei Wochen wird heftig gestritten – allerdings nicht in den USA, sondern in den europäischen Feuilletons. Da wird über die „wohlfeilen Allgemeinplätze“ gespöttelt (Die Woche), mancherorts reibt man sich die Augen über so viel „patriotische Korrektheit“ (NZZ) und wundert sich, dass nicht nur der strenge Samuel Huntington und der unvermeidliche Francis Fukuyama das Schriftstück unterfertigt haben, sondern auch Kommunitaristengurus wie Amitai Etzioni und Robert Putnam, ja sogar einige bedächtige Kritiker des US-Mainstreams, der linksliberale Michael Walzer etwa. Der hatte im Interview mit der Frankfurter Rundschau auch sichtlich genervt gefragt, was denn dabei sei, wenn in einer Stunde wie dieser Intellektuelle verschiedener Couleur versuchen, „eine gemeinsame Grundlage zu finden“. Nachsatz: „Ähnliche Anstrengungen wurden auch während des Zweiten Weltkrieges unternommen.“ Das sieht auch Jörg Lau so, der in der Zeit ausführt, es brauche schon einigen bösen Willen, das sorgsam ausgewogene Manifest „als Kreuzzugspropaganda zu denunzieren“.
Da hat er schon Recht. Geradezu rührend liest sich die Selbstkritik, die die Autoren jenen Passagen voranstellen, in denen sie die militärische Antwort der USA auf die Ereignisse des 11. September als „gerechten Krieg“ bewerten. Hier wird ein bisschen herumgehegelt, da manches Richtiges über religiöse Toleranz gesagt.
Und dennoch bleibt ein flaues Gefühl zurück. Warum? Zuvörderst verstört der Charakter des Textes – das Manifest, in dem eine repräsentative Gruppe amerikanischer Geistesmenschen der Welt etwas sagt. Es besteht eben ein Unterschied darin, ob ein solitärer Denker nach reiflicher Überlegung zu der Überzeugung gelangt, dass mehr für diesen Krieg als gegen ihn spricht, und dies auch öffentlich macht oder ob das in einer Verkündung einer Gruppe geschieht.
Der Text ist eben keine Selbstvergewisserung, sondern die pathetische Bekundung eines Schulterschlusses. Wer ist aber der Adressat dieses Textes? Wird versucht, die amerikanische Öffentlichkeit für die Ziele dieses Feldzugs einzunehmen, weil diese vielleicht schwankend wäre? Wird die Regierung gedrängt, den Krieg zur Verteidigung „amerikanischer Werte“ zu führen, weil die es bisher an Entschlossenheit fehlen ließ (wie das Intellektuelle vor dem Kriegseintritt der USA im Zweiten Weltkrieg taten). Nein, die amerikanische Öffentlichkeit und die Regierung tun ohnehin längst, was die Autoren für richtig halten. Ja, Bushs Kriegskabinett neigt, um das Mindeste zu sagen, schon zu einer gewissen Maßlosigkeit in diesem Tun, so dass selbst manche der Unterzeichner doch bereits kalte Füße bekommen müssten.
Der Text funktioniert in anderer Weise und ist ein Symptom für die Schieflage, in die die amerikanische Öffentlichkeit nach und nach gerät. Allenfalls ist den Autoren zugute zu halten, dass sie, indem sie die Grundlagen formulieren, auf deren Basis sie die bisherigen Etappen im „Krieg gegen den Terror“ als „gerecht“ bewerten, auch gleichzeitig die Grenzen für „gerechte“ Kriege ziehen. Man mag auch zugestehen, dass es – sei es auch zu nichts gut – doch auch kein Schaden ist, wenn den B-52-Bombern noch ein paar Bekenntnisse zu universalistischen Werten nachgeschickt werden.
Doch in erster Linie ist der Text selbst Ausdruck des Bekenntnissdrucks. „Seht her, wir sind keine vaterlandslosen Gesellen, in der Stunde der Not stehen wir einig mit unserem Volk“, wird da annonciert. Womöglich waren die Unterfertigten sogar ein klein bisschen über sich selbst gerührt, dass sie – allem sonstigen Hader zum Trotz – zu solch unorthodoxer Koalitionsbildung sich fähig erwiesen.
Ein erstaunliches Bekenntnis von knapp 60 Unpolitischen, möchte man beinahe sagen. Sie begreifen offenbar nicht, dass ein solcher Text sofort ein Eigenleben beginnt und dabei weitgehend irrelevant ist, was im zweiten, dritten oder vierten Absatz genau steht. Also, noch einmal, sozusagen zum Mitschreiben: Der einzelne Denker mag sich durchaus im Konsens mit seinen Mitbürgern, mit der politischen Führung seines Landes befinden und dies auch öffentlich kundtun. Da ist gar nichts dabei. Doch wenn ein Kollektiv von Intellektuellen ein Manifest verfasst, um in Zeiten des Krieges – und nicht zuletzt der Hysterie – diesen Konsens pathetisch zu bestärken, dann ist da sehr viel dabei.
Doch nicht nur diese Umstände machen dieses Manifest zu einem seltsamen Dokument. Verstörend wirkt auch, dass eine politisch-literarische Textgattung artfremd benützt wird. Nun könnte man einwenden, dass wir einfach in unserer Lektüregewohnheit irritiert sind. Weil Intellektuellenpamphletismus, der mit Sätzen wie „Wofür wir kämpfen“ übertitelt und mit Unterschriftenlisten beendet wird, in aller Regel einen Dissens markiert, sind wir eben verstört, wenn solcherart Affirmation betrieben wird.
Womöglich gibt es aber allen Grund für diese Irritation. Diese Textform funktioniert dann, wenn innerhalb einer Gesellschaft Differenzen ausgetragen werden – und sie kippt ins Lächerliche, wenn sie Konsens produzieren, vor allem aber wenn sie einen bereits existierenden Konsens unterstreichen will.
Um dies an einigen Beispielen zu verdeutlichen: Wenn die Friedensbewegung in der Bundesrepublik gegen Einsätze deutscher Soldaten in Kriegshandlungen demonstriert, dann ist das – völlig unabhängig von der inhaltlichen Bewertung der so vertretenen politischen Position – vollkommen adäquat, da es innerhalb der hiesigen Öffentlichkeit relevante Kräfte gibt, die die gegenteilige Haltung verfechten. Wenn im Baskenland hunderttausende gegen den Terror der ETA auf die Straße gehen, dann hat dies auch brennende Aktualität, selbst dann, wenn der überwiegende Teil der baskischen Öffentlichkeit bereits gegen diesen Terror wäre – denn immerhin bezieht sich dieser Terror in seiner Selbstlegitimation auf ein fiktives Interesse des baskischen Volkes. Etwas lächerlich aber ist es, wenn – wie nach dem 11. September am Brandenburger Tor geschehen – in Deutschland gegen den Terror der al-Qaida demonstriert wird. Denn innerhalb der deutschen Öffentlichkeit gibt es keine relevanten Gruppen, die dem Terror der al-Qaida positiv gegenüberstünden. Seien wir doch ehrlich: Wann immer mit großer manifestierender Geste eine politische Haltung bezogen wird, die ohnehin unumstritten ist, dann hat dies etwas Groteskes – mindestens.
Meist aber auch etwas Gefährliches: Weil solche Aktivitäten fast immer Ausdruck eines Meinungsdrucks sind, der freie Debatten unterbindet, weil sie notwendigem Dissens die Luft abschnüren. Und dies gilt, da mag in dem Text noch so viel Richtiges enthalten sein, auch für das Manifest unserer 58 amerikanischen Geistesprinzen.
ROBERT MISIK
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