: „Hier herrscht Chaos“
Tausende verlassen das Land, aber er bleibt bei dem, was er angefangen hat: Ein Gespräch mit dem Galeristen Jack Persekian, der in Israel auf eine junge Generation palästinensischer Künstler baut
Interview ANDREA KASISKE
taz: Warum sind Sie 1992 nach Palästina zurückgegangen? In den USA hätten Sie mit Kunst viel mehr Geld machen können?
Jack Persekian: Natürlich. Ich hatte mit einer Reihe von Palästinensern aus den besetzten Gebieten zu tun, die im Bereich Kunst arbeiten. Ich habe einige Dinge für sie von den USA aus in die Wege geleitet. Für mich hat es irgendwann sehr viel mehr Sinn gemacht, gemeinsam hier zu arbeiten, etwas entstehen und sich entwickeln zu sehen. Das war zum Anfang der Friedensverhandlungen, am Ende des Golfkrieges. Bush hielt seine berühmte Rede vor dem Kongress. Es gab die Hoffnung, dass sich eine Lösung anbahnt, und das Gefühl, ich möchte mit dabei sein, wenn sich etwas ändert. Das hat mich bewogen zurückzukommen, nicht nur mich. Es kamen viele Palästinenser von außerhalb zurück mit verschiedensten Initiativen. Das wurde auf breiter Basis von der palästinensischen Autonomiebehörde unterstützt. Unglücklicherweise sind wir jetzt völlig hilflos angesichts der Situation, wir haben keine Lösung, und die Hoffnung schwindet.
Die Menschen verlassen das Land?
Ja, hunderte, tausende. Die Leute ergreifen jede Gelegenheit, um das Land zu verlassen. Es ist möglich, nach Australien oder Kanada auszuwandern, für diejenigen, die genug Geld haben.
Kamen Sie mit der Idee, eine Galerie aufzumachen?
Das war nicht ganz klar. Ich dachte, wenn so viele Leute zurückkommen, gibt es vielleicht einen Markt für Kunst. Aber das stimmt nicht, es hat nie einen Markt gegeben. Aber ich war inzwischen so stark in die Sache involviert, dass ich weitermachen musste. Ab einem bestimmten Punkt war das wichtiger als ich selbst. Die Arbeit nur wegen des Geldes aufgeben? Was bin ich dann wert? Ich bleibe bei dem, was ich angefangen habe. Vielleicht bin ich ja einfach zu faul, auch zu faul, das Land zu verlassen.
Ist palästinensische Kunst notwendig politisch?
Nicht notwendig, aber das Leben ist so eingebunden in Politik, ich meine, die fehlenden Möglichkeiten, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen, die Abwesenheit eines normalen Lebens, diese düstere, verzweifelte Atmosphäre, die einen umgibt. Alles um einen herum wirkt irgendwie tot. Als Künstler ist es da sehr schwer, sich zu einer Form von Kreativität und Inspiration aufzuschwingen. Das ist fast unmöglich. Gute Künstler schaffen es, die Politik zu berühren, aber trotzdem verschiedene Ebenen in ihrer Kunst zu haben, unterschiedliche Interpretationen zu eröffnen und Grenzen zu überschreiten.
Wie ist die Situation für Künstler in Palästina?
Die Kunst war immer stark davon geprägt, welche politische Botschaft mit ihr befördert werden sollte, welche Aktivitäten sie unterstützen sollte. Auch heute noch gibt es diese Kunst, die eher Propaganda ist, eher eine Solidaritätsgeste an die Palästinenser. Meiner Meinung nach spielt Kunst, wenn man sich umschaut, einen wichtigen Part im Diskurs über das Leben, über dessen Veränderung. Das sind Ideen, Gedanken und Themen, die die Gesellschaft betreffen. Diese Art von Einmischung ist es, die mich interessiert; das will ich machen, wenn ich schon kein Geld mache. In der Zusammenarbeit mit Künstlern kann ich ihre Konzepte unterstützen, ein Forum bieten für Ausstellungen, aus einer Position, die stärker die Qualität, die Materialität der Kunst berücksichtigt als früher.
Sie haben zusätzlich zur Galerie das künstlerische Netzwerk Al-Ma’mal gegründet?
Wir haben da einen Ort, wo Projekte, Workshops, Begegnungen und Ausstellungen stattfinden können. Wir halten dort auch Workshops für Kinder ab, weil wir glauben, dass wir die junge Generation erreichen müssen, dass wir ihr die Kunst nahe bringen müssen, dass vielleicht einige auch in unsere Fußstapfen treten werden. Wir wollen eine Kontinuität erreichen durch eine Einbindung der Jugendlichen. Darüber hinaus funktioniert Al-Ma’mal als Netzwerk von Künstlern, Institutionen und Kulturschaffenden.
Gibt es Kunsthochschulen in Palästina?
Das ist das Problem, wir haben Akademien, die Al-Kuds-Universität in Abu Dis hat eine Abteilung für Schöne Künste, Nablus und die islamische Universität in Gaza. Aber die Qualität der Lehrer ist, gelinde gesagt, äußerst dürftig. Es gibt nur den Austausch zwischen Lehrenden und Studenten, keinen Input von außen, keine Ausstellungskataloge, keine Zeitschriften, gar nichts. Nur Lehrer, die vor 40 Jahren in der UdSSR ausgebildet wurden. Deshalb war ich so daran interessiert, dieses „Fenster“ nach draußen aufzumachen, den Künstlern zu ermöglichen, ihre Arbeiten wirklich in einem Kunstkontext auszustellen und nicht als „Solidaritätsveranstaltung mit Palästina“.
Konnten Künstler in den letzten Jahren mehr Anregungen bekommen, außerhalb Palästinas studieren?
Es geht langsam, nur wenige sind in der Lage, außerhalb des Landes zu studieren, ein oder zwei. Aber es gibt eine junge Generation von Palästinensern, die in Israel lebt und dort an den Kunstakademien studiert hat. Sie kommen her und beeinflussen langsam die palästinensische Kunstszene. Sie haben diesen frischen Ansatz im Material, in ihrer Herangehensweise an Themen, Konzepte. Sie bringen die alte Vorstellung von politischer Kunst gründlich durcheinander.
Warum verkauft sich diese Kunst – selbst Mona Hatoum –nicht?
Es gibt einen Sammler, der systematisch palästinensische Kunst kauft und eine wirklich gute Sammlung hat. Ich habe ihm gesagt, Mona ist eine der wichtigsten palästinensischen Künstler, kaufen Sie eine Arbeit! Die Antwort war: Was soll ich mit ihrer Arbeit machen, die kann man nicht aufhängen. Er hat keine gekauft.
Von der israelischen Seite kommt niemand?
Nein. Es gibt im Moment keinen Kontakt zur israelischen Seite. Keiner würde etwas kaufen. Vor Jahren hat ein Amerikaner dem Israel-Museum eine große Arbeit von Mona Hatoum geschenkt, das war eine große Sache.
Gibt es einen gewissen Druck, sich von den Israelis fern zu halten?
Die sollen mal langsam zur Vernunft kommen, diesen ganzen Wahnsinn aufhören. Als Minimum muss die Besatzung aufhören, diese ganze Gewalt, einzig, um Menschen zu unterwerfen.
Hatten Sie israelische Freunde, die sie nicht mehr sehen?
Ja, ich gehe nicht mehr nach Westjerusalem, und sie kommen nicht mehr hierher.
Telefonieren Sie, gibt es E-Mails?
Wenige, viel weniger als früher. 1994/95 haben wir gedacht, wir könnten etwas bewirken. Wir haben uns getroffen, gemeinsame Projekte veranstaltet, um die Künstler zusammenzubringen. Aber das geht nicht mehr. Während der ersten Intifada haben wir gesehen, dass man hier anfing, Kollaborateure zu verfolgen und umzubringen. Dass irgendjemand einen anderen beschuldigte, weil er ihn aus einem x-beliebigen Grund hasste. Wir haben einige Storys gehört, wo die Leute der Kollaboration angeklagt waren, umgebracht wurden und sich dann rausstellte, dass sie nichts damit zu tun hatten, sondern dass jemand schlicht ihren Tod wollte. Das ist ein Zustand von Rechtlosigkeit, der sich langsam wieder einschleicht.
Auf der palästinensischen Seite traut sich keiner, Arafat zu kritisieren?
Das ist nicht das Gleiche, es ist hier nicht wie in Israel, wo es ein Regierungsoberhaupt gibt, eine Armee und so weiter. Hier herrscht, wie ich schon sagte, Chaos. Ich kann mal eben entscheiden, dass ich diesen Typ nicht mag, und bringe ihn um. Das können ein, zwei Leute sein, die das machen, und das klappt.
Gibt es keine Kontrolle?
Nein, die Lage ist wirklich außer Kontrolle geraten. Der Security-Apparat ist komplett demoralisiert. Es gibt kaum noch Geld, sie versuchen sich und ihre Familien über die Runden zu bringen. Dieser Sicherheitsapparat wurde aus einem riesigen Spektrum von Leuten zusammengesetzt, von den Gebildeten bis hin zu quasi Analphabeten, von links bis rechts, von reich bis arm. Das ist keine Armee, wo die Leute ausgebildet werden, wo sie stromlinienförmig gemacht werden. Es gibt dreizehn verschiedene Sicherheitsabteilungen, von denen wir wissen, dazu kommen die, von denen wir nichts wissen. Dann gibt es noch die militärischen Flügel der Parteien, und die sind gegen Arafat. Es gibt Hamas, Dschihad, PFLP, Demokratische Front, und dann gibt es noch die Leute in Syrien, die gegen alles sind, was hier passiert, und auch die haben ihre Anhänger.
In Deutschland gibt es oft die Forderung, die Palästinenser sollten gegen die Gewalt und gegen die Selbstmordattentate demonstrieren.
Wenn mich jemand fragen sollte, gehst du demonstrieren, würde ich es nicht machen. Gegen wen soll ich demonstrieren? Auf die Straße gehen, auf welche Straße? Unter wessen Kontrolle ist diese Straße? Soll ich von hier aus hundert Checkpoints passieren, um nach Ramallah zu gelangen und dort vor Arafats Sitz demonstrieren? Über allem steht aber die Besatzung und die Art, wie sie durchgeführt wird. Die Besatzer, die alle Machtmittel haben und sie in einer sehr inhumanen Weise anwenden. Okay, ich kann vielleicht demonstrieren gehen und sagen, stopp die Gewalt, aber zur gleichen Zeit erfahre ich sie jeden Tag, überall.
Wie ich sagte, Israel hat eine Armee, ein System, mit dem man die Dinge kontrollieren kann. Hier gibt es kein System, mit dem man irgendetwas kontrollieren könnte. Leute schreiben Artikel in den Zeitungen, ich glaube nicht, dass die Leute, die die Selbstmordattentate planen, Radio hören oder überhaupt Zeitung lesen. Sie haben sich das in den Kopf gesetzt, und sie machen es. Das Einzige, was diese Leute stoppen könnte, ist – langfristig gesprochen – eine bessere Bildung, die das menschliche Leben und dessen Würde achtet.
Erwarten Sie, dass die Israelis den ersten Schritt tun?
Wenn Sie mich fragen, ich denke, die Israelis müssen ihren Staat komplett umgestalten. Ich sehe nicht, dass Religion für eine Staatsbürgerschaft ausschlaggebend sein soll. Warum, um alles in der Welt, kann man mir, der ich hier geboren bin, meinem Vater, der Eigentum besitzt, falls wir für einige Jahre woandershin gehen würden, den Besitz enteignen und das Recht auf Rückkehr versagen? Während jeder Jude, der irgendwo geboren ist, meinetwegen in Sibirien, hierher kommen kann, die volle Staatsbürgerschaft erhält und alles bekommt? Alles, was eigentlich mir gehört. Denn wenn ich weg bin, fällt mein Eigentum unter die Regelung der Abwesenheit und kann von der Regierung kontrolliert werden.
Die Israelis haben doch auch Verpflichtungen gegenüber den Jerusalemer Palästinensern?
Nimm irgendeinen Weg nach rechts und du wirst sehen, wie gut die Straßen aussehen, wunderschöne Parks, wunderbare Kinderspielplätze, und dann gehst du auf die andere Seite und du hast Slums. Vor unserem Haus sieht es aus wie in einem Slum, es gibt keine Straße, nur Lehm, Dreck. Es gibt keinen Platz für meine Kinder, wo sie spielen können, nur die Straße, aber die ist gefährlich. Gut, du sagst, ich will mich beschweren, ich bezahle keine Steuern mehr. Die Antwort: Nimm dir einen Anwalt, geh zum Gericht, klage, und falls der Richter – der ein Israeli ist und von dem System profitiert – dir Recht geben sollte, dann können wir immer noch sehen. Das dauert einige Jahre. Sie behandeln dich wie Dreck, als ob du kein Mensch wärst. Sie machen alles dafür, dass wir gehen. Und wie ich sagte: Wer die Möglichkeiten hat, geht.
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