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Karsli-Krise wird zu Fall Möllemann

Machtwort von FDP-Chef Westerwelle kommt verdächtig spät – und ist bisher wirkungslos. Möllemann bleibt stur: Über Karsli wird erst im Juni entschieden. Auch die Union geht auf Distanz. Cohn-Bendit: „FDP ist eine antisemitische Partei“

von EBERHARD SEIDEL

Noch vor einer Woche ließ sich Guido Westerwelle von seiner FDP als Kanzlerkandidat bejubeln. Frei von jeglichem Selbstzweifel schien die Partei zum Höhenflug anzusetzen und die Konkurrenz das Fürchten zu lehren. Jetzt, zehn Tage später, trägt die Spaßpartei ein zerknirschtes Gesicht. Jürgen Möllemann, Vorsitzender der nordrhein-westfälischen FDP, hat die Partei in eine tiefe Krise gestürzt. Der Erfinder des Projekts 18 hatte dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, vorgeworfen, dieser sei mit seiner „intoleranten, gehässigen Art“ mitverantwortlich für den Antisemitismus. Der „Fall Karsli“ wurde so zum „Fall Möllemann“.

Möllemann ist mit seinem Festhalten am Landtagsabgeordneten Jamal Karsli, der von den Grünen zur FDP übergetreten ist, inzwischen weitgehend isoliert. Nachdem sich in der vergangenen Woche neben Otto Graf Lambsdorff und Hildegard Hamm-Brücher immer mehr FDP-Prominenz gegen die Aufnahme Karslis in die Partei ausgesprochen hatten, brach auch FDP-Chef Westerwelle als einer der Letzten der Führungsriege sein Schweigen. Er forderte die nordrhein-westfälische FDP auf, sich wieder von Karsli zu trennen. Den hatte der Ortsverband Recklinghausen erst am Mittwoch aufgenommen. „Karsli hat nach seinen inakzeptablen Äußerungen keinen Platz in der FDP“, erklärte Westerwelle.

Westerwelles Kritik kommt verdächtig spät. Schließlich ist der FDP seit dem 24. April bekannt, wer mit Karsli in die Partei drängt. Bereits im April sprach Karsli von „Nazi-Methoden der Armee Israels“ und vor zwei Wochen machte Karsli in einem Interview mit der Jungen Freiheit einen angeblich großen Einfluss der „zionistischen Lobby“ in den Medien aus.

Trotz Westerwelles „Machtwort“ zur Karsli-Krise hat sich diese längst zu einer Möllemann-Krise entwickelt. Bereits am Freitag hat die Grünen-Parteichefin Claudia Roth gegen Möllemann Strafanzeige wegen Volksverhetzung und übler Nachrede gestellt. Bundeskanzler Gerhard Schröder forderte die FDP-Führung auf, sich zu distanzieren. Und CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer erklärte mit Blick auf Möllemann, Regierungsmitglieder mit solchen Positionen werde es in einer unionsgeführten Regierung nicht geben.

Nicht nur die Jungsozialisten fordern weiter reichende Konsequenzen – wie den Ausschluss Möllemanns aus der FDP. Der Europaabgeordnete der französischen Grünen, Daniel Cohn-Bendit, hält einen Rücktritt Möllemanns als Vorsitzenden der NRW-FDP für zwingend: „Die FDP wird so lange eine antisemitische Partei sein, wie Herr Möllemann nicht zurückgetreten ist“, sagte er am Samstag in Berlin. Solange dessen Rückzug von führenden Persönlichkeiten der FDP wie Otto Graf Lambsdorff und Hans-Dietrich Genscher nicht durchgesetzt werde, „billigen auch sie aktiv, was Möllemann gesagt hat“.

Möllemann habe mit seiner Kritik an Friedman „das uralte Schema faschistischer Parteien aufgegriffen“, führte Cohn-Bendit aus. Danach würden den Juden bescheinigt, sie seien selbst schuld am entstehenden Antisemitismus, sobald sie „unangenehm“ würden. „Das war kein Ausrutscher“, hielt Cohn-Bendit Möllemann vor, „sondern Teil der Wahlkampfstrategie, um 18 oder 20 Prozent zu kriegen.“ Cohn-Bendit erinnerte daran, dass der frühere Grünen-Bundesvorstandssprecher Hans-Christian Ströbele zurücktreten musste, weil er während des Golfkrieges Israel eine Mitschuld an den Raketen des Iraks auf Israel gegeben hatte.

Trotz der Kritik will FDP-Vize Möllemann vorerst nicht einlenken. Er lehnte es ab, die Sondersitzung des nordrhein-westfälischen FDP-Vorstands zum Fall Karsli vorzuziehen, die für den 3. Juni geplant ist. Und der FDP-Politiker Oliver Bieber will Außenminister Joschka Fischer wegen übler Nachrede anzeigen. Fischer habe die FDP als „Hort des Antisemitismus“ und „Sammelbecken für antiisraelische Positionen“ bezeichnet.

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