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Jürgen Möllemann im Abgeordnetenhaus

Gut gemeint war die Idee, Stellung zu beziehen gegen Antisemitismus. Plötzlich aber schwebt Möllemann wie ein Gespenst durchs Parlament – und kann erst kurz vor Mitternacht vertrieben werden. Eine Chronik symbolischer Politik

Das gut gemeinte Signal gegen Antisemitismus droht plötzlich zum Fiasko zu werden

Dienstag: Bei der Fraktionssitzung von Bündnis 90/Die Grünen präsentiert Volker Ratzmann, der junge stellvertretende Vorsitzende, einen Antrag unter dem Titel „Für Antisemitismus gibt es keine Rechtfertigung.“ Eine gute Idee, finden alle. Gut, weil Berlin so zeigt: Antisemitismus hat bei uns keine Chance. Besonders gut, weil man die FDP-Fraktion in die rechte Ecke schieben kann. Die Berliner Liberalen haben es bisher geschafft, sich durch heftiges Distanzieren die Möllemann-Debatte halbwegs vom Leibe zu halten.

Mittwoch: Die Grünen verständigen die Fraktionsspitzen von Sozialdemokraten und PDS. Dort ist man begeistert – bis man den Ratzmann-Text liest. Die Passage: „Der Versuch, der jüdischen Bevölkerung die Verantwortung für zunehmenden Antisemitismus zuzuschieben, ist absurd …“ stößt auf Bedenken, dies könne man eigentlich selbst Möllemann nicht vorwerfen. SPD-Sprecher Stadtmüller formuliert um: Der „Grundkonsens aller Demokraten“ wandert in den Text. Eigentlich gehört die CDU ja auch zu den Demokraten. Die SPD nimmt Kontakt zur CDU auf, behauptet die SPD. Die Grünen haben schon vorher bei der CDU angefragt, behaupten die Grünen.

Donnerstag: Uns hat bis heute niemand gefragt, sagt die CDU. Fraktionchef Frank Steffel ist zudem der Meinung, auch die FDP gehöre – Mölleman hin, Möllemann her – noch immer zu den Demokraten. Und solle die eigentlich gegen sie gerichtete Resolution mittragen. Zur Not müsse man noch ein bisschen umformulieren. 12 Uhr: Dummerweise hat die FDP schon eine Pressekonferenz angesetzt. Fraktionschef Martin Lindner kennt nur den alten Ratzmann-Antrag. Dessen Inhalt sei „lügenhaft“ und zudem eine Frechheit. Im Übrigen, so Lindner, könne er keinen landespolitischen Bezug erkennen.

13 Uhr: Die Parlamentssitzung beginnt. Erstes Thema: Verbraucherschutz. Wahres Thema: Kommt der Antrag zustande oder nicht. Ausgerechnet die Möllemann-kritischen FDP-Abgeordneten sind jetzt in der Defensive: Martin Matz, der innerparteilich Unterschriften gegen den NRWler sammelt, und Wolfgang Jungnickel, der dessen Rücktritt von Parteiämtern forderte, werden per Fraktionsdisziplin zum Schulterschluss mit dem Populisten gezwungen.

14 Uhr: Noch immer steht der Antrag nicht. Das Fernsehen überträgt aber nur vier Stunden live aus dem Parlament. Einigt man sich nicht schnell, gibt es keine Bilder vom Berliner Signal gegen Antisemitismus. Die SPD-Fraktionsspitze ringt mit der CDU um jedes Wort. Steffel schlägt vor, auf den Namen Möllemann und die Nennung der FDP zu verzichten. Einige Grüne wollen nachgeben, Fraktionschefin Sibyll Klotz nicht. Die Journalisten kabeln in die Redaktionen: Einigung fraglich. Was als Signal gegen Antisemitismus geplant war, droht ein Erfolg für Möllemann zu werden.

14.40 Uhr: SPD und CDU schrauben an einem Minimalkonsens. Der Antrag ist nur noch zwei Absätze lang. Plötzlich Ärger aus neuer Richtung. Einige PDSler merken an, mit Ausgrenzungsbeschlüssen habe man eigentlich keine guten Erfahrungen gemacht. 15.23 Uhr: Steffel zieht Lindner in die letzte Parlamentsreihe. Jetzt versucht der CDU-Fraktionschef den FDPler vom ursprünglich grünen Antrag zu überzeugen, den die SPD neu formuliert hat. Lindner kategorisch: „Ich verhandele nicht, wir nehmen an der Abstimmung nicht teil.“ 15.25 Uhr: Steffel diskutiert mit seinen Leuten, ob man mitmacht. Lindner beschwört seine FDPler, auf Linie zu bleiben. SPD und Grüne üben sich in Textkritik und Exegese. Die PDS verständigt sich darauf, für das Signal gegen Antisemitismus ein bisschen Ausgrenzung in Kauf zu nehmen. Auf dem Podium wird übrigens über Verbraucherschutz gesprochen. 15.32 Uhr: Im Springer-Hochhaus entscheidet die Berliner Morgenpost: Für die erste Ausgabe kriegen wir das Signal gegen Antisemitismus nicht mehr mit. 15.33 Uhr: Wird am Ende nicht nur die FDP, sondern auch die CDU nicht gegen Antisemitismus stimmen? Berlin wäre in der ganzen Republik blamiert. Steffel textet jetzt selbst: Mit grüner Tinte streicht er die FDP und schreibt für den Lokalbezug die Beriner Jüdische Gemeinde in den Text. 15.45 Uhr: Steffel kniet mit seiner Überarbeitung bei Christian Gaebler (SPD). Am Mikro fordert Kai Wegner (CDU) die Abschaffung der Ökosteuer, weil der Euro sowieso alles teurer mache. 16 Uhr: Der von Steffel und Gaebler handschriftlich umformulierte Text wird noch mal abgetippt – in den Büros der PDS. Anzahl der Sätze, die noch mit dem Ursprungsantrag übereinstimmen: Null. 16.12 Uhr: Die Rednerin Ingeborg Simon (PDS) erklärt: „In der kapitalistischen Gesellschaft gibt es keine Insel der Öko-Seligen.“ Keiner hört zu, denn PDS-Geschäftsführer Uwe Doering eilt im türkis-ostigen Jacket durch die Reihen und verteilt die neue Version. Macht die CDU jetzt mit beim Signal gegen Antisemitismus oder nicht?

16. 30 Uhr: Hurra. Der Konsens der Demokraten (minus FDP) ist gerettet: Das Wort FDP taucht in der Resolution nicht auf, der Name Möllemann einmal. Die CDU wird zustimmen. Die späte Einigung hat allerdings zur Folge, dass die Resolution erst kurz vor Mitternacht verhandelt wird. Nicht die klassische Zeit, um ein Signal um die Welt zu senden. Vielleicht wird es sogar noch später. Es soll noch eine Aussprache geben. Man ist sich einig: Es besteht noch Redebedarf. ROBIN ALEXANDER

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