: Liberale Juden gegen FDP
Prominente Altliberale Susanne Thaler verlässt Partei: „Ich habe Angst.“ Heute demonstriert die Jüdische Gemeinde gegen „Versuch, mit antisemitischen Parolen Wahlkampf zu machen“
von ROBIN ALEXANDER
Die FDP kommt im Streit über die als antisemitisch verstandenen Äußerungen Jürgen Möllemanns nicht zu Ruhe. In der Hauptstadt verlässt jetzt sogar eine prominente Altliberale die Partei. Die 64-jährige Susanne Thaler tritt aus der FDP aus, die jahrzehntelang ihre politische Heimat war. Sie arbeitete für die Partei im Bundesvorstand, im Berliner Landesvorstand und leitet den Ortsverband Dahlem. Die Nichte der bekannten Schauspielerin Steffie Spira ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Im Nationalsozialismus war Thaler gemeinsam mit ihrem Bruder und ihren Eltern im Lager Westerbork interniert.
„Möllemanns Äußerungen, die mindestens eine Entschuldigung verlangen, sind nicht der Grund meiner Entschiedung“, sagte Thaler der taz: „Ich bin enttäuscht von den Führungsgremien der FDP.“ Die „Schwäche von Westerwelle“, so Thaler, sei „unerträglich“. Es sei „unfassbar“, dass ein „Vorstand mit Genscher, mit Lambsdorff, mit Kinkel es nicht schafft, die Aufnahme des Abgeordneten Karsli in die FDP-Fraktion in Nordrhein-Westfalen zu verhindern.“ Die Entwicklung der FDP „macht mir als Jüdin Angst. Ich habe schlaflose Nächte.“ Es habe Gespräche mit führenden FDPlern gegeben, aber – so Thaler: „Ich möchte nicht länger das jüdische Feigenblatt der FDP sein.“
Besonders empört hat sie ein persönlicher Brief von Guido Westerwelle, der sie gestern erreichte. Darin weist der FDP-Vorsitzende ihre Angst als unbegründet zurück. Der Brief endet mit dem Postskriptum: „Nur mit 18 Prozent kommt Deutschland wieder nach vorn!“
Ein anderer prominenter Berliner Freidemokrat jüdischer Herkunft sah sich gestern heftiger Kritik aus der FDP ausgesetzt. Wolfgang Jungnickel, kulturpolitischer Sprecher der FDP im Berliner Abgeordnetenhaus, hatte am Wochenende in einem „FDP auf Höllenfahrt“ überschriebenen offenen Brief sogar die Ablösung von Parteichef Westerwelle gefordert: „Um Schaden von den Liberalen abzuwenden, muss sich die Partei von beiden Vorsitzenden, Jürgen Möllemann und Guido Westerwelle, trennen.“ Jungnickel hat einen jüdischen Familienhintergrund, zudem organisiert er für die Simon-Pfeiffenberger-Stiftung Kulturprojekte in Israel.
Auf Verständnis bei seinen Fraktionskollegen stieß Jungnickel mit seinem offenen Schreiben allerdings nicht. „Eine absurde Einzelmeinung“, schimpfte Fraktionschef Martin Lindner. Schon am Montagabend hatte der Fraktionschef dem Abgeordneten telefonisch sein Missfallen ausgedrückt. Jungnickel blieb zunächst bei seiner Meinung, hielt jedoch in der gestrigen Fraktionssitzung dem Druck nicht länger stand. Anschließend erklärte der 74-Jährige, er halte an seiner Forderung nach dem Rücktritt von FDP-Chef Westerwelle nicht mehr fest, „um die Kampagnenfähigkeit der Partei im Wahlkampf zu erhalten“. An seiner Kritik an Möllemann hielt er jedoch fest, dieser habe „antisemitische Ressentiments“ geweckt, was gerade für jüdische Menschen mit Erfahrungen in der Nazizeit eine Zumutung sei. „Hier stellen sich Erinnerungsbilder ein, die für die Betroffenen ganz unerträglich sind.“
Die Jüdische Gemeinde zu Berlin ruft für heute zu einer Demonstration vor der FDP-Bundesgeschäftsstelle auf unter dem Motto: „Gegen den Versuch der FDP, mit antisemitischen Parolen Wahlkampfpropaganda zu machen“. Teilnehmen werden neben Thaler und Jungnickel auch andere Persönlichkeiten, die der FDP nahe stehen oder sogar Mitglied der Partei sind. Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gehört auch Bärbel Bohley. Noch im Wahlkampf hatte die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Wahlkampf für die Liberalen gemacht, um eine Regierungsbeteiligung der PDS verhindern.
Die Demonstration, die heute um 17 Uhr vor der Bundesgeschäftstelle in der Reinhardtstraße im Bezirk Mitte stattfindet, haben neben der Jüdischen Gemeinde auch das American Jewish Commitee und der Jüdische Kulturverein organisiert. Auch der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) ruft seine Mitglieder zur Teilnahme auf. In einer Mitteilung der Organisation hieß es, die FDP suggeriere zurzeit das Bild, Menschen islamischen Glaubens seien antisemitisch.
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