: „Staaten haben keine Freunde“
Interview JENS KÖNIGund PATRIK SCHWARZ
taz: Herr von Thadden, als Sie 1999 Koordinator für deutsch-französische Zusammenarbeit wurden, war Europa rot …
Rudolf von Thadden: … halbwegs!
Jetzt ist Europa schwarz …
… halbwegs!
Von Rot zu Schwarz – was haben Sie falsch gemacht?
Was heißt „Sie“? Die Entwicklung hat doch nicht ihren Ursprung im deutsch-französischen Verhältnis. Österreich, Italien, Schweiz, Holland – das ist eine breite Welle. Schon für den Deutsch-Französischen Gipfel in Freiburg vor einem Jahr haben wir zehn Thesen erarbeitet und sind zum Schluss gekommen, dass in Europa der Rechtsradikalismus wächst.
Ist das nicht ein bisschen hart formuliert?
Ich spreche ja nicht von Rechtsextremismus – der kommt von den Rändern der Gesellschaft. Rechtsradikalismus meint, dass die Gefahren genauso in der Mitte der Gesellschaft sind. Auch Hitler kam nicht von den Rändern, sondern aus der Mitte. Das wiederum spricht sehr viele Leute aus dem Bürgertum an.
Auch die Linke hat auf die Mitte gesetzt, Schröder vor allem. Warum erlebt Europa trotzdem eine rechte Renaissance?
Die Menschen haben ein starkes Sicherheitsbedürfnis. Zugleich haben die Ängste der Bevölkerung zugenommen, vor allem die Identitätsängste: vor Einwanderung, vor Brüssel, vor der Osterweiterung, vor der Globalisierung. Die Linke hat das in ihrer politischen Argumentation häufig unterschätzt. Wer angesichts dieser Ängste nur die wirtschaftlichen Interessen an der europäischen Integration in den Vordergrund stellt, kann Europa nicht weiterbauen. Wirtschaft ist wichtig, ich bin ja nicht weltfremd, aber es gibt keine Wirtschaft ohne Menschen.
Wenn Sie auf Ihre Arbeit der vergangenen vier Jahre zurückblicken: Waren Sie der europapolitische Angsttherapeut der Bundesregierung?
Manche hätten das gerne: Die Politik machen wir in den politischen Gremien, und der Thadden soll sich um die Software kümmern. Aber für mich ist auch Angst ein politischer Faktor. Ein Abgeordneter, der eine Wahl gewinnen will, muss darauf Rücksicht nehmen, wie er das tut, ohne Europaängste zu schüren. Ich bin kein Prediger, aber ich versuche, Politiker auf Sackgassen aufmerksam zu machen.
Aber zeigt nicht der deutsch-französische Streit um die Agrarsubventionen, dass es mit der europäischen Einigkeit vorbei ist, sobald es um Geld geht?
Nicht ganz, aber ich kann nur warnen: Vorsicht mit billigem Gerede von der deutsch-französischen Freundschaft! Friede, Freude, Eierkuchen – das ist ein sehr deutsches Wort. Die Franzosen haben großen Sinn für die Wahrnehmung ihrer Interessen und weniger Scheu vor Konflikten. De Gaulle hat gesagt: Staaten haben keine Freunde, sondern nur Interessen. Dass die Gegensätze in der Agrarpolitik riesig sind, ist unvermeidlich. Frankreich ist das, was bei uns Ostelbien in der Weimarer Republik war: Es ist geprägt von riesigen Agrargebieten und einer weitgehend ländlichen Gesinnung. Jedes Land lebt mit seiner Geografie.
Das heißt, Schröder schert sich nicht um Frankreich, wenn er auf Einschnitten bei den Agrarsubventionen beharrt?
Diesen Streit mit den Franzosen müssen wir durchstehen. Wir können uns doch nicht auf das Abenteuer der EU-Osterweiterung einlassen, ohne zuvor die Agrarsubventionen in Westeuropa zu regeln. Sonst gehen wir alle in die Knie – die alten und neuen EU-Mitglieder zusammen. Trotzdem wäre ich dagegen, jetzt aus Überdruss über die Franzosen einfach zu sagen: Gut, dann verbünden wir uns mit den Engländern, Spaniern oder Italienern.
Wird denn ab September alles einfacher?
Warum?
Weil dann vielleicht Edmund Stoiber Bundeskanzler ist – und auch Deutschland eine konservative Regierung hat.
Mit Stoiber wird es nicht leichter im deutsch-französischen Verhältnis, ganz im Gegenteil. Über eine so genannte Wertegemeinschaft wird in konservativen Parteien ja immer gerne philosophiert. Doch wenn Stoiber auf Chirac stößt, werden ganz harte Interessengegensätze aufeinander prallen. Dafür sorgt schon die bayerische Bauernklientel.
Auch Schröder hat die französischen Landwirte vergrätzt.
Sie können als Beispiel für Stoibers Schwierigkeiten auch die Berücksichtigung der Regionen in Europa nehmen. Die CSU steht für eine Stärkung der Bundesländer in der EU. Da werden die Franzosen nicht mitmachen. Frankreich ist ein Zentralstaat, daran wird der bayerische Ministerpräsident sich die Zähne ausbeißen. Oder die Stellung der Kirchen in Europa: Bei uns kämpft Stoiber für den Religionsunterricht in den Schulen. In Frankreich gibt es so was nicht, auch unter den Rechten nicht.
Kernfelder der europäischen Einigung sind das nicht gerade.
Es gibt aber eine Gefahr, die ich für ganz real halte. Edmund Stoiber trägt bereits jetzt eine Unruhe nach Europa, die sehr schnell dazu führen kann, dass ein von ihm geführtes Deutschland Freunde im Westen verliert. Auf dem Vertriebenentreffen vor wenigen Wochen und auf dem Ostpreußentag am vorletzten Sonntag hat er auf die Aufhebung der so genannten Vertreibungsdekrete in Polen und Tschechien gedrungen. Wenn er daran festhält, stellt er die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs in Frage. Das ist die sicherste Form, Deutschland in die Isolierung zu treiben. Aber das wollen Gott sei Dank nicht alle in der CDU.
Überschätzen Sie da nicht die Möglichkeiten eines CSU-Vorsitzenden?
Wenn man Kanzler von Deutschland ist, ist der Einfluss schon ein anderer. Ich bin Historiker. Das 20. Jahrhundert hat bekanntlich mit Wilhelm II. begonnen. Der Wilhelminismus brachte außenpolitisch die Isolierung Deutschlands, weil er wirtschaftliche Rivalitäten in Sachfragen in eine Konkurrenz der Nationen ummünzte. Mit seinen Reden über die Vertreibungsdekrete nach 1945 läuft Herr Stoiber Gefahr, ebenfalls Wege in eine Isolierung unseres Landes zu bahnen.
Auf die Idee eines Kaisers Edmund II. ist selbst Gerhart Polt noch nicht gekommen.
Ich unterstelle Herrn Stoiber ja nicht, die Welt auf den Kopf stellen zu wollen. Aber im Unterschied zu ihm bin ich selbst ein Vertriebener, der noch bis 1946 in Ostpommern gelebt hat – und ich weiß, welche Unruhe das Aufwerfen von Eigentumsfragen schürt. Ich habe ein Gut mit 4.600 Morgen verloren, aber ich will es nicht wiederhaben. Europa kann seinen Frieden nur finden, wenn es ein Europa ohne Restauration ist.
Spricht nicht aus Ihnen die Sorge, man müsste Europa vor den Deutschen schützen?
Nein, ich habe Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen. Aber wenn ein Däne und ein Holländer sich unterhalten, garantiere ich Ihnen, dass sich ein Drittel des Gespräches um die Deutschen dreht. Deutschland ist umgeben von einer Allianz ängstlicher Nachbarn, auch wenn wir hundertmal sagen: Wir tun euch doch nichts! Wir müssen als Deutsche vorsichtig sein, weil wir mit unserer Geografie als 80-Millionen-Volk in der Mitte des Kontinents leben müssen.
Zum Programm populistischer Parteien von Österreich bis Holland gehört ein Anti-Europa-Kurs. Ist das auch bei uns ein Rezept für Erfolg?
Wir machen uns die Sache zu leicht, wenn wir uns nur fragen: Kriegen wir auch einen Le Pen oder Pim Fortyn? Wir müssen beobachten, wie es innerhalb unserer bestehenden Parteien aussieht. Von der SPD bis zur CDU gibt es dort überall sowohl nationalistische als auch europäische Kräfte. Das ist keine Frage von links oder rechts.
Trotzdem, wie realistisch ist der Aufstieg einer rechtspopulistischen Partei in Deutschland?
Ich glaube, dafür ist Hitlers Schatten zu lang.
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