piwik no script img

Erst zum Urintest, dann zum Gutachter

Eine Untersuchung soll ergeben, ob der Betroffene regelmäßig oder nur gelegentlich Cannabis konsumiert

BERLIN taz ■ Auf konkrete Fahrfehler kommt es beim Thema „Kiffen und Führerschein“ nicht an. Wenn jemand völlig nüchtern wirkt, wird von der Polizei in der Regel kein Bluttest angeordnet. Das eigentliche rechtspolitische Problem liegt in der Behandlung von bloßem Cannabisbesitz. Diese richtet sich nach der Fahrerlaubnisverordnung, die 1998 noch von der Kohl-Regierung beschlossen wurde und 1999 in Kraft trat. Sie löste damit einen relativ ungeregelten Zustand ab, der aber in den meisten Bundesländern nicht liberaler war.

Derzeit gilt: Schon der bloße Besitz von Cannabis erlaubt es der Führerscheinbehörde, ein „ärztliches Gutachten“ einzuholen. Als milderes Mittel wird in der Praxis meist ein Drogenscreening angeordnet, bei dem binnen sechs Monaten drei kurzfristig anberaumte Harntests durchzuführen sind. Aus dieser toxikologischen Untersuchung soll sich ergeben, ob der Betroffene regelmäßig oder nur gelegentlich Cannabis konsumiert. Bei regelmäßigem Konsum geht man davon aus, dass der Betroffene „nicht geeignet“ ist, Auto zu fahren. Dagegen ist gelegentlicher Konsum noch kein Grund, den Führerschein zu entziehen. Nur wenn weitere Aspekte hinzukommen, etwa Indizien für bekifftes Autofahren, kann eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) angeordnet werden, um Zweifeln an der Fahreignung nachzugehen.

In der Praxis wird hier vieles falsch gemacht. So werden in manchen Bundesländern Untersuchungsmethoden angewandt, die nicht zwischen gelegentlichem und regelmäßigem Konsum unterscheiden. Außerdem wird die MPU oft schon bei gelegentlichem Konsum angeordnet, ohne dass weitere Indizien für die Ungeeignetheit der Betroffenen sprechen.

Doch selbst wenn die Verordnung korrekt angewandt würde, bliebe doch eine deutliche Ungleichbehandlung von Cannabis- und Alkoholkonsumenten. So löst der bloße Besitz von Alkohol genauso wenig Zweifel an der Fahrtauglichkeit aus wie der Konsum jenseits des Straßenverkehrs. Selbst „regelmäßiger“ Alkoholkonsum gefährdet den Führerschein nicht. Nur bei Cannabis wird so schnell Verdacht geäußert und mangelnde Fahreignung angenommen.

Die Grünen wollten Anfang dieses Jahres eine ohnehin vorgesehene Überarbeitung der Fahrerlaubnisverordnung nutzen, um die Regelungen zu bloßem Cannabisbesitz zu entschärfen. Doch die SPD machte nicht mit. Nun hofft die Hanflobby auf die unmittelbar bevorstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Es wird erwartet, dass Karlsruhe auf die „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ hinweist und die rigide Bestrafungspraxis der Führerscheinbehörden kritisiert.

CHRISTIAN RATH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen