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Abschöpfen, nicht steuern

Um Verbotsverfahren zu retten, bestreiten Schily und Beckstein staatliche Einflussnahme auf NPD

aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) versuchte es mit einem rhetorischen Kniff. „Wie müssen uns doch fragen“, wandte er sich an die Karlsruher Verfassungsrichter, „wie sähe die NPD wohl aus, wenn wir uns einmal alle V-Leute wegdenken?“ Doch Richter Hans-Joachim Jentsch konterte die Anregung des Sozialdemokraten mit einer pfiffigen Gegenfrage. „Aber was konkret sollen wir uns eigentlich wegdenken, Herr Schily?“

Genau das war aber die Frage, die der Minister um keinen Preis beantworten wollte. Die Namen aller in der NPD angeworbenen V-Leute wollten die Vertreter von Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag auch beim gestrigen Erörterungstermin vor dem Bundesverfassungsgericht nicht nennen. Damit ist nach wie vor offen, ob das NPD-Verbotsverfahren weitergeführt werden kann – auch wenn manche Bedenken der Richter gestern immerhin abgeschwächt werden konnten.

„Unsere V-Leute in der NPD sind lediglich Informanten, keine Einflussagenten“, betonte Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU). „Sie sind Mitglieder der NPD und bekommen vom Staat keine dienstlichen Aufträge.“ Ein V-Mann dürfe also nur „abschöpfen, nicht aber anheizen“, so Beckstein. „Auch wenn man den einen oder anderen Fehler nicht vermeiden kann“, folgerte der CSU-Mann, „so ist eine flächendeckende staatliche Steuerung doch ausgeschlossen.“

„Beobachten heißt aber immer auch: Einfluss nehmen und verändern“, gab der soziologisch versierte Verfassungsrichter Udo di Fabio zu bedenken. Doch auch mit diesem Einwand haben die Antragsteller gerechnet. Selbstverständlich werde durch eine „mehrstufige“ Prüfung sichergestellt, dass die V-Leute, die in der Regel 400 bis 500 Euro im Monat erhalten, nicht aufschneiden oder Märchen erzählen, um sich einfach nur interessant zu machen.

„Schön wär's, wenn man daran glauben dürfte“, kommentierte NPD-Anwalt Horst Mahler sarkastisch. Ansonsten zeigte er sich aber eher als völkischer Agitator denn als gewiefter Anwalt. Die NPD solle ausgeschaltet werden, so seine Verschwörungstheorie, weil sie als Einzige die Rückführung der Ausländer fordere und daher eine Bedrohung für die etablierten Parteien darstelle. Konkrete Beweise für eine gezielte Einflussnahme des Staates blieb er aber schuldig und kündigte sie nur für die Hauptverhandlung an.

Auch der zweite NPD-Anwalt Günther Eisenecker blieb blass. Eher beiläufig erwähnte er Beispiele für eine mögliche unzulässige Rolle der V-Leute. So sei es schwer gewesen, den nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden und V-Mann Udo Holtmann dazu zu bewegen, die antisemitischen Ausfälle des stellvertretenden NRW-Vorsitzenden und Ex-V-Mannes Wolfgang Frenz zu stoppen, erzählte Eisenecker. Dass Holtmann dabei einen Auftrag seiner V-Mann-Führer umsetzte, behauptete aber auch der NPD-Anwalt nicht. Im Gegenteil. „Holtmann hatte vom Amt die Weisung, die NPD-Aktivitäten einschlafen zu lassen“, berichtete Eisenecker.

Im Lauf des gestrigen Tages wurde deshalb die These der Antragsteller immer plausibler, dass die NPD sich in den letzten Jahren aus eigenem Antrieb radikalisierte und nicht etwa von staatlichen V-Leuten dazu gebracht wurde. Die Verfassungsrichter zeigten sich zwar bis zum Schluss der eintägigen Anhörung skeptisch, aber der Senatsvorsitzende Volker Hassemer beruhigte die Staatsvertreter: „Unsere aggressiven Fragen heißen noch gar nichts.“ Der Senat wird erst in einigen Wochen bekannt geben, wie das Verfahren weitergeht.

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