piwik no script img

Ja ist vielleicht doch Nein

Bundesverfassungsgericht verhandelt Zuwanderungsgesetz: SPD und CDU erklärten den Richtern erneut, warum nur ihre eigene Stimme im Bundesrat zählen soll

„Mit der Brechstange hat er versucht, ein ihm genehmes Ergebnis zu erreichen“

KARLSRUHE taz ■ Der konservative Verfassungsrichter Udo Di Fabio machte deutlich, auf welcher Seite er steht. „Die Bürger dürfen nicht das Vertrauen verlieren, dass das Verfahren der Gesetzgebung in Ordnung ist“, warnte der Richter. Das Bundesverfassungsgericht verhandelte gestern über die Normenkontrollklage von sechs unionsregierten Ländern gegen das Zuwanderungsgesetz.

Dabei wird Karlsruhe das Gesetz, das unter anderem die Einwanderung von Fachkräften erleichtert, nicht inhaltlich prüfen. Es geht nur um das Zustandekommen der Regelung. Die Unionsländer bestreiten, dass der Bundesrat im März wirksam zugestimmt hat.

„Die Stimmen Brandenburgs waren ungültig“, betonte gestern Saarlands Ministerpräsident Peter Müller, der Wortführer der Kläger. Er beruft sich auf Artikel 51 des Grundgesetzes, wo es heißt, die Stimmen eines Landes können „nur einheitlich“ abgegeben werden. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) hatte sich jedoch anders geäußert als sein Innenminister Jörg Schönbohm (CDU).

Deshalb sei es, so Müller, schon unzulässig gewesen, dass Klaus Wowereit als Bundesratspräsident überhaupt zweimal bei Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe nachgefragt hat. „Mit der Brechstange hat er versucht, ein ihm genehmes Ergebnis zu erreichen“, beschwerte sich CDU-Mann Müller.

Innenminister Otto Schily (SPD) sah dies ganz anders: „Im Zweifel muss der Sitzungsleiter versuchen, ein gültiges Stimmverhalten zu erreichen“, argumentierte er. Noch weiter ging der Schweriner Justizminister Erwin Sellering (SPD): „Es gibt sogar eine verfassungsrechtliche Pflicht, auf eine einheitliche Stimmabgabe hinzuwirken.“

Warum aber hat ausgerechnet die Stimme von Manfred Stolpe den Ausschlag gegeben? Peter Müller leuchtete das nicht ein. „Im Bundesrat sind alle Vertreter eines Landes gleichberechtigt. Ob jemand zugleich Ministerpräsident ist, spielt hier keine Rolle.“ Auch die SPD-Länder versuchten gestern nicht mehr, Stolpe als ausschlaggebenden „Stimmführer“ darzustellen. Der Ministerpräsident sei von Wowereit nur „aus Gründen der Höflichkeit“ angesprochen worden.

Die SPD-Seite argumentierte vielmehr mit dem Ablauf der Abstimmung, bei der Brandenburgs CDU-Innenminister Jörg Schönbohm zwar zunächst deutlich „Nein“ sagte. Bei einer ersten Nachfrage von Wowereit habe er dann aber nur noch erklärt: „Herr Präsident, Sie kennen meine Auffassung.“ Und bei der letzten Nachfrage schwieg Schönbohm sogar. „Bei einer Abstimmung muss man ja oder nein sagen, nicht auf irgendwelche Auffassungen verweisen“, argumentierte der Berliner Rechtsprofessor Hans Meyer als Vertreter der SPD-Seite. Schade eigentlich, dass Jörg Schönbohm nicht persönlich anwesend war. Auch Stolpe und Wowereit waren gestern nicht zugegen.

Da das Zuwanderungsgesetz bereits zum Jahreswechsel in Kraft treten soll, müssen sich die Verfassungsrichter mit ihrer Entscheidung sputen. Der Ausgang ist völlig offen. Allerdings ließen gestern neben Udo Di Fabio auch viele andere Richter bereits eindeutige Sympathien erkennen, und zwar jeweils durchgängig im Sinne der Partei, die sie einst nominiert hatte. Es könnte im achtköpfigen Senat also durchaus zu einer Vier-zu-vier-Pattsituation kommen. Dann aber wäre die Klage der Unions-Länder abgelehnt. Falls die Union jedoch mindestens fünf Richter überzeugen kann, ist das Zuwanderungsgesetz gescheitert und müsste neu in den Bundestag eingebracht werden.

CHRISTIAN RATH

meinung SEITE 12

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen