Sparen allein hilft wohl nicht

Die Wirtschaftsdaten werden immer schlechter. Die Frage, wie der Finanzminister auch noch Schulden abbauen kann, wird unterschiedlich beantwortet

aus Berlin BEATE WILLMS

Die Stimmung ist trüber als das Wetter. Börsenbaisse und Bankenkrise, Pleitewelle im Mittelstand und Massenentlassungen prägen die Schlagzeilen. Konjunkturexperten im In- und Ausland warnen vor der „zweiten Rezession binnen nicht mal 12 Monaten“. Und eine Besserung ist nicht in Sicht.

Nach dem Ergebnis der aktuellen Steuerschätzung fehlen Bund, Ländern und Gemeinden in diesem Jahr rund 15,4 Milliarden Euro und im kommenden sogar gut 16 Milliarden Euro an bisher erwarteten Steuereinnahmen. Und so leistete Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) gestern seinen persönlichen Offenbarungseid. Ausgerechnet er, der sich als Gegner jeglicher Schuldenaufnahme positioniert hat, musste „eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ eingestehen – die einzige Möglichkeit, das verfassungsmäßige Verbot zu umgehen, dass die Neuverschuldung nicht höher sein darf als die staatlichen Investitionen. Allerdings wird er in den nächsten Tagen noch belegen müssen, wie er die neu aufgenommen Gelder dazu nutzen will, das Gleichgewicht wiederherzustellen.

Der gleichen Frage müssen sich nun auch seine Länderkollegen stellen. Von den bislang eingeplanten 184,7 Milliarden Euro Steuern dürften bei ihnen nur 178,3 Milliarden eingehen. Eine genaue Auflistung lag gestern noch nicht vor. Klar ist aber, dass sich damit auch eine ganze Reihe von Bundesländern mit ihren Haushalten am Rande der Verfassungsmäßigkeit bewegen wird.

Verantwortlich für die zurückgehenden Einnahmen ist nach Eichels Einschätzung ausschließlich die miese Konjunktur. Dagegen verwies der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage gestern bei der Vorlage seines jährlichen Gutachtens darauf, dass zumindest ein großer Teil der Ausfälle Eichels Folge der Unternehmensteuerreform sei.

Die so genannten Wirtschaftsweisen sahen in dem Einnahmeproblem aber auch ein Symptom einer „verfehlten Beschäftigungs- und Wachstumspolitik“ und machten entsprechend wenig Hoffnung für die Zukunft. Ihrer Prognose nach wird die Wirtschaft in Deutschland in diesem Jahr um nur 0,2 und im kommenden um nur 1,0 Prozent wachsen.

Ähnlich pessimistisch ist ihr Ausblick auf den Arbeitsmarkt: Für dieses Jahr rechnen die Weisen mit gut 4,06 Millionen offiziell Erwerbslosen, 200.000 mehr als 2001. Hinzu kämen rund 1,74 Millionen Menschen in verdeckter Arbeitslosigkeit. 2003 werde die Zahl dann noch einmal um gut 110.000 zunehmen.

Ihre Vorschläge, wie all diesen Problemen abgeholfen werden kann, sind allerdings nicht besonders originell. Mit einem 20-Punkte-Programm propagieren sie eine Rückkehr zu stark angebotsorientierter Politik. Dabei ist ihnen der „Zielkonflikt“ durchaus klar: „Unser Programm würde zu mehr Beschäftigung und Wachstum führen“, sagte Wolfgang Wiegard, der dem Rat derzeit vorsitzt. „Allerdings wird es auch mehr Ungleichheit und Ungerechtigkeit bringen.“

Zu den Maßnahmen gehört es, die „Nachfrage nach Arbeit“ der Unternehmen durch sinkende Lohnkosten, also auch Sozialversicherungsbeiträge und den Ausbau des Niedriglohnsektors, anzuschieben. Ob auch eine „moderate Lohnpolitik“, wie sie Wiegard forderte, zu mehr Beschäftigung beiträgt, ist umstritten. Laut Ratsmitglied Jürgen Kromphardt wäre eine Lohnentwicklung, die sich nicht an der Produktivitätsentwicklung orientiert, gesamtwirtschaftlich schädlich – unter anderem, weil sie die private Nachfrage weiter schwäche.

Überhaupt wehrte sich Kromphardt auch an anderer Stelle gegen die Einschätzungen seiner Kollegen. Diese sprachen sich – anders als etwa die Konjunkturexperten der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute zuletzt in ihrem Gemeinschaftsgutachten – dagegen aus, die Staatsausgaben zu erhöhen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Sie forderten vielmehr auch jetzt eine geringere Staatsquote und sogar ein neues Sparpaket. „Wenn die Regierung auf die Idee kommen sollte, eine zweite Sparliste aufzustellen, würde ich sagen: Lasst das!“, sagte Kromphardt der taz.

Allerdings dürfte es auch mit den Wirkungen der Sparpakete – gleich in welche Richtung – ohnehin nicht so weit her sein. An den bisher bekannt gewordenen Maßnahmen für die erste Sparrunde, mit der Eichel die vorher schon bekannte 14-Milliarden-Haushaltslücke schließen will, hat es schon nach koalitionsinternen Gesprächen eine Reihe von Abstrichen gegeben, etwa bei der Besteuerung von Gewinnen beim Verkauf von Wertpapieren. Bei anderen Punkten wie etwa der Streichung oder Einschränkung der Eigenheimzulage hat die Unionsmehrheit im Bundesrat bereits ihr Veto angekündigt.