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welthandelSpielraum für den Süden

Dem Fair Trade des analogen Handels muss ein Digital Fair Trade folgen – mit gleichberechtigten Zugangsvoraussetzungen weltweit

SvenHilbig

ist seit 2013 Referent für Welthandel und globale Umweltpolitik bei Brot für die Welt. Zuvor arbeitete er bei der Heinrich-Böll-Stiftung zu verschiedenen Themen der Globalisierung.

Ist Deutschland ein digitales Entwicklungsland? Die deutsche Wirtschaft hat dazu eine eindeutige Position. Sie fordert staatliche Förderung: Der Staat müsse massiv in digitale Infrastruktur investieren, digitale Bildung vorantreiben, Start-ups wie Traditions-Unternehmen unterstützen und sie vor der Übernahme ausländischer Investoren schützen. Mit immer neuen Masterplänen erwidern Regierung und Parteien solche Hilferufe.

Scheinbar umgekehrt erleben es derzeit die Länder des globalen Südens. Auf dem afrikanischen Kontinent sprießen unzählige vielversprechende digitale Initiativen aus dem Boden, die den lang ersehnten wirtschaftlichen Aufstieg bringen könnten. Politischer Beistand bleibt jedoch aus. Die Vorteile 4.0 kämen vor allem den wohlhabenderen und besser ausgebildeten Bevölkerungsschichten zugute, stellt die Weltbank in einem Bericht von 2016 fest. Und obwohl sich die Zahl der Internetnutzer seit 2005 verdreifacht hat, fehlte fast der Hälfte der Weltbevölkerung immer noch der Zugang zum Netz. Die Ungleichheit wächst.

Gleich nach der Gründung der Welthandelsorganisation WTO im Jahr 1995 forderten die führenden Industrienationen ein Abkommen zur Liberalisierung des Informations- und Technologiemarktes. Es enthält ein Zollfreiheitsmoratorium auf elektronisch hergestellte und gehandelte Produkte. Wie sieht die Handelsbilanz 20 Jahre danach aus? Auf dem von der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Unctad) 2015 entwickelten E-Commerce-Index liegen die Entwicklungsländer fast durchgehend auf den hinteren Plätzen. Nur Schwellenländer wie Chile und Uruguay, die längst über eine wettbewerbsstarke (analoge) Industrie verfügen, schafften es unter die Top 50. Auch der Unctad-Bericht von 2017 belegt die extrem ungleiche Verteilung. Der asiatisch-pazifische Raum vereint 51 Prozent der weltweiten Handelsvolumina auf sich, gefolgt von Europa (24 Prozent) und Nordamerika (23 Prozent). Afrika, Lateinamerika und der Nahe Osten bringen gerade einmal 2 Prozent zusammen.

Das digitale Gefälle zwischen den Weltregionen ist damit noch größer als das analoge. Deutlich wird auch: Digitale Ausnahmestaaten wie China oder Indien schafften ihren Erfolgskurs nur mittels staatlicher Hilfen. China war in den 1990er Jahren noch ein Niemand bei der Herstellung elektronischer Produkte. Heute liegt es mit einem Marktwert von rund 13 Milliarden US-Dollar bei der „Ausfuhr“ immaterieller Güter unangefochten an der Spitze – weit vor Deutschland (8 Milliarden US-Dollar) und den USA (6 Milliarden US-Dollar). Das Land schützte sich vor ausländischen Unternehmen, baute eine eigene, staatlich gelenkte digitale Infrastruktur auf und kopierte erfolgreiche US-amerikanische Internetplattformen wie Alibaba (Onlinehandel) oder Tencent (soziale Medien). Bangalores Aufstieg zum Silicon Valley beruht ebenfalls auf wirtschaftspolitischen Hilfen wie dem Aufbau von Technologieparks, Exportanreizen, Steuererleichterungen oder der zollfreien Einfuhr von Waren.

Politischer Rückenwind entschied auch im analogen Handel schon über Gewinner und Verlierer. Den Ländern des Südens fehlt er. Sowohl die Welthandelsorganisation als auch zahlreiche bilaterale Handelsabkommen setzen einseitig auf eine Liberalisierung und Deregulierung der Märkte. Sie zielen auf den Abbau nichttarifärer Hemmnisse wie öffentliche Daseinsvorsorge oder Verbraucherschutz. TTIP und Ceta erklären einen auf rein ökonomische Effizienz getrimmten Weltmarkt zum obersten Gebot. Das aber beschränkt staatliche Gestaltungsspielräume – und sie werden sich noch weiter verengen. Im Rahmen des transpazifischen Handelsabkommens CPTPP haben sich kürzlich die elf Unterzeichnerstaaten zur unumschränkten Freizügigkeit der Datenflüsse verpflichtet. Das Abkommen verbietet nationale Regelungen, die eine lokale Speicherung und Verarbeitung von Informationen vorsehen.

Den wichtigsten Rohstoff des 21. Jahrhunderts mit nationalen Verboten zu belegen, ist aus ökonomischer Perspektive mehr als problematisch. Wer hat am Ende die Verfügungsgewalt? Schon der Handel mit natürlichen Rohstoffen hat den rohstoffreichen Ländern einen Aufstieg in der Wertschöpfungskette versagt. Anstatt sie in die Lage zu versetzen, Erz oder Kupfer selbst weiterzuverarbeiten, wurden sie auf die Rolle der Rohlieferanten herabgestuft.

Folgt jetzt die digitale Ausbeutung? Die weltweite Datenmenge wird sich bis 2025 verzehnfachen. Staatliche Datenhoheit wird die große Herausforderung in der Entwicklungszusammenarbeit. Nur eine kooperativ ausgerichtete Handelspolitik bringt Chancengleichheit im digitalen Wettbewerb. Sie muss das Regierungshandeln bestimmen und auch für das EU-Handelskommissariat gelten.

Staatliche Datenhoheit wird die große Herausforderung in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit

Dem Fair Trade des analogen Handels muss ein Digital Fair Trade folgen: Mit fairen Zugangsvoraussetzungen weltweit. Zunächst besteht die Notwendigkeit, die riesige digitale Kluft zu schließen, die unseren Globus in zwei Hälfte schneidet. Drei von vier Menschen im südlichen Afrika haben keinen Internetanschluss. Außerdem muss die Handelspolitik die nationalen Spielräume erweitern. Sie muss lokale Datenspeicherung zulassen. Und sie muss Rahmenbedingungen schaffen, welche die Entwicklungsländer befähigen, eine eigene (öffentliche) moderne digitale Infrastruktur aufzubauen, die auf die nationalen und lokalen Bedürfnisse zugeschnitten ist.

Hierfür bedarf es zum einen eines Technologietransfers von den führenden Industriestaaten in die Entwicklungsländer; zum anderen der Förderung heimischer Start-ups sowie Unterstützung traditioneller Unternehmen beim digitalen Wandel. Schließlich stellt Digital Fair Trade den Aufbau einer eigenen digitalen Industrie unter Schutz. Damit bekommen Entwicklungsländer den gleichen politischen Rückhalt wie Deutschland, das digitale Entwicklungsland.

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