taz.berlin-Adventskalender (4): Telepathie am Tresen

In der Bergmannstraße einfach mal schnell ein Baguette kaufen? Schwierig. Aber solange man noch warme Unterhosen findet, ist alles nicht so schlimm.

Warm macht glücklich: Eine lange Unterhose Foto: picture alliance / dpa | Arno Burgi

Vorweihnachtshektik, unter coronabedingten Masken noch anonymer, Begegnungen finden in Eile und mit Sicherheitsabstand statt. Und dann öffnet sich plötzlich doch manchmal eine Tür: eine freundliche Geste, eine Hilfeleistung, ein Gespräch. Die taz.berlin berichtet in ihrem Adventskalender 2021 von solchen Türchen, die die Anonymität einen Moment vergessen lassen.

Bergmannstraße in Kreuzberg, an einem Wochentag nach der Arbeit. Eigentlich will ich nur schnell ein Baguette für die Abendsuppe aus der Markthalle schnappen, also schnell rein und raus und ab nach Hause.

Doch es kommt anders: Anscheinend haben sich mehrere Busladungen Touristen in die Markthalle verlaufen. Grüppchen, wohin mensch blickt und an den Ständen lange Schlangen, na super. Eigentlich sonst schön und menschlich. Ältere Kaliber, die rumstehen und sich durchprobieren und bewundernd übers Essen reden, so dass man fast die Pandemie und den knurrenden Magen und die Herbstdepriphase (grau, grau, grau!) und Armut und Not und überhaupt vergessen könnte.

Foto: taz/Aletta Luebbers

Ich ziehe die Augenbrauen hoch und bin tief genervt. Warum kann man nicht einfach mal schnell was besorgen, in der Bergmannstraße, ohne Eventkochen und Probiernüsschen? Ich beglückwünsche mich für meine fatale Wahl, es ausgerechnet hier zu versuchen, ergattere schließlich doch noch das Baguette und flüchte.

Kaffe-plus-Schnickschnack

Doch halt: Am Ausgang lockt die Kaffee-plus-Schnickschnack-Filiale mit Thermounterwäsche, die ich eigentlich schon letzten Winter kaufen wollte. Warm ist gut, warm kann ich jetzt brauchen, auch wenn die Verheißung nur in Form einer gleich gekauften „Lange-Männer“ ums Eck kommt. Mit meiner Packung stehe ich aber dann doch an der Kasse und will schnell zahlen.

Ein wahnsinnig gut gelaunter Mitarbeiter und seine Kollegin füllen gerade Kaffee auf, es riecht herrlich, auch durch die FFP2-Maske. Ich bezahle, und der Verkäufer fragt, ob ich noch einen Kaffee möchte. Oh, denke ich, wie aufmerksam. Aber eigentlich nicht, ich will nur schnell nach Hause. „Ach, kommen Sie, ich gebe ihnen einen aus“, sagt er und lacht. „Ok“, sage ich, und lache mit. „Wie schnell haben Sie denn mitgekriegt, dass ich einen Kaffee gebraucht habe?“, frage ich ihn. „Ach“, sagt er, „das sieht man manchmal halt.“

„Telepathie!“, sagt seine Kollegin und schiebt mir noch den Deckel zu. „Danke“, sage ich, „wirklich, dass sie so fröhlich sind.“-„Ja, muss wa'?“, sagt der Verkäufer und lacht nochmal laut auf. Den Kaffee schenke ich dem Obdachlosen vor der Markthalle und gehe mit dem fröhlichen Lachen im Ohr nach Hause.

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