taz-adventskalender „24 stunden“ (3): 3 Uhr im Görlitzer Park
Noch ist der Görli bei Dunkelheit geöffnet – und in einer eisigen Dezembernacht menschenleer. Wer hier ausharren muss, droht zu erfrieren.
Stressig und chillig, hässlich und schön, herzerwärmend und abstoßend: Berlin hat viele Seiten, rund um die Uhr. In diesem Advent hangeln wir uns durch 24 Stunden Hauptstadtleben und verstecken jeden Tag aufs Neue 60 Minuten Berlin hinter unserem taz-berlin-Kalendertürchen. Heute: ab 3 Uhr im Görlitzer Park in Kreuzberg.
Der Görli ist auf. Eine große Lücke in der vollgesprayten und -gestickerten Ziegelmauer an der Skalitzer Straße öffnet den Weg in den Kreuzberger Park. Es ist drei Uhr in der Nacht und schneidend kalt. Minus 1 Grad zeigt die Wetter-App. Unter der Hochbahn steht eine Wanne, in dem Auto wärmen sich Polizisten. Schräg gegenüber, am Parkeingang, harrt eine Handvoll Leute aus, lehnt sich an Fahrräder, wartet auf den nächsten Kunden. Nicht aufdringlich, aber doch unausweichlich ertönt das Angebot:
„Psssst. Brauchst du was?“
„Nein, danke.“
„Alles klar, gerne, ciao.“
Vorbei am Dealer, rein in den Park. Zur Linken ist eine öffentliche Toilette, der Weg macht einen Knick, dann weitet sich der Blick in das menschenleere Naherholungs- und „Gefahrengebiet“.
Bald soll der Görlitzer Park um diese Uhrzeit verschlossen sein. Zusammen mit anderen Maßnahmen hatte der schwarz-rote Senat vergangenes Jahr entschieden, die Grünfläche in den Nachtstunden dichtzumachen und will so Kriminalität und Drogenhandel in dem Gebiet eindämmen. Dazu sollen 18 Tore sowie 300 Meter Zaun gebaut werden. Zudem ist geplant, für mehr Licht in und um den Park zu sorgen sowie Bäume und Sträucher zurückzuschneiden.
Der Weg ist beleuchtet, die Grünfläche stockfinster
Zu dieser Jahreszeit hat sich die Vegetation ohnehin auf natürliche Weise selbst ausgedünnt. Die Baumkronen sind kahl, die Büsche wie gerupft, der Himmel sternenklar. Sehr still ist es, der Verkehrslärm von draußen verstummt, keine Bluetooth-Box wummert im Park. Wie eine Landebahn zieht sich der Hauptweg hinterm Pamukkale Richtung Südosten: geradlinig und gespenstisch hell beleuchtet. Alle paar Meter steht eine Laterne, vor Kurzem wurden sie mit neuen Leuchten ausgestattet. Dunkelheit verschluckt die Grünflächen und Trampelpfade ringsherum.
Ein einsamer Fußgänger nähert sich und ist schon von Weitem zu erkennen. Er schiebt einen Einkaufswagen vor sich her – und schnorrt beherzt drauflos.
„Haste hundert Euro?“
„Äh nee, sorry.“
„Okay schade, tschüss.“
Fragen beantworten will er nicht, er trottet weiter. Am „Krater“, dem Rondell mitten im Park, liegt der Piraten-Spielplatz. Auch er ist zu dieser Uhrzeit und bei diesen Temperaturen völlig verwaist. Auf der anderen Seite, gleich neben dem Eingang an der Oppelner Straße, steht ein weiteres öffentliches WC. Grelles Neonlicht und lallendes Stimmengewirr dringen durch einen kleinen Türspalt, drinnen drängen sich Konsumierende, Wärmesuchende.
Etwa hundert Meter weiter kreuzt eine weitere beleuchtete Schneise den Hauptweg: die Querung von der Glogauer Straße zur Falckensteinstraße. Ein – winterlich – vermummter Radfahrer umkurvt die vereisten Pfützen und verschwindet im Wrangelkiez. Ist der Görli irgendwann nachts abgeschlossen, ist diese Abkürzung zwischen Wrangel- und Reichenberger Kiez versperrt. Mit Umwegen von bis zu 1,2 Kilometern rechnet der Fahrradverband ADFC.
„Psssst“, zischt wieder jemand aus einer dunklen Ecke nahe dem Ausgang zur Falckensteinstraße. Ein paar Meter entfernt parkt ein weiterer Gruppenwagen der Polizei, aber Beamt*innen sind nirgends zu sehen. Die größte Gefahr in dieser Dezembernacht besteht wohl darin, draußen zu erfrieren.
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