taz-adventskalender (22): „Ich wollte immer Großes bewegen“

Die taz präsentiert BerlinerInnen, die für etwas brennen. Hinter Türchen 22: Raphael Fellmer, Mitgründer des Ladens für gerettete Lebensmittel SirPlus.

Hält auch ewig: Weihnachtsstollen Foto: dpa

Schon im Schulalter kümmerte ich mich um Soziales und Nachhaltiges. Als Kind konnte ich nicht verstehen, dass wir Mitmenschen haben, die an Hunger sterben. Damals wusste ich natürlich noch nichts von der Lebensmittelverschwendung, hab aber immer zu hören bekommen, „ja auch schön aufzuessen, weil andere nicht so viel haben“.

Ich wollte schon immer etwas Großes bewegen. Ich möchte dazu beitragen, dass es den Menschen, vor allem denen, die hungern, besser geht. Dementsprechend wollte ich erst Millionär werden, weil ich dachte, da kann ich am meisten ausrichten. Eine weitere Idee war die Entwicklungshilfe. Aber auch da läuft nicht alles so dufte. Dann wollte ich Politiker werden. Und am Ende gründete ich eine NGO.

34, in Berlin geboren, Waldorfschule, in Charlottenburg und Zehlendorf aufgewachsen, studierte in Den Haag Europawissenschaften, Mitgründer des Ladens für gerettete Lebensmittel, Autor des Buches „Glücklich ohne Geld“ – man kann es kostenlos downloaden auf seiner Homepage www.raphaelfellmer.de.

Lebensmittelverschwendung und die allgemeine Ressourcenverschwendung ist seit 2009 mein Thema. Nach einer geldfreien Reise nach Mexiko bin ich in den Geldstreik getreten und lebte sehr radikal und dogmatisch, um zu zeigen, dass man in dieser Gesellschaft auch ganz ohne Geld leben kann. Dadurch wurde ich bekannt – genau das wollte ich ja erreichen: meine Themen platzieren und damit die Leute zum Nachdenken bewegen, achtsamer mit Lebensmitteln umzugehen und vielleicht öfter auf ihr Herz zu hören.

Drei Jahre lang holte ich meine Lebensmittel aus Containern. Meine erste Kooperation stellte ich 2012 mit einer Filiale der Bio-Company auf die Beine, das war der Beginn der Lebensmittelretten-Bewegung. Wir durften überschüssige Lebensmittel, bevor sie in die Tonne wandern, abholen und weiterverteilen oder selbst genießen. Ich habe das organisiert, weil ich das Containern legalisieren wollte. Eine Win-win-Situation: Alle haben was davon, und die Betriebe sparen Entsorgungskosten.

Und jeder ist willkommen

2016 hörte ich mit dem Leben ohne Geld auf. Das hatte einen einfachen Grund: Meine Familie, wir hatten inzwischen zwei Kinder, hatten keine kostenfreie Bleibe für uns gefunden. Das war spannend, wieder mit Geld zu leben. Aber wie sollte ich welches verdienen? So entstand die Idee, das Lebensmittelretten weltweit zu organisieren und zum Mainstream zu machen. Zusammen mit meinem Freund Martin Schott habe ich SirPlus gegründet.

Am Anfang war die Idee, eine Plattform einzurichten, wo sich Initiativen aus dem Nonprofit-Sektor, die mit überschüssigen Lebensmitteln arbeiten, effizient organisieren und mit Betrieben kooperieren können. Von unserem dritten Mitgründer Alexander Piutti kam dann die Idee eines digitalen Marktplatzes für Handel, Industrie und Bauern. Für NGOs ist die Teilnahme kostenlos, von anderen nehmen wir eine kleine Provision. 20 Prozent unserer geretteten Lebensmittel spenden wir. Alles andere verkaufen wir im Laden bis zu 70 Prozent billiger – und jeder ist willkommen!

Wir wollen das Thema in der Mitte der Gesellschaft platzieren. Darum befindet sich der Laden in der Wilmersdorfer Straße, einer der frequentiertesten Fußgängerpassagen. Wir bezahlen nur Nebenkosten, der Vermieter war sehr angetan von unserer Sache, sodass wir keine Miete zahlen müssen. Und die Kunden sind happy. Viele fragen: „Wann macht ihr den nächsten Laden auf?“ Wir sind schon auf der Suche nach dem nächsten Standort, der 300 Quadratmeter groß sein soll. Der Laden war ein richtiger Schritt. Jetzt folgt der nächste: der Lieferservice. Ab Januar steht der Onlineshop, dann auch mit einzelnen Produkten.

Wir wollen das Bewusstsein schaffen, dass Lebensmittel auch nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum noch genießbar sind, und die Leute anregen, ihren eigenen Sinnen zu vertrauen. Wir wollen, dass die Leute auch zu Hause wertschätzender mit Lebensmitteln umgehen, einfach riechen und schmecken, ob die Ware noch gut ist und nicht nur aufs Datum schauen.

Protokoll: Andreas Hergeth

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