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taz-Übernahme durch Klima-Aktivist*innenAnfang oder Ende

Gastkommentar von Hannah Lübbert

Die Klimabewegung hat viel geschafft, politische Erfolge sind aber ausgeblieben. Aktivist*innnen übernehmen die taz und sagen: Es braucht mehr Radikalität.

In der Klimakrise steht alles auf dem Spiel – nicht nur fürs Klima, für die Menschheit selbst Foto: Karsten Thielker, Warming Stripes: showyourstripes.info

D ie Klimakrise ist längst zur Realität geworden und bedroht auch Menschenleben. Trotzdem ist unsere Gesellschaft immer noch nicht bereit, den Fakten ins Auge zu blicken. Das wurde wieder einmal besonders deutlich, als Wirtschaftsminister Peter Altmaier Anfang September seine „Klimacharta“ ankündigte, mit der er Deutschland bis 2050 klimaneutral machen will. Altmaier wurde dafür viel gelobt, sein Vorschlag „historisch“ und „Klimakehrtwende“ genannt, manche warnten sogar davor, das Programm sei zu radikal.

Was in der öffentlichen Debatte dagegen systematisch ausgeblendet wurde, obwohl es bekannt sein sollte: Die Klimakrise ist inzwischen so dringlich und fortgeschritten, dass die Ziele dieser „Klimacharta“ immer noch völlig unzureichend sind.

Denn die Realität hat längst die schlimmsten Befürchtungen übertroffen, sodass selbst wissenschaftliche Worst-Case-Szenarien nach oben korrigiert werden müssen. Das gilt vor allem bei den Kipppunkten im Klimasystem, deren Effekte in den Prognosen des Weltklimarats IPCC lange gar nicht erst mitgerechnet wurden. Heute weiß man, dass der Permafrostboden bereits begonnen hat zu tauen – und damit Milliarden von Tonnen CO2 freiwerden, die wiederum weitere Kipppunkte aktivieren und damit die Erde um mehrere Grad erwärmen werden. Unter solchen Umständen wäre das Überleben der Menschheit völlig ausgeschlossen.

Wir sitzen also auf einer tickenden Zeitbombe und müssen so schnell wie möglich handeln. Angesichts dessen ist das Ziel, bis 2050 Emissionsneutralität zu erreichen, völlig unsinnig. Ist man realistischer, dann gibt es nur zwei Optionen: sofortige Klimakehrtwende oder Untergang.

Regierungen weltweit beweisen regelmäßig, dass sie darauf keine Antworten liefern werden, Altmaiers „Klimacharta“ ist dabei nur eine weitere Bestätigung. Während wir auf eine Wand zufahren, geben diejenigen, die uns davor schützen sollten, noch extra Gas. Wenn aber Machthabende nicht einmal das fundamentalste aller Rechte – das Recht auf Leben – garantieren können, bedeutet das nicht die größte denkbare Legitimationskrise? Macht das aktiven Widerstand nicht unausweichlich?

Aus der Bewegungsforschung weiß man, dass gut organisierte 3 bis 5 Prozent der Bevölkerung ausreichen, um einen gesellschaftlichen Wandel zu erreichen

Genau diesen Widerstand versucht die Klimabewegung zu organisieren. Sie hat in den letzten Jahren wichtige Arbeit geleistet, hat aufgeklärt, diskutiert und gekämpft – und damit die Klimakrise auf die politische Tagesordnung gerückt. Realpolitische Erfolge aber gab es bis jetzt nicht zu verbuchen.

Wir müssen also Wege finden, wirksamer zu werden, und das schnell. Denn wir handeln unter massivem Zeitdruck. Was bis jetzt geschehen ist, war entweder nur der Anfang des Widerstandes oder aber es war der Anfang vom Ende.

Aus der Bewegungsforschung weiß man, dass gut organisierte 3 bis 5 Prozent der Bevölkerung ausreichen, um einen gesellschaftlichen Wandel zu erreichen. Zwar sprechen sich in aktuellen Umfragen 97 Prozent der Menschen für eine schnellere Energiewende aus, doch was bringt eine solche passive Zustimmung? Wenn nur ein Bruchteil dieser Mehrheit selber aktiv wird, würde „Klimagerechtigkeit“ nicht mehr so sehr nach naiver Utopie klingen.

Außerdem müssen wir hinterfragen, ob bisherige Protestformen tatsächlich den viel zitierten „politischen Druck“ ausgeübt haben. Wenn selbst das lächerliche Klimapäckchen und der katastrophale Kohlekompromiss nach den und trotz der größten Demonstrationen in der deutschen Gesichte verabschiedet wurden, dann sind die Demos wohl zu leicht zu ignorieren gewesen. Statt weiterhin die eigene Meinung auf der Straße nur symbolisch kundzutun, in der Hoffnung, dass dann eine ­Wählerwanderung stattfindet, müssen wir andere Hebel finden, die Entscheidungsträger*innen direkter erreichen.

Nach dem Konzept Schul­streik sind andere Formen der Bestreikung längst überfällig. Da die Klimakrise keinen Teil der Gesellschaft unberührt lässt, ist auch ein Generalstreik eine Idee, die wenigstens ernsthaft diskutiert werden sollte.

Für all das ist es unabdingbar, einen anderen Maßstab für Radikalität zu entwickeln. Zwar ist dieses Wort immer noch negativ besetzt – ursprünglich aber bezeichnete es nichts anderes, als ein Problem an der Wurzel zu packen. Wenn alles auf dem Spiel steht, dann ist radikal einfach nur vernünftig.

Gerade die Coronakrise hat gezeigt, dass die große Mehrheit bereit ist, „radikal“ zu sein, um Menschenleben zu schützen – vorausgesetzt, die Gefahr wird ernst genug genommen.

Und damit das auch in Bezug auf die Klimakrise endlich geschieht, dafür tragen unter anderem die Medien enorme Verantwortung, der sie bis jetzt leider oft noch nicht gerecht werden. Zu oft werden die ­entscheidenden Fakten ignoriert (wie das Beispiel Altmaier zeigt) oder nur am Rande erwähnt, relativiert oder de­kontextualisiert. Zu selten wird die Klimakrise auch als Systemkrise dargestellt, werden Möglichkeiten aufgezeigt, aus dem bestehenden System auszubrechen. Dadurch wird die kollektive Verdrängung weiter gefördert.

Um das zu ändern, schreiben wir als Klimaaktivist*innen am Donnerstag für die taz. Wir wollen aufzeigen, wieso, wofür und womit die Bewegung kämpft, und damit nur einen Anfang liefern, damit künftig jeder Tag Klimatag ist.

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4 Kommentare

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  • Viel Hoffnung bleibt nicht: In den Industrieländern bestimmt die Generation der über 50jährigen die politische Agenda. Das sind die sog. Baby-Boomer, der jungen Generation zahlenmäßig weit überlegen. Und für deren Wohlergehen reicht es noch, ganz nach dem Motto: Nach uns die Sintflut...



    Hinzu kommt, dass nur ein kleiner Teil der jungen Generation aktiv bei FfF usw. mitmacht. Der große Rest feiert lieber Party solange es noch geht...

    • @steschlieb:

      Als Babyboomer verrate ich gerne meine Generation, ich bin nämlich sehr hitzeempfindlich. Gut, alle mental in der Vergangenheit steckengebliebenen Politiker* müssen dringend auf den Müll (ein Lieblingswort der Taz).



      Aber mal im Ernst: Lübbert hat Recht, wenn sie nicht jenen idiotischen Optimismus teilt, mit denen seit dem Club of Rome Report verkündet wird, heute könne noch was gemacht werden, aber morgen sei es definitiv zu spät. Das ist das Geschwätz von Politikern, Leuten wie dem unsäglichen Verkehrsminister bzw. Wirtschaftsminister oder Kretschmer in BaWü: Reine Lobbyisten aus der Steinzeit.



      Ich rede öfter mit unseren gewählten Vertretern, denke gar nicht böse über sie, aber sie lassen sich immer wieder einwickeln. Wenn man nichts erreicht, sollte man das nicht mit Vernunft/Pragmatismus entschuldigen: Selbst der dient normalerweise einem Zweck.



      Und radikal ist nur unter deutschen Spießern negativ besetzt, für gebildete, aufgeklärte Menschen ist es etwas sehr Positives. So wie eine Straße, die plötzlich von Blechkisten und für Fußgänger und Radler befreit wird:



      Eine große Leichtigkeit, ganz ohne Gift und Klimagase, ganz ohne Lärm, kehrt ein.

  • " Da die Klimakrise keinen Teil der Gesellschaft unberührt lässt, ist auch ein Generalstreik eine Idee, die wenigstens ernsthaft diskutiert werden sollte."

    Rosa Luxenburg sah im generalstreik ein geeignetes mittel zur überwindung der kapitalherrschaft

    die dürfte notwendig sein -um einen katastrophalen klimawandel zu vermeiden

    ob das notwendige aber auch möglich ist -ob es mit den zur sozialpartnerschaft mit dem kapital tendierenden der tendenz nach nur stammbelegschaften repräsentierenden deutschen gewerkschaften die sogar bei den hartz-gesetzen mitgemacht haben möglich sein wird einen politischen generalstreik zum zweck der durchsetzung des primates des solidarischen klimaschutzes zu machen -ist aber zu bezweifeln.



    es würde mich freuen-wenn meine prognose dass die deutschen gewerkschaften dabei nicht mitmachen werden durch die praxis widerlegt würde-aber Ich erwarte es nicht.

    das einzige land in europa in dem der neoliberalismus besiegt werden könnte ist frankreich

    bisher begannen dort alle sozialen revolutionen in der geschichte europas.

    es gefällt mir dass teile der deutschen fff-bewegung sich soweit radikalisiert haben wie die schreiberin dieses artikels

    sofort nach dem ende der corona-virus-pandemie sollten fff-aktivist*innen in paris zu einen globalen kongress der jugend zum thema klimaschutz einladen.

    dass dient nicht nur der besseren vernetzung von fff-aktivistinnen -sondern soll der globalen linken auch dabei helfen in frankreich -dem einzigen land in europa wo eine soziale revolution beginnen und erfolg haben könnte die politische hegemonie zu gewinnen.

  • Die Fakten verstehen und ernst nehmen reicht halt nicht. Vielleicht ist es für den einen oder anderen Law & Order Freund ganz OK, wenn Europa eine Festung ist. Vielleicht schafft es ja auch Arbeitsplätze, wenn an den Küsten Europas Dämme gebaut werden müssen. Und bei uns hier wars im Winter doch eh meist zu kalt. Solange wir uns vom globalen Süden räumlich abgrenzen können und gleichzeitig den Planeten weiter all umspannend ausquetschen, schon OK. Das reicht grad noch so für die Enkel, die dann die Ingenieure von Morgen werden und uns dann einfach eine neue Erde klonen. Zur not halt im Cyberspace. Das ganze System stinkt!