taz-Sommerserie „Berlin geht baden“ (5): Im Becken mit Riefenstahl
Im Olympiabad, wo Hitlers Regisseurin filmte, bröckeln die Tribünen. Schwimmenden kann sich hier schon mal eine gruselige Zukunftsvision aufdrängen.
Von der Sportstätte gleich neben dem Stadion spricht im Zusammenhang mit Berlins sportlichen Zukunftsplänen jedoch niemand, obwohl der Name eigentlich zum angestrebten Anlass passen würde: dem Olympia-Schwimmstadion. Die Berliner Bäderbetriebe nennen es inzwischen zwar „Sommerbad Olympiastadion“, was ein bisschen weniger nach verbissenen Wassersportwettkämpfen und mehr nach Liegewiese und Pommes klingt – aber das ließe sich ja auch wieder ändern.
Doch dass es ein Olympia-Comeback für das Schwimmstadion geben wird, ist eher unwahrscheinlich. Schon als sich Berlin 1993 als Ausrichter für das Sportspektakel im Jahr 2000 bewarb, spielte es bei den Planungen keine Rolle mehr. Stattdessen wurde die Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark in Prenzlauer Berg für ein Olympia gebaut, das am Ende doch nicht in Berlin stattfand. Diese Halle genügt übrigens ebenfalls den aktuellen Vorgaben des IOC nicht mehr, im Fall der Fälle käme sie als Sportstätte nicht infrage.
Als dann vor zehn Jahren erneut davon geträumt wurde, den sogenannten olympischen Geist nach Berlin zu holen, wollte man immerhin noch prüfen, ob sich das Schwimmstadion für die Ausrichtung olympischer Wettkämpfe im Wasserball ertüchtigen ließe. Vielleicht gibt es diese Prüfung ja jetzt noch einmal.
Berlin kann im Sommer unerträglich heiß werden. Zu den Oasen, in denen man der Klimakrise temporär entkommt, gehören die Frei- und Sommerbäder. Sie sind Kindheitserinnerung, Begegnungsort, Spiegelbild von Nazi- und Teilungsvergangenheit. In unserer Sommerserie tauchen wir in die verschiedenen Becken und Seen der Stadt.
Teuer würde es auf jeden Fall, das Sommerbad wieder olympiatauglich zu machen. Das Bad ist abgerockt, selbst für Berliner Verhältnisse. Die Umkleiden sind uralt, das sieht man ihnen an. Alles wirkt verwittert, Putz bröckelt von den Decken. Aber das Hauptproblem zeigt sich links und rechts, wenn man im großen Becken seine Bahnen zieht: die Zuschauertribünen. Die wurden nicht mehr renoviert, seit das ganze Bad anlässlich der Schwimmweltmeisterschaft 1978 grundsaniert wurde. Damit sie nicht weiter weggammeln, hat man sie mit Schutzfolien verhüllt, was inzwischen ein Dauerzustand ist. Wegen dieser geisterhaften Tribünen hat sich das Bad den Ruf erarbeitet, einer der vielen lost places in Berlin zu sein. Kein Mensch braucht diese Tribünen heute noch, sie sind nur lästig, aber sie stehen nun einmal unter Denkmalschutz.
Ein mächtiger Tempel des Sports
Dabei sah es mal so erhaben und prächtig aus, das Schwimmbad, als diese Tribünen noch ganz neu waren. Wie ein mächtiger Tempel des Sports, ganz so, wie es die Faschisten liebten. Nirgendwo lässt sich das besser sehen als in Leni Riefenstahls „Olympia“-Film, mit dem sie von Reichsminister Joseph Goebbels beauftragt wurde und der mit den Wettbewerben in genau diesem Schwimmbad endet.
Der Film ist ja eine vielschichtige Angelegenheit. Ein Propagandawerk natürlich, bei dem beispielsweise die Musik besonders pathetisch wird, wenn die in Athen gestartete Fackelläuferstaffel endlich das gelobte Deutschland erreicht. Filmhistorisch findet er Beachtung wegen Riefenstahls technischer und künstlerischer Innovationen. Der Film ist tatsächlich mehr als reine Hitlerei. Insgesamt ist der Schwarze Jesse Owens, der bei den Nazispielen insgesamt vier Goldmedaillen abräumte, länger im Bild als der Führer höchstselbst.
Vor allem die Inszenierung des normativ schönen menschlichen Athletenkörpers hatte Riefenstahl damals im Sinne. Das war natürlich ganz im Einklang mit den faschistischen Idealen, aber in gewisser Weise sogar popkulturell ziemlich wirkmächtig, wie die amerikanische Theoretikerin Susan Sontag in ihren Abhandlungen über die Riefenstahlsche faschistische Ästhetik feststellte. Jede x-beliebige Calvin-Klein-Unterhosenwerbung bedient sich heute bei der Bildsprache von Hitlers Lieblingsregisseurin.
Und im Olympia-Schwimmstadion, am Höhe- und Schlusspunkt des „Olympia“-Films, zieht sie dann wirklich alle Register ihrer Kunst. „Das war genau hier“, denkt man sich im Sommerbad, angesichts des Sprungturms, auf den man als Schwimmer blickt. Genau hier sind diese Unterwasseraufnahmen entstanden, die heute Standard sind, damals aber von Riefenstahl erfunden wurden. Hier drehten und schraubten sich die olympischen Turmspringer einst ins Nass, was dann im Film so aussah, als würden sie eher in Richtung Himmel streben, wie Götter in Menschengestalt, die fliegen können.
Faschistische Ästhetik kann auf unheimliche Weise faszinierend sein, auch darüber reflektierte Susan Sontag. Für die Berliner Bäderbetriebe ist deswegen klar: Besser die Finger weg von irgendwelchen Anspielungen auf den Film, bloß keinen verruchten Nazi-Glamour an irgendeiner Stelle, bloß nichts für diesbezüglich eventuell empfängliche Touristen anbieten. Dass hier die Szenen aus „Olympia“ von Leni Riefenstahl entstanden – mit einer solchen Werbung würde man eben nicht nur Cineasten anlocken, sondern auch völkische Faschos. Und so bleibt nicht viel mehr, als auf der eigenen super sachlichen Homepage ein nüchternes Profilbild des Schwimmbeckens zu platzieren, ohne Sprungturm im Blick und ohne jeglichen Verweis auf das Dritte Reich.
Geblieben vom einstigen Geist ist im Sommerbad höchstens noch der Gedanke, dass sportliche Ertüchtigung wichtiger ist als bloßer Spaß. Denn hierher kommt man eher zum richtigen Schwimmen als zum bloßen Rumhängen. Das Wasser ist ausgesprochen kalt, was allerdings keine spezielle Maßnahme zur Abhärtung der Besuchenden ist, sondern einfach auf den Sparauflagen des Senats beruht. Auch in den anderen Berliner Bädern muss man schließlich frieren.
Worst Case mit Höcke
Vielleicht ändert sich dieser Ort, der ein wenig wie im Dämmerschlaf wirkt, in naher Zukunft aber ja doch noch radikal. Schon die Olympischen Spiele 1936 wurden noch an die Weimarer Republik vergeben, bevor Deutschland zur Diktatur wurde. Auch wenn sich Geschichte bekanntlich nicht eins zu eins wiederholt, könnte man ja mal darüber nachdenken, was passieren würde, wenn Berlin tatsächlich seine Olympia-Sause bekäme – die dann in 11 oder 15 Jahren unter einem Bundeskanzler Björn Höcke ausgerichtet werden wird. Ein Worst-case-Szenario in jeder Hinsicht und leider keine reine Wahnvorstellung in Zeiten wie diesen. Vielleicht würde dann ja aus dem Bad das olympische Leni-Riefenstahl-Schwimmstadion, mit rundum renovierten Tribünen.
Hitler soll seinerzeit gesagt haben, die Olympischen Spiele in Berlin würden die letzten ihrer Art gewesen sein. Nach Erreichen der Weltherrschaft würde man seine eigenen Wettbewerbe aufziehen, ohne das IOC und dessen lästige Regeln. Und da Höcke bekanntlich sehr viel von Hitler und dessen Ideen hält, könnte man letztendlich froh sein, wenn in dem Leni-Riefenstahl-Schwimmstadion auch wirklich irgendwas mit Olympia stattfinden würde. Und keine Schwimmwettbewerbe im Rahmen der neu gegründeten Björn-Höcke-Volkssportfestspiele.
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