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taz-Sommerserie „Berlin geht baden“ (1)Burkini, FKK und eine alte Lady

Das Geheimnis des Strandbads Plötzensee ist entspannte Diversität. Im privat betriebenen Naturbad treffen sich unterschiedliche Menschen.

Wimmelbild vom Plötzensee an einem Sommertag: Irgendwo hier könnte eine Sumpfschildkröte versteckt sein Foto: Wolfgang Borrs

Berlin taz Die Schildkröte braucht einen Namen und die Badegäste im Strandbad Plötzensee sollen darüber entscheiden – schließlich hat sich das Tier dort sein Zuhause gesucht. Es dürfte sich um eine Europäische Sumpfschildkröte handeln. Sie ist flott unterwegs, wie man in einem Video sehen kann. Mit so einem tierischen Sympathieträger lässt sich auf Instagram gut punkten. Dort finden sich natürlich auch viele wunderbare Fotos von See und Strand, von Himmel und Menschenmassen. Und in den kühlen Junitagen zu Anfang des Monats aufmunternde Botschaften: „Nicht ganz heiß heute – aber wir sind da! Der See ist offen, das Wasser herrlich. Komm vorbei & genieß den Tag!“

Das traditionelle Strandbad am West­ufer des Plötzensees im Volkspark Rehberge – einem Landschaftsschutzgebiet – bietet 15.000 Quadratmeter Sandstrand, einst künstlich aufgeschüttet, und rund 40.000 Quadratmeter Liegewiese. An diesem Dienstagnachmittag ist es stark bewölkt, nur wenige Be­su­che­r:in­nen sind da.

Eine Zeichnung zeigt den Berliner Bär badend in einem Pool
Illustration: taz/Ali Arab Purian
Berlin geht baden

Berlin kann im Sommer unerträglich heiß werden. Zu den Oasen, in denen man der Klimakrise temporär entkommt, gehören die Frei- und Sommerbäder. Sie sind Kindheitserinnerung, Begegnungsort, Spiegelbild von Nazi- und Teilungsvergangenheit, Schauplatz von Verdrängung und Kürzungspolitik. In unserer Sommer­serie tauchen wir in die verschiedenen Becken und Seen der Stadt. (taz)

Ein kleiner Junge schnorchelt im seichten Wasser und hat den See für sich alleine, seine Mutter sitzt entspannt am Strand auf einem Stuhl und hat mit dem Smartphone zu tun. Eine Schwanenfamilie geht gerade an Land, die drei Jungtiere, etwa so groß wie Enten, tragen noch Grau. Drei? „Es waren doch zuletzt fünf“, ist Florian Heep irritiert. Aber da ist wohl leider nichts zu machen. Vielleicht hat der Fuchs zugeschlagen.

Heep arbeitet in der vierten Saison als stellvertretende Geschäftsleitung im Strandbad Plötzensee. Das gehört wie die anderen 28 Frei- und Sommerbäder in der Hauptstadt zu den Berliner Bäderbetrieben, ist aber wie acht weitere an einen privatem Betreiber verpachtet: In diesem Fall ist das seit 2019 die Nordufer Event GmbH. Lisa Rauschnik, seit diesem März im Team, ist für die Events verantwortlich. Mit beiden hat sich die taz am See für ein Gespräch verabredet.

Eine Stange Geld, die erwirtschaftet werden muss

Schon der Mai war in Berlin alles andere als ein Wonnemonat und für die meisten Menschen viel zu kühl für ein Bad im See. „Schlechtes Wetter ist ein großes Problem für uns“, sagt Lisa Rauschnik, denn der Betrieb muss ganz ohne Zuschüsse auskommen. Bitter, wenn Einnahmen dann für Wochen ausbleiben, aber Kosten weiterlaufen und Löhne gezahlt werden müssen. „Allein die Grundsteuer hat sich von früher 3.300 auf nun 33.000 Euro erhöht!“, sagt Rauschnik – eine Stange Geld, die erwirtschaftet werden muss.

Für den Badebetrieb und die Events braucht es schöne Sommertage, die Saison ist ohnehin kurz: An guten Tagen, wenn das Wetter mitspielt, so wie an den paar heißen Tagen im sonst ziemlich nassen Juni und Juli, „kommen zwischen 4.000 und 8.000 zahlende Gäste pro Tag“, sagt Rauschnik.

Wer das Strandbad Plötzensee nicht kennt: In dem Natursee lässt sich nicht nur prima baden, schwimmen, sonnen und relaxen, hier gibt es vielerlei Aktivitäten und Angebote für kleine und große Gruppen, Sportevents und kulturelle Veranstaltungen und einen gastronomischen Service, der auch nach Badeschluss (18 oder 19 Uhr) für seine leckeren Pizzen (an der Strandbar) und Burger (eine Treppe höher im See-Café) bekannt ist. Das Publikum ist bunt gemischt. „Zu uns kommen Ur­weddinger genauso wie neu zugezogene Hipster und Familien aus ganz Berlin“, sagt Rauschnik. „Bei uns baden Frauen im Burkini genauso wie FFK-Fans im FFK-Bereich. Und das Miteinander funktio­niert gut.“

Das liegt unter daran daran, dass die Betreiber auf Inklusivität setzen. Zum Beispiel sind alle Hinweisschilder auf dem Areal nicht nur auf Deutsch, sondern zugleich auf Arabisch und Türkisch verfasst. Auch Barrierefreiheit ist ein großes Thema. „Wir sind ein Strandbad für alle“, sagt Florian Heep, „und die Regeln gelten für alle.“ Der DJ spielt auch mal ein Set türkischsprachiger Musik, das kommt gut an.

Die Beziehung zum Bezirks­amt von Mitte ist kompliziert

Dass sich alle an die Regel halten (okay, bis auf die Zigarettenkippen, die wider besseres Wissen im Sand landen), liegt vielleicht auch an den Ordnungskräften – hier Ranger genannt. Die sind überall gut erkennbar unterwegs und treten „stets freundlich auf“, wie Rauschnik sagt (man kann das schon am Eingang selbst feststellen). „Eine Schlägerei habe ich hier noch nie erlebt“, so Rauschnik.

Dagegen ist die Musik, die an der Bar am Strand im Hintergrund läuft, einigen Mitmenschen anscheinend zu laut. Das ruft das Ordnungsamt auf den Plan. Die Beziehung zum Bezirks­amt von Mitte, zu dem der Ortsteil Wedding gehört, beschreiben Rauschnik und Hepp als kompliziert. „Begegnungsorten wird es in dieser Stadt ja ohnehin schwer gemacht“, sagt Rauschnik. Und Heep ergänzt etwas resigniert: „Unsere Probleme werden selten gehört, Lösungsvorschläge stoßen auf wenig Interesse.“

Der Plötzensee – der sich alleine aus Grundwasser speist – war schon vieles in der Vergangenheit, das lässt sich vor Ort dank Infotafeln mit Texten auf Deutsch und Englisch und alten Fotos nachvollziehen. Ganz früher gehörte das Gelände dem Militär, das erste große Schwimmbad baute im Jahr 1877 der Turnlehrer Wilhelm Auerbach. Ein sepiafarbener Abzug zeigt den vermeintlichen Auerbach auf einem vielleicht zehn Meter hohen hölzernen Turm zum Sprung ins Wasser ansetzend – nach ihm wurde der gleichnamige Salto benannt.

In den 1920er Jahren stieg die Zahl der Besucher auf bis zu 40.000 Menschen – am Tag

In den 1920er Jahren wurde das Strandbad, inzwischen öffentlich geführt, zu einem Erholungsort der Weddinger Arbeiterschaft. Die kam mit Kind und Kegel. Zu Hochzeiten sollen die Besucherzahlen des Bades auf bis zu 40.000 gestiegen sein – pro Tag. Das Hauptgebäude aus roten Backsteinen mit einer schönen großen Treppe steht unter Denkmalschutz. Die „alte Lady“, wie Heep sie nennt, ist rund 100 Jahre alt und sanierungsbedürftig.

Menschen aus 30 Nationen arbeiten zusammen

Im Strandbad Plötzensee von heute arbeiten rund 200 Menschen, darunter alleine 30 Rettungsschwimmer:innen. Das Team ist so vielfältig wie die Besucher:innen, Menschen aus 30 Nationen arbeiten hier zusammen. „Die Vielfalt ist unsere Stärke“, sagt Lisa Rauschnik, „unser Team ist die Seele des Strandbads.“ Alle hätten gleiches Mitspracherecht, es gäbe keine Hierarchien.

Der Pächterbetrieb hat drei Initiativen ins Leben gerufen, die dazu beitragen sollen, „die Schönheit, Sauberkeit und Vielfalt des Plötzensees“ zu erhalten und für alle zugänglich zu machen. Eine der Initiativen widmet sich der Entmüllung, ohnehin ein leidiges Thema. Regelmäßig kommen Freiwillige zusammen, um den Plötzensee und sein Umland von Müll zu befreien. Davon hat also auch die Allgemeinheit etwas. Und regelmäßig werden die Kippen vom Sandstrand per Hand aufgesammelt.

Von einer weiteren Initiative profitiert die unmittelbare Nachbarschaft: Ein paar Meter vom Strandbad entfernt liegt das Joachim-Fahl-Haus, ein Wohnheim der Unionhilfswerk Sozialeinrichtungen gGmbH, dort leben Menschen mit Behinderungen. „Sie haben bei uns freien Eintritt“, sagt Florian Heep. Jeden dritten Freitag gibt es inklusive Strandtage. Der Plötzensee bietet einen barrierefreien Zugang zum Strand sowie spezielle Aktivitäten und Workshops und damit eine inklusive Umgebung. „Wir sind das einzige Naturwasserbad“, sagt Heep, „in dem man mit dem Rollstuhl ans und ins Wasser kommt.“

Auf dem weitläufigen Gelände gibt es außerdem ein kleines Biotop mit Naturlehrpfad, das ehrenamtlich betreut wird. Hier hat die lokale Artenvielfalt ein Rückzugsgebiet. Hinweistafeln bieten auf einem Rundgang viel Wissenswertes über Flora und Fauna. Schon mal etwas von der Hornissenschwebfliege gehört? Das ist eine Fliegenart, die das Aussehen einer Hornisse nachahmt, Stichwort Mimikry.

Um einen kleinen Teich mit Rohrkolben gibt es einen hölzernen Zaun, der zusätzlich mit einem Elektrozaun gesichert ist. Hier haben sich Zaun­eidechsen angesiedelt, hier leben auch Erdkröten, und sie alle müssen vor den Waschbären geschützt werden. „Wir haben Probleme mit der großen Waschbärenpopulation“, sagt Florian Heep. Denn die haben großen Appetit und fressen so gut wie alles. „Noch vor ein paar Jahren gab es hier am See Froschkonzerte, heute hört man kein einziges Quaken mehr.“ Im See übrigens schwimmen Hechte, Karpfen und natürlich Plötzen – aber kein Riesenwels.

Wenn sich die beiden etwas wünschen dürften? Da müssen Lisa Rauschnik und Florian Heep nicht lange überlegen und haben beide nur eins im Sinn: „Eine Sandreinigungsmaschine wäre toll!“

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