taz-Serie Verschwindende Dinge (6): „Sprache ist soziales Merkmal“

Immer weniger Menschen berlinern. Wer nur die Umgangssprache beherrscht, hat es schwer, sagt Sprachwissenschaftlerin Ruth Reiher.

Deuschtunterricht

Berlinern ist schwer, aber Deutsch ist auch nicht leicht Foto: dpa

taz: Frau Reiher, Sie kommen aus einem Ostberliner Bezirk. Berlinern Sie manchmal selbst, im Privaten unter Freunden?

Ruth Reiher: Nein, aber das ist wahrscheinlich sozial bedingt. Ich habe keine Freundinnen, die berlinern. Wer Germanistik studiert, berlinert im Allgemeinen nicht.

Finden Sie das Berlinische denn schön?

Wenn einer leicht berlinert, finde ich das okay. Aber wenn einer anstelle von „mich“ „mir“ verwendet oder umgekehrt, dann sträubt sich mein Sprachbewusstsein. Übrigens ist das kein Fehler, sondern eine Eigenheit der Berliner Umgangssprache.

Fällt Ihnen jemand ein, von dem Sie sagen würden, der berlinert aber mal so, wie es sein soll?

Harald Juhnke hat wunderschön berlinert. Regine Hildebrandt auch.

Berlinisch ist ja eigentlich gar kein Dialekt, sondern ein sogenannter Metrolekt, also eine Art regionale Stadtsprache, richtig?

Genau genommen: weder noch. Man verwendet den Begriff Dialekt für das Berlinische, aber eigentlich ist das nichts anderes als lediglich die Berliner Umgangssprache. Die ja übrigens nicht nur in Berlin gesprochen wird. Wenn Sie nach Prenzlau oder Frankfurt an der Oder fahren, da wird viel mehr berlinert als in Berlin selbst.

Jahrgang 1938, ist emeritierte Professorin der Philosophischen Fakultät der HU. Ihr Spezialgebiet: Entwicklung der deutschen Gegenwartssprache, Vergleich der Sprachentwicklung in Ost- und Westdeutschland.

Das Berlinische hat es nicht leicht. Zunehmend wird es in die Randbezirke Berlins verdrängt und kaum noch von jungen Leuten gesprochen. Wird das Berlinische aussterben?

Bis Sprachen aussterben, dauert es lange. In den ländlichen Gegenden und im Berliner Umland wird noch kräftig berlinert. Auch beim Deutschen wird ja immer wieder davon gesprochen, es werde vom Englischen verdrängt, aber ich denke, dem Deutschen geht es ganz gut.

Woher kommt eigentlich der schlechte Ruf des Berlinischen? Wenn man von jemandem sagt, er habe eine echte Berliner Schnauze, meint man ja eigentlich: Der benimmt sich unmöglich.

Nicht nur. Die Berliner Schnauze hat auch etwas Positives. Das Berlinische wird akzeptiert, das ist immer noch so. Aber es wird doch immer auch bewertet, meist eher negativ, womit stets eine Aussage über den Berliner an sich gemacht wird.

Sie meinen, Leute aus Stuttgart, München oder sonst woher aus dem Westen lehnen das Berlinische ab, meinen damit aber eher den Berliner?

Ich glaube schon, dass es diesen Zusammenhang gibt.

Ich dachte eigentlich eher, dass umgekehrt der Berliner den Schwaben und dessen Schwäbisch ablehnt.

Das ist vielleicht eine gegenseitige Ablehnung.

Im Osten Berlins wird stärker berlinert als im Westen. Liegt das daran, dass in der Zeit des geteilten Deutschland in Ostberlin immer noch berlinert wurde, im Westen aber bereits weniger?

Man muss da differenzieren: Es gibt das starke Berlinisch – also icke, dette, kicke mal, Beene und so weiter. Das wurde auch im Osten Berlins nur von bestimmten sozialen Gruppen gesprochen. Aber ein leichteres Berlinisch wurde eigentlich auch auf Ämtern und in Schulen als gängige Verständigungssprache akzeptiert. Anders als im Westteil der Stadt.

Wie war es da?

Zum Ende des vergangenen und Beginn des neuen Jahres beschäftigen uns die Dinge, die im Verschwinden begriffen sind. Wir verabschieden uns in dieser Serie von Alltagsphänomenen und Gebrauchsgegenständen, von denen manch einer noch gar nicht wusste, dass er sie vermisst. Zuletzt von den Punks und Telefonzellen, dem Kirchenglockengebimmel in der Früh und dem Kohlenstaub in Altbauwohnungen. Nun also das Berlinern.

Alle Serienteile zum Nachlesen auch unter www.taz.de/letzte-in-berlin

Im Westen war das Berlinische bereits vor der Vereinigung verpönt. Es war die Sprache der Unterschicht und galt als Proletenkult. Es hatte auch deswegen nicht den Stellenwert wie im Osten, weil viel mehr Leute aus unterschiedlichen deutschen Gegenden in den Westteil Berlins gekommen sind. Denken Sie nur an die Wehrdienstverweigerer oder andere Zugezogene, die ihre sprachlichen Eigenheiten mitbrachten. Daraus folgte, dass die Standardsprache als allgemeines Verständigungsmittel galt.

Womit lässt sich diese unterschiedliche Entwicklung noch erklären?

Das Berlinische hatte im Osten einfach andere Bedingungen. Dort gab es den sprachlichen Kontakt mit dem Umland. In Brandenburg bis hoch nach Mecklenburg-Vorpommern gibt es berlinische Elemente in der Sprache. Dadurch war die Gemeinschaft, die Berlinisch gesprochen hat, viel größer. Außerdem gab es im Osten eine liberalere Haltung gegenüber der Umgangssprache, sie wurde eben viel stärker akzeptiert.

Mit der war es nach der Wiedervereinigung dann vorbei?

Nach der Wende hat sich die Haltung gegenüber dem Berlinischen auch im Osten geändert. Ende der Neunziger haben wir während eines Forschungsprojekts Abiturienten aus Ostberlin befragt, wie sie gegenüber dem Berlinischen eingestellt sind. Die haben gesagt, das sei die Sprache ihrer Heimat, und sprachen sich für das Berlinische aus. Während die Schüler der siebten Klasse schon meinten, sie würden sowohl im Elternhaus als auch an der Schule angehalten, doch lieber nicht zu berlinern wegen der Aufstiegschancen in der Gesellschaft. Inzwischen ist das Sprechen des Berlinischen auch im Osten ein soziales Problem.

Und so wurde das Berlinische zu einer Art Unterschichtensprache, als die es heute teilweise gilt?

Wer nur berlinern kann, der hat jedenfalls in der heutigen Gesellschaft kaum eine Aufstiegschance. Und in Zukunft wird das Berlinern noch stärker zu einem sozialen Merkmal. Dadurch, dass man mit dem Berlinischen nicht mehr in die höheren Positionen kommt, die meisten aber an einem Aufstieg interessiert sind, wird das Berlinische verdrängt.

Berlins neuer Kultursenator Klaus Lederer berlinert auch schon mal.

Ja, der kann das.

Trotzdem ist was aus ihm geworden.

Wenn man als Politiker unter Leuten berlinern kann und damit deren Jargon annimmt, kann das schon helfen, Kontakt herzustellen. Das Berlinern aber strategisch einzusetzen, um bei den Leuten gut anzukommen, klappt meistens nicht, das wird durchschaut. Es funktioniert nur, wenn das Berlinern als ganz normal verwendete Umgangssprache durchgeht.

Fänden Sie persönlich es schade, wenn das Berlinische verschwinden würde?

Das Berlinische wird in nächster und übernächster Zeit nicht verschwinden. Dass es zurückgeht, ist eben sprachliche Entwicklung wie in anderen Regionen Deutschlands auch. In der Werbung, im Radio, in der Kulturszene, überall ist das Berlinische bereits weitgehend verschwunden. In den Achtzigern und auch in den frühen Neunzigern gab es das noch. Bedauerlich finde ich, dass die Differenzierung zwischen den einzelnen sozialen Schichten, die unter anderem auch durch unterschiedliches sprachliches Verhalten gekennzeichnet sind, so sehr das gesellschaftliche Leben bestimmt.

Gibt es eine weitere Berliner Umgangssprache, die das Berlinische irgendwann einmal ablösen könnte?

Kiezsprache vielleicht. Also wenn man etwa sagt: „Ich bin Schule“ und damit meint „Ich bin in der Schule“. Allerdings finden Sie Kiezsprache vor allem in den migrantisch geprägteren Westbezirken, in Wedding oder Neukölln.

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