taz-Serie Inklusion (7): LehrerInnen dringend gesucht
Für den Unterricht werden vermehrt Sonderpädagogen gebraucht. Schnappen sich die Länder ihre Absolventen gegenseitig weg?
STUTTGART taz | Noch nie haben so viele Sonderpädagogen an allgemeinbildenden Schulen gearbeitet wie in diesem Schuljahr. Alle Bundesländer arbeiten nämlich an der Inklusion, sie versuchen Kinder mit Behinderung mit Hilfe von sonderpädagogischer Begleitung in Regelschulen zu integrieren. In den nächsten Jahren wird der Bedarf an Sonderpädagogen steigen, doch schon jetzt ist der Arbeitsmarkt mancherorts wie leergefegt. Könnte die Inklusion mangels ausgebildeter Lehrer stocken?
450 zusätzliche Sonderpädagogen – und damit 60 Prozent mehr als im Vorjahr – wurden in Baden-Württemberg zum neuen Schuljahr eingestellt. Etwa genauso viele verlassen pro Jahr die pädagogischen Hochschulen im Land. Dabei wird in Baden-Württemberg erst in einem Jahr der größte Bedarf an Sonderpädagogen erwartet. Dann nämlich wird Inklusion im baden-württembergischen Schulgesetz verankert.
Die Debatte um Henri, einen Jungen mit Downsyndrom, dessen Eltern vergeblich darum gekämpft haben, ihn aufs Gymnasium zu schicken, hat gezeigt, wie dringend Familien auf die Möglichkeit warten, ihre Kinder auf eine Regelschule schicken zu können. Um diesem Wunsch zu entsprechen, stellt nicht nur das Land Baden-Württemberg deshalb jede SonderpädagogIn ein, die man findet.
Bayern besetzt in diesem Schuljahr 472 Sonderpädagogenstellen neu, zum Teil auch mit sonderpädagogisch ausgebildeten Grundschullehrern. In Rheinland-Pfalz wurden 80 Sonderpädagogen und 20 pädagogische Fachkräfte an Schwerpunktschulen für Inklusion eingestellt – „entsprechend dem Bedarf werde die Anzahl dieser Stellen weiterhin schrittweise erhöht“, teilt das dortige Bildungsministerium mit.
Mit der Inklusion wächst auch der Bedarf an Sonderpädagogen. Ohne zusätzliche Stellen ist die Integration von Kindern mit Behinderung in eine Regelschule zum Scheitern verurteilt. Wie hoch ist der Bedarf an Sonderpädagogen? Werden genügend ausgebildet? Oder schnappen sich die Bundesländer die Fachkräfte gegenseitig weg? Fragen, denen die taz in einer mehrteiligen Serie „Inklusion“ nachgeht. http://www.taz.de/taz-Serie-Inklusion-1/!143707/
Zwar könnten die Bildungsministerien Absolventen aus anderen Bundesländern anlocken. Doch darauf, dass man im Notfall anderswo Sonderpädagogen abwerben kann, dürfe man sich nicht verlassen, sagt der baden-württembergische Kultusminister Andreas Stoch (SPD). Stoch will die erwartete hohe Nachfrage mit Absolventen der landeseigenen Pädagogischen Hochschulen befriedigen – und die Zahl der Studienplätze möglicherweise erhöhen: „Es ist zu überlegen, ob man die Initiative ergreift und die Ausbildungskapazitäten erweitert“, sagte er.
Volle Seminarräume
Martin Fix, Rektor der Hochschule Ludwigsburg und Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz der Pädagogischen Hochschulen, sagt: „Wir fahren die Zulassungszahlen nicht weiter zurück, selbst wenn die Schülerzahlen zu sinken beginnen.“ Mit der aktuellen Ausstattung an Lehrenden sei seine Hochschule aber am Rande des Möglichen. In Ludwigsburg seien Seminare und Vorlesungen in der Sonderpädagogik zum Teil zu 150 Prozent ausgelastet, statt 30 Studenten säßen manchmal bis zu 50 in einem Seminar.
Eine Ausweitung der Kapazitäten zum jetzigen Zeitpunkt bedeutet aber, dass erst in vier Jahren mehr Lehrer auf den Markt kommen. Fix fordert deshalb, das Problem auch von der anderen Seite anzugehen: „Man muss zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um Lehrer an Grund- und weiterführenden Schulen mit inklusions- oder sonderpädagogischen Kompetenzen auszustatten.“
Das baden-württembergische Kultusministerium verspricht, entsprechende Fortbildungsangebote „deutlich auszubauen“ – wie viel es investieren will, konnte auf Anfrage nicht mitgeteilt werden.
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