taz-Serie Datenschutz in der EU: Vergiss mich, Internet!
Firmen müssen künftig Daten löschen, wenn Kunden das möchten. Aber ob und wie das umgesetzt wird, entscheiden wohl Gerichte.
![Eine Frau fotografiert im Dunkeln Eine Frau fotografiert im Dunkeln](https://taz.de/picture/2729344/14/BENJAKON-SENDORM-0975-WEB-1000.jpeg)
Die Daten von rund 500 Millionen Europäer*innen stehen ab 25. Mai 2018 unter besonderem Schutz. Dann gilt die EU-Datenschutzgrundverordnung – kurz DSGVO. Sie gilt als Meilenstein und Zeitenwende im europäischen Datenschutzrecht. Während Verbraucherschützer*innen jubeln, ärgern sich Blogger*innen, Vereinsleute oder Kleinunternehmer*innen über das bürokratische Ungetüm. Die taz beleuchtet in einer Serie die verschiedenen Aspekte der DSGVO.
Hier ist geregelt, dass Menschen das Recht haben, das Löschen aller sie betreffenden personenbezogenen Daten von einem Verarbeiter zu fordern, und zwar „ohne schuldhaftes Zögern“ – konkret haben Firmen dafür vier Wochen Zeit. Dieser Wunsch kann berechtigt sein, wenn es keinen Grund für eine weitere Speicherung dieser Daten gibt, aber auch, wenn die Person einfach ihre Einwilligung widerruft. Der Verarbeiter muss sogar von sich aus Daten löschen, zu deren Speicherung und Verarbeitung es keinen Grund (mehr) gibt.
Falls zu löschende Daten weiterverbreitet wurden, müssen Dritte, die die Daten ebenfalls verarbeiten, darüber informiert werden. All das passt zum ebenfalls in der DSGVO festgeschriebenen Grundsatz der Datenminimierung: Danach soll nur noch das Nötigste gespeichert, der Rest muss gelöscht werden. Auch die Informationspflichten für Firmen werden erweitert. Künftig haben also alle Europäer auch das Recht, zu erfragen, welche Daten überhaupt über sie gespeichert sind.
Die Regelungen sollen es Menschen ermöglichen, weiträumig die Kontrolle über ihre Daten zu behalten – sei es nun bei Plattformen wie Facebook, Online-Marktplätzen wie Amazon oder auch bei der kleinen Buchhandlung von nebenan, der ich vor einem halben Jahr eine Mail mit einer Frage zum neuen Roman meiner Lieblingsautorin geschrieben habe. Ausnahmen gibt es zum Beispiel bei öffentlichem Interesse, gesetzlich vorgeschriebenen Speicherfristen oder zur Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit.
Ingo Dachwitz, Netzpolitik.org
Das Recht auf Löschen und Vergessenwerden gab es bereits – begrenzt – vor der DSGVO. 2014 etwa verpflichtete der Europäische Gerichtshof Google dazu, bestimmte Links aus seinen Suchergebnissen zu entfernen, da diese „nicht mehr erheblich“ seien. Geklagt hatte ein Spanier, dessen Name im Zusammenhang mit einer Zwangsversteigerung in Zeitungsartikeln aufgetaucht war. Er hatte seine Schulden jedoch längst abgezahlt – doch wer seinen Namen googelte, landete bei diesen Artikeln. Viele Unternehmen setzen die bestehenden Regeln bisher kaum um. Da mit der DSGVO für Verstöße nun enorm hohe Bußgelder drohen, gibt es jede Menge Ratgeber, Handbücher und teure Kurse im Angebot, die erklären, wie man den Datenschutz den Vorgaben entsprechend umsetzen kann.
So sind etliche Unternehmen selten darauf ausgerichtet, bestimmte Daten zu bestimmten Zeiten zu löschen. „Die DSGVO betrifft große Konzerne genau so wie kleine Unternehmen“, sagt Ingo Dachwitz vom Blog Netzpolitik.org. Gerade für die kleinen Datenverarbeiter sei die Herausforderung, sich umzustellen, größer. „Aber dass man geltende Regeln bisher nicht umgesetzt hat und damit durchkam, kann ja kein Argument sein, es auch weiterhin nicht zu tun“, sagt Dachwitz.
Wem gehört mein Bild?
Wer in Zukunft tatsächlich welche Daten löschen muss, das wird sich noch zeigen. Kann ich von der Schufa verlangen, Daten über eine vor drei Jahren nicht bezahlte Handyrechnung zu löschen, wenn ich seither immer brav gezahlt habe? Oder hat die Auskunftei ein berechtigtes Geschäftsinteresse an der Speicherung dieser Daten? „Ich persönlich bin der Meinung, dass auch die Schufa löschen muss“, sagt Dachwitz. „Aber diese Fragen werden wohl die Gerichte klären müssen.“ Dachwitz glaubt, dass in den kommenden Jahren viele Prozesse rund um die DSGVO geführt werden. „Darin zeigt sich durchaus ein Versäumnis“, sagt er. „Die DSGVO regelt Dinge sehr grundsätzlich. Die EU und die Bundesregierung hätten bestimmte Bereiche noch ausformulieren oder konkretisieren sollen.“
***
Anmerkung der Redaktion: Im ursprünglichen Text wurde von zu langen Speicherungszeiträumen von Daten bei der Schufa ausgegangen. Die Schufa hat uns darauf hingewiesen, dass Informationen über unerledigte Sachverhalte in der Regel vier volle Kalenderjahre gespeichert werden. Davon gibt es Ausnahmen; in den FAQ der Schufa heißt es dazu: „ Eine länger währende Speicherung ist insbesondere dann möglich, wenn beispielsweise eine titulierte Forderung längere Zeit nicht ausgeglichen wurde.“
***
Teil 1 unserer Datenschutz-Serie: Interview mit der Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff
Teil 2 unserer Datenschutz-Serie: Was steht drin im DSGVO?
Teil 3 unserer Datenschutz-Serie: Auch kleine Firmen beklagen die Rechtsunsicherheit des neuen Gesetzes
Teil 4 unserer Datenschutz-Serie: Interview mit dem Verbraucherschützer Christian Gollner
Teil 5 unserer Datenschutz-Serie: Porträt des grünen Vordenkers der neuen Datenschutzgesetze Jan Philipp Albrecht
Teil 6 unserer Datenschutz-Serie: Das Recht auf Vergessenwerden
Teil 7 unserer Datenschutz-Serie: Ein Vereinsvorsitzender und eine Bloggerin sprechen über Nachteile des EU-Datenschutzgesetzes
Teil 8 unserer Datenschutz-Serie: Kommentar zur digitalen Zeitenwende
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss