taz-Serie Datenschutz in der EU: Er hat's erfunden
Jan Philipp Albrecht ist der Vordenker der neuen Datenschutzgesetze in Europa. Jetzt wird der grüne Überflieger Minister in Schleswig-Holstein.
Die Daten von rund 500 Millionen Europäer*innen stehen ab 25. Mai 2018 unter besonderem Schutz. Dann gilt die EU-Datenschutzgrundverordnung – kurz DSGVO. Sie gilt als Meilenstein und Zeitenwende im europäischen Datenschutzrecht. Während Verbraucherschützer*innen jubeln, ärgern sich Blogger*innen, Vereinsleute oder Kleinunternehmer*innen über das bürokratische Ungetüm. Die taz beleuchtet in einer Serie die verschiedenen Aspekte der DSGVO.
Dabei ist Albrecht einer der bekanntesten – und einflussreichsten – EU-Politiker in Brüssel. Sein Name steht für Datenschutz und Demokratie. Der Grüne gilt als Vordenker und Mastermind der EU-Datenschutzgrundverordnung. Die DSGVO ordnet die digitalen Rechte und Pflichten ab kommenden Freitag in der gesamten EU neu. Experten sagen, die Verordnung habe sogar das Zeug, langfristig zum Weltstandard zu werden.
All das war nicht absehbar, als Jan – so nennen ihn Kollegen und Freunde – 2009 zum ersten Mal für das Europaparlament kandidierte. Damals war der nette junge Kerl aus Braunschweig in Deutschland komplett unbekannt. Nur bei den Grünen hatte er sich schon von 2006 bis 2008 einen Namen gemacht – als Bundeschef der Grünen Jugend.
„Er war kein Nobody“, sagt das grüne Urgestein Reinhard Bütikofer, ebenfalls EU-Parlamentarier. „Wir suchten damals neue, frische Gesichter mit Gestaltungswillen.“ Gemeinsam mit Sven Giegold und Barbara Lochbihler schaffte es Albrecht auf die Europaliste. Er war 26 Jahre jung, interessierte sich fürs Digitale – also die personifizierte Zukunft. Das gab den Ausschlag. Außerdem hatte es der als eher links geltende Albrecht geschafft, auch die Realos im Parteirat und -vorstand zu überzeugen.
Auch Mark Zuckerberg lobt Albrechts DSGVO
Neun Jahre später gilt Albrecht als Überflieger – und gehört fast schon zum Establishment. Alle reden über seine relativ userfreundliche Datenschutzreform, auch in den USA. Sogar Facebook-Chef Mark Zuckerberg hatte die Datenschutzgrundverordnung gelobt. Die Europäer hätten „die Dinge richtig gemacht“, sagte er bei einer Anhörung im US-Kongress.
Das freut den jungen Juristen, der in Berlin, Bremen und Brüssel studiert hat. Ausgesprochen ärgerlich findet Albrecht, dass Zuckerberg sich keiner öffentlichen Anhörung im EU-Parlament stellen möchte. „Der US-Kongress konnte ihn dazu zwingen, wir leider nicht“, sagt Albrecht. Die Befragung im EU-Parlament findet nun hinter verschlossenen Türen statt. Mit einem freundlichen Empfang darf Zuckerberg hier nicht rechnen. Albrecht will ihn auf das umstrittene Geschäftsmodell von Facebook, das auf der Verwendung von Kundendaten beruht, ansprechen. Es könnte munter werden.
Noch mehr hätte der Grüne sich allerdings über den Besuch eines anderen Amerikaners gefreut: Edward Snowden. Monatelang kämpfte Albrecht dafür, Snowden zu einer Anhörung nach Straßburg zu holen, um über die NSA-Abhöraffäre zu sprechen. Am Ende scheiterte er nicht nur an den USA und ihrem weltweiten Snowden-Bann, sondern auch am damaligen Parlamentspräsidenten Martin Schulz – der SPD-Mann wollte sich nicht in die Nesseln setzen.
Geheimdienste als „schwarzes Loch des Rechtsstaats“
Eine Niederlage war das aber nicht, sagt Albrecht, heute stellvertretender Vorsitzender des Innen- und Justizausschusses. Schließlich habe das Parlament zwei Resolutionen vorgelegt, die die Überwachung durch die Geheimdienste einschränken sollen. Allerdings beerdigten die EU-Staaten die Affäre hinterher klammheimlich. „Die nationale Sicherheit hat Vorrang“, klagt Albrecht. Die Geheimdienste seien ein „schwarzes Loch des Rechtsstaats“.
Auch beim Datenschutz haben die Regierungen versagt, findet Albrecht. „Nicht ein einziger Mitgliedsstaat hat den Bürgern und den Unternehmen die neuen Regeln erklärt, das ist ein Skandal.“ Deutschland hat die Datenschutzgrundverordnung zwar schon in nationales Recht umgesetzt. Die Bundesregierung habe jedoch zu wenig getan, um die „Exzesse“ der Abmahnbranche einzuschränken. Einige spezialisierte Anwälte nutzten dies nun, um „Panik“ zu verbreiten.
Wem gehört mein Bild?
Überhaupt, die deutsche Politik. Im Gespräch mit Albrecht spürt man, wie sehr sie ihn umtreibt – und aufregt. Viele in Berlin würden sich zwar in Sonntagsreden zur EU bekennen, sagt Albrecht, doch die „europäische Perspektive“ sei nicht wirklich vorhanden, „in der Praxis ist doch alles sehr deutsch“.
Vielleicht kann er jetzt daran etwas ändern: Ab September muss Albrecht beweisen, dass er nicht nur Fachexperte, sondern auch Minister kann. Dann wird der grüne Jungstar Ressortchef für Umwelt, Landwirtschaft und Digitales in der schleswig-holsteinischen Jamaika-Koalition. Mit seinem Wechsel nach Kiel will Albrecht, der neben dem deutschen auch einen französischen Pass hat (seine Großeltern leben in der Provence), „Europa und die Digitalisierung nach Deutschland tragen“.
Digitalnerd und Duzminister
Neben seinem Mentor, dem Grünenchef und noch amtierenden Kieler Umweltminister Robert Habeck („er ist mein Traum-Nachfolger“) zählt Albrecht auch die Grünen-Kovorsitzende Annalena Baerbock zu seinen politischen Freunden. Die Erwartung in Kiel ist klar: Albrecht soll hier weniger den Digitalnerd als vielmehr den volksnahen Minister geben, der sich nach der Stallbesichtigung mit den Bauern duzt. Wie Habeck. Aber: Während Habeck als Realo gilt, den auch die Parteilinke schätzt, ist Albrecht der Grünen-Linke, den auch die konservativeren Teile der Partei gut finden.
Die meisten Fans hat Albrecht wohl im Norden. Er ist bekennender St.-Pauli-Anhänger. Dennoch dürfte ihm der Wechsel von Brüssel nach Kiel nicht ganz leicht fallen. „Ich hätte auch gut in Brüssel bleiben können“, räumt er ein. Neben der Arbeit im Parlament gefällt ihm das multikulturelle Flair. Vor allem die Place Flagey im Szeneviertel Ixelles mit dem Wochenmarkt und den vielen Kneipen wird ihm wohl fehlen.
Doch die Arbeit als Europaabgeordneter hat auch Schattenseiten. Die EU-Politik sei nicht genug an die Bürger „rückgekoppelt“, findet Albrecht. Außerdem hätten die Lobbyisten in Brüssel zu großen Einfluss. Allein zur Datenschutzgrundverordnung wurden dem zuständigen Parlaments-„Berichterstatter“ Albrecht 4.000 Änderungsanträge eingereicht, beinahe hätten die Interessenvertreter und ihre Freunde bei den Europaabgeordneten die parlamentarische Arbeit lahmgelegt.
Ein weiteres Problem: die Mitgliedsstaaten. „Die Intransparenz im Ministerrat hat mich am meisten heruntergezogen“, sagt Albrecht. In der Vertretung der 28 EU-Länder gehe es alles andere als offen und demokratisch zu. „Das ist eine Blackbox“, klagt der Abgeordnete. Die Mitgliedsstaaten versuchten, unter dem Deckmantel der Diplomatie die EU-Gesetzgebung zu beeinflussen – oder zu hintertreiben.
Praktikum bei der taz Bremen
Auch Deutschland stand auf der Bremse – oft zusammen mit den Briten, die es mit dem Datenschutz nicht immer so genau nehmen. Doch Albrecht wusste sich zu wehren – auch durch offensive Öffentlichkeitsarbeit. Wie man mit Journalisten umgeht, hat er – unter anderem – auch 2005 bei einem Praktikum in der Lokalredaktion der taz in Bremen gelernt. Über Albrechts Clinch mit den dunklen Mächten wurde sogar ein Film gedreht. „Im Rausch der Daten“ – so der Titel – zeigt, wie schwer Demokratie in Zeiten der Digitalisierung geworden ist.
Albrecht und die damalige EU-Justizkommissarin Viviane Reding „versuchen das vermeintlich Unmögliche und stellen sich einem harten, fast undurchdringlichen politischen Machtapparat, in dem Intrigen, Erfolg und Scheitern so nahe beieinander liegen“, heißt es im Trailer. Auf jeden Fall zeigt der Film gut, wie spannend, komplex und undankbar EU-Politik sein kann.
Ob sich Jan Philipp Albrecht im deutschen Politikbetrieb genauso wohlfühlt wie im europäischen, steht auf einem anderen Blatt. Kiel ist nicht Berlin. Doch er wäre nicht der erste Europäer, der sich in Deutschland schwertut.
Anmerkung: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, das Geschäftsmodell von Facebook sei der Verkauf von Kundendaten. Das ist nicht korrekt: Facebook reicht nach aktuellem Kenntnisstand keine Datensätze von Kunden weiter. Statt dessen bietet es Unternehmen, Verbänden und Parteien an, Werbung gezielt auszuspielen, etwa nach Geschlecht, Alter und Vorlieben, das sogenannte Targeting. Dafür gehen keine Daten an die Werbetreibenden, sondern der Werbetreibende sagt, an welche Gruppe seine Werbung gehen soll. Facebook schaltet gezielt Anzeigen.
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Teil 1 unserer Datenschutz-Serie: Interview mit der Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff
Teil 2 unserer Datenschutz-Serie: Was steht drin im DSGVO?
Teil 3 unserer Datenschutz-Serie: Auch kleine Firmen beklagen die Rechtsunsicherheit des neuen Gesetzes
Teil 4 unserer Datenschutz-Serie: Interview mit dem Verbraucherschützer Christian Gollner
Teil 5 unserer Datenschutz-Serie: Porträt des grünen Vordenkers der neuen Datenschutzgesetze Jan Philipp Albrecht
Teil 6 unserer Datenschutz-Serie: Das Recht auf Vergessenwerden
Teil 7 unserer Datenschutz-Serie: Ein Vereinsvorsitzender und eine Bloggerin sprechen über Nachteile des EU-Datenschutzgesetzes
Teil 8 unserer Datenschutz-Serie: Kommentar zur digitalen Zeitenwende
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