taz-Podcast „Nur Mut“ : Krisenjammer im Klopapierbunker
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Im neuen taz-Podcast spricht die Psychotherapeutin Petra Muth über Bewältigungsstrategien, warum Jammern gut tut und was wir von Aladin lernen können.
Frau Muth ist eine sogenannte psychologische Psychotherapeutin: Sie hat lange stationär in Kliniken gearbeitet und tut das nach wie vor ambulant, neben dem Betrieb ihrer eigenen Praxis im Ruhrgebiet. Muths Fachbereich ist Verhaltenstherapie, mit Schwerpunkten Klinische, Organisations- und Arbeitspsychologie, sowie Trauma-Arbeit.
„Ob die aktuelle Situation als eine Krisensituation erlebt wird, hängt viel von äußeren Faktoren ab“, sagt Muth. „Damit meine ich zum Beispiel: Hat die aktuelle Situation Auswirkungen auf meine finanzielle Situation? Welche räumlichen Ressourcen habe ich?“ Wo äußere Bedingungen widrig sind, sei es umso wichtiger, innerliche Bewältigungsstrategien anzuwenden. „Es gibt da verschiedene Bewältigungsstrategien. Zum einen, Lösungsorientierung. Bin ich in der Lage, die Situation zu analysieren und mir was zu überlegen, das konkret hilft“, sagt Muth. Ein Beispiel dafür sei eine Kosmetikerin, deren Geschäft gerade geschlossen ist und die Soforthilfe beantragt.
Eine weitere Strategie ist emotionsorientierte Bewältigung. „Es kann sein, dass der emotionale Druck so groß ist, dass wir uns da erst einmal Erleichterung verschaffen müssen, bevor wir Lösungen angehen können“, sagt Muth. Wir sorgen dafür, dass wir uns besser fühlen. Zum Beispiel, indem wir etwas tun, das wir mögen. Musik hören. Lesen. Serien oder Filme anschauen. Was spielen. Einen Bunker graben und ihn mit Klopapier und Nudeln füllen. Oder mal ordentlich Jammern. „Es hilft, uns emotional abzureagieren“, sagt Muth. „Und Jammern hat eine soziale Akzeptanz. Es führt oft dazu, dass wir bestätigt werden und Solidarität erfahren: Kein Wunder, dass es dir damit schlecht geht – ist ja auch kacke. Zum Beispiel.“ etwas anderes zu probieren.
Endlich tun, was schon man schon lange plante
Die dritte Strategie, sagt Muth, ist die Bewertung. Der Sache einen Sinn geben. „Das heißt, die Situation, so wie sie ist, als Herausforderung zu betrachten. Auch wenn ich viel lieber mein gewohntes Leben fortführen würde – das ist im Moment nicht möglich. Also gucke ich, was kann ich aus einer Situation mit ganz vielen negativen Aspekten bestmöglich machen.“ Dieser Schritt komme oft zuletzt, könne aber auch als erstes erfolgen, je nach Mensch. „Wenn wir einen Sinn in der Krise finden, gewinnen wir auch ein Gefühl der Kontrolle zurück und das ist sehr gut für unsere Gesundheit.“
Zum Beispiel ließe sich etwas angehen, das man schon lange tun wollte. Eine Fremdsprache lernen, oder ein Instrument. Endlich die gesamte Reihe „Verfall und Untergang des römischen Reiches“ lesen – eine Gesamtbetrachtung von fast 1.500 Jahren römischer und byzantinischer Geschichte in sechs Bänden. Sich via Videoanruf treffen und zusammen zeichnen. Oder auch: Die Videospiele spielen, die man schon lange spielen wollte. Die Serien durchsuchten.
„Es kommt nur darauf an, was es für die Person bedeutet. Wenn es gut tut und der Situation Sinn gibt, dann ist das wunderbar“, sagt Muth. Wichtig sei, sich die Zeit zu nehmen, durch Ausprobieren das Passende zu finden, und es für den Spaß an der Sache zu tun. Nicht zu viel von sich zu erwarten – und nicht nur eine der drei Strategien zu verfolgen. „Nicht zu sagen: Das eine ist der Weg, den geh ich jetzt und der rettet mich. Wenn Sie nämlich bei einer Sache verharren, und dann einen hohen Druck entwickeln, erzeugt das ja nur noch mehr Stress.“
Nörgeln über die Situation. Aber etwas finden, das wir ihr abgewinnen können. Was zum Mitnehmen. So wie Aladin, als der Zauberer ihn in die Grube sperrt: Aladin fängt an zu suchen und kommt raus mit einem fliegenden Teppich und dem Dschinn aus der Lampe. Miese Grube. Geiler Dschinn.
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