taz-Debattenserie Digitalisierung: Netz des Irrsinns
Kann die Demokratie das Internet überleben? Es entsteht ein Hass, den es ohne die „Echokammern“ in den Online-Netzwerken nicht gäbe.
F ür die Scholastiker, spottete Walter Benjamin einmal, erweise sich die Allmacht Gottes darin, dass er sogar Geschehenes ändern, wirklich Gewesenes ungeschehen und nie Gewesenes wirklich machen könne. Nun gut, das kann das Internet auch.
In der postfaktischen Fake News, die sich vom reinen Irrtum dahingehend unterscheidet, dass sie vorsätzlich nie Gewesenes in den Wirklichkeitsrang heben will, erweist sich auch eine Art Allmacht des Internets.
Klar: Es wäre zu einfach, den Wahlsieg Donald Trumps allein damit zu erklären, dass seine Kampagne die Instrumente der Digitalisierung perfide nützte. Der Aufstieg des Rechtspopulismus hat eine Vielzahl von Gründen, sozialökonomische etwa oder dass sich eine grassierende Angst in unsere Gesellschaften hineinfrisst.
Aber zugleich geht der globale Aufstieg des Rechtspopulismus mit der Verbreitung des Internets und der Social-Media-Revolution einher. Es wäre fatal, diese Zusammenhänge kleinzureden.
Die FPÖ produziert Pseudo-Nachrichten selbst
Nehmen wir nur Österreich: Vor 15 Jahren hat die rechtspopulistische FPÖ noch Heerscharen an Pressesprechern damit beschäftigt, beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu intervenieren und Redakteure unter Druck zu setzen. Heute hört man von solchen Aktivitäten kaum mehr etwas.
Stattdessen beschäftigt sie eine ganze Armee von Leuten, die selbst ein integriertes Pseudo-Nachrichten-Angebot produzieren – als Text auf parteinahen Web-Portalen, in Bewegtbild via professioneller TV-Formate („FPÖ-TV“) –, und die über die Social-Media-Kanäle der Partei dann für ordentlichen Traffic sorgen. Sobald eine Story im Internet dann ein paar zigtausend oder gar hunderttausend Klicks hat, übernimmt der Boulevard die Geschichten ohnehin von selbst.
Kann die Demokratie das Internet überleben? – Diese bange Frage drängt sich aufmerksamen Zeitgenossen schon seit einigen Jahren auf. Die digitale Kommunikation etabliert Polarisierungen (oder verstärkt sie zumindest); überall wird gerüpelt und gerotzt; der Mob 2.0 schürt Pogromstimmung. Diejenigen, die den absurdesten Gerüchten aufsitzen, halten sich groteskerweise für besonders „gut informiert“.
Generell triggert die Aufmerksamkeitsökonomie des Netzes die Erregung, Gereiztheit und den negativistischen Sensationalismus, da die Horrormeldung immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als die ausgewogene Bedächtigkeit. Schlimmer noch: Nicht nur die Irren erhalten eine Aufmerksamkeit, die sie früher nicht hatten, auch die Nicht-Irren werden in der Onlinekommunikation schnell zu Durchgeknallten. Für nicht wenige Leute gilt: Offline seid ihr ja ganz nett, aber Online werdet ihr zu Monstern.
Erregung wirkt besser als Bedächtigkeit
Die Journalistin und Netzexpertin Ingrid Brodnig hat in einer Reihe von Büchern die „Enthemmungseffekte“ der Netzkommunikation beschrieben, die tendenziell auf uns alle wirken: Wir werden grob und äußern Dinge, die wir „kaum jemandem direkt ins Gesicht sagen würden“. Zugleich erhält jede extreme oder auch nur verschrobene Auffassung im Netz sofort Applaus. Zustimmung und Bestätigung etablieren einen Aufschaukelungszusammenhang. Das sind Prozesse, die radikaler Grobheit jedenfalls günstiger sind als gelassener Bedächtigkeit – und damit ein Turbo-Boost für die politische Rechte.
Im Netz bewegen wir uns zunehmend in „Echoräumen“, in denen man nur Bestätigung für das erfährt, was man sowieso schon denkt, und dieses Denken wird zugleich immer mehr verstärkt und ins Absolute verschoben.
Eine beliebte These lautet, dass der Verdruss und der Hass, die ohnehin vorhanden seien, im Internet nur sichtbar würden und dass diese Sichtbarkeit sogar irgendeine positive Wirkung habe. Aber diese These übersieht die „ansteckende Wirkung“ solcher Kommunikation.
Menschen, die jeden Tag mit zwanzig Falschmeldungen bombardiert werden, dass etwa Flüchtlinge Frauen vergewaltigen, Omas vermöbeln oder Kinder essen, verfallen in eine Stimmung, die sie nicht so ohne weiteres „vorher auch hatten“. Brodnig beginnt ihr jüngstes Buch mit der Anekdote eines Gesprächs mit einer sogenannten besorgten Bürgerin, die sich vor einigen Jahren überhaupt noch nicht für Politik interessiert hat und sich jetzt aber auf den Pseudomedien von Pegida, Anti-Islam-Blogs etc. herumtreibt. Ihr Hass wird nicht bloß „sichtbar“, es gäbe ihn ohne das Desinformationsbombardement schlichtweg nicht.
In Österreich sorgte vor einigen Wochen die Geschichte von Boris für Erregung. Der hatte unter ein Posting von Florian Klenk, dem Chefredakteur des Falters und „Journalisten des Jahres“ geschrieben: „Kann den wer anzünden bitte!“ Klenk hätte den Mann verklagen können – zwang ihn stattdessen aber zu einem Treffen.
Boris erwies sich als völlig normal. Kleinstadt, guter Job, gehobener technischer Angestellter, Eigenheim, schickes Auto, fähig, sich gewählt auszudrücken. Aber seit der Flüchtlingswelle hatte er sich immer wieder gezielt „systemkritische“ Nachrichten geholt, und irgendwann hat ihm der Algorithmus nur noch gezeigt, was er sehen wollte. Nach und nach hat Boris immer aggressivere Postings geteilt. Er war in eine Parallelwelt gedriftet.
Aber Boris war immerhin in der Lage, darüber nachzudenken, was mit ihm passiert ist. So nahm diese Geschichte eine versöhnliche, vorweihnachtliche Wendung. Vorige Woche schrieb Boris an Klenk: „Ich habe ganz bewusst versucht, Filterblasen und Echokammern nicht nur zu vermeiden, sondern bestehende aktiv zu durchbrechen. Ich habe viele meiner ‚Gefällt mir‘ und Abonnements auf Facebook entfernt. Es ist erstaunlich, wie sich das eigene Weltbild verändert, wenn man nicht nur Strache, Unzensuriert.at und Wochenblick abonniert hat, sondern Personen aus anderen Richtungen mit in seine Informationsquellen aufnimmt. Ich habe Leute wie Christian Kern, Armin Wolf, Sebastian Kurz und nicht zuletzt Sie, Hr. Klenk, zu meinen Abos hinzugefügt.“
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