piwik no script img

taz-Chefinnen über Machtstrukturen"Hierarchien haben Vorteile"

Was unterscheidet die taz? Mit Organisationsforscher Kühl sprechen die zwei taz-Chefinnen über ungeschriebene Regeln, flache Hierarchien und was Zeitungen und Armeen eint.

Luise Strothmann (mitte) vertritt eine Woche lang die Chefredakeurin Ines Pohl (rechts). Bild: wolfgang borrs (3)

Luise Strothmann: Herr Kühl, bisher war ich Volontärin bei der taz. Jetzt übernehme ich von Ines Pohl die Chefredaktion. Auch die anderen Ressortleitungen werden durch junge Kolleginnen und Kollegen ersetzt. Eine gute Idee?

Stefan Kühl: Auf den ersten Blick hat das etwas Karnevaleskes. Motto: Jetzt drehen wir mal für einen Tag die Machtverhältnisse um und schneiden dem Bürgermeister ganz frech den Schlips ab. Und in der nächsten Woche sind die Verhältnisse dann wieder wie vorher.

Strothmann: Unterschätzen Sie uns mal nicht.

Kühl: Aber in einer Woche trauen Sie sich nicht, etwas an den Strukturen innerhalb der taz zu ändern. Sie haben ja aufgrund der Begrenztheit der Zeit nicht die Kompetenzen, wirklich etwas zu verändern. Versuchen Sie mal, jemanden zu entlassen.

Strothmann: Vielleicht mache ich das ja.

Kühl: Zugegeben: Es hat durchaus seinen Charme zu schauen, wie sich ein Produkt dadurch verändert, wenn es mal von ganz anderen Leuten verantwortet wird als sonst.

Ines Pohl: In der taz gibt es Redakteure, Ressortleiter und eine Chefredaktion - kann man da von einer flachen Hierarchie sprechen?

Luise Strothmann übernimmt das Ruder. Bild: borrs

Kühl: Der Begriff der "flachen Hierarchie" ist reiner Managementtalk. Ich finde es interessant, wie ihn immer mehr politisch links orientierte Organisationen übernehmen. Das Bekenntnis zur flachen Hierarchie scheint mittlerweile zur Schauseite jeder Organisation zu gehören. Es gibt staatliche Entwicklungshilfeorganisationen, die haben bei vorsichtigen Zählungen neun Hierarchiestufen, lassen sich aber gerne wegen ihrer vermeintlich "flachen Hierarchie" loben.

Pohl: In der taz ist das nicht nur eine Worthülse. Anders als in anderen Häusern ist es bei uns undenkbar, dass die Chefredaktion oder Verlagsführung inhaltliche Positionen vorgibt oder die Berichterstattung über bestimmte Themen verhindert.

Kühl: Aber wenn man sich die Entwicklung der taz über die letzten 31 Jahre anschaut, dann eignet sich ein einziges Wort zur Beschreibung: Hierarchisierung. Bei der Gründung war der Anspruch, eine Zeitung ohne Hierarchie zu sein. Aber dann schuf man eine Hierarchiestufe nach der anderen. Auch wenn die Hierarchien anders gelebt werden, alleine bei einem Blick auf das Organigramm kann man die taz kaum mehr von anderen Zeitungen unterscheiden. Da ist die taz typisch für eine ganze Reihe von selbstverwalteten Betrieben, die mit ihrem Wachstum zunehmend Hierarchiestufen eingerichtet haben - auch wenn sie sich nicht immer sofort getraut haben, diese auch so zu nennen.

Strothmann: Woran liegt das?

Kühl: Trotz ihrer anfangs politisch aufgeladenen Kritik an hierarchischen Strukturen scheinen die Macher der taz ja auch an der Hierarchiefreiheit gelitten zu haben. Man mag ohne die Basta-Kompetenz einer Chefin jeden Tag eine Zeitung herausbringen können, aber dies hat Auswirkungen auf die Qualität - sowohl auf die der Zeitung als auch die des eigenen Lebens.

Pohl: Wie meinen Sie das?

Kühl: Selbst Kritiker von Hierarchien merken, dass es Vorteile hat, wenn nach langen Diskussionen jemand eine verbindliche Entscheidung trifft. Dadurch wirken Hierarchien häufig auch konfliktmildernd, weil es für Auseinandersetzungen eine klare Stoppregel gibt: das Wort der Hierarchin oder des Hierarchen.

Ines Pohl gibt bis zum 25. April die Führung ab. Bild: borrs

Strothmann: Warum sind "flache Hierarchien" eigentlich so positiv besetzt?

Kühl: In unserer Gesellschaft erscheinen Hierarchien immer weniger legitim. Im Gegensatz zum Mittelalter oder zur frühen Neuzeit gibt es in der modernen Gesellschaft keine Hierarchien, die die gesamte Gesellschaft dirigieren können. Die Wirtschaft, die Politik oder die Wissenschaft werden anders gesteuert: über Märkte, über Wahlen oder über akademische Debatten. In Organisationen hat sich das Prinzip der Hierarchie jedoch gehalten und das führt dann entweder zur Forderung nach deren Abschaffung - oder eben zu deren Kaschierung.

Pohl: Erklären Sie uns bitte einmal ganz schlicht: Welche Machtinstrumente hat ein Chef?

Kühl: Da ist zum einen die Exit-Macht, also die Macht, jemanden einzustellen und bei Fehlverhalten zu entlassen. Und zum anderen verfügen Vorgesetzte häufig über Karriere-Macht. Sie können maßgeblich über zukünftige Positionen entscheiden. Weil Vorgesetzte häufig zögern, jemandem mit Entlassung zu drohen, spielt die Karriere-Macht häufig sogar eine wichtigere Rolle.

Pohl: Die Macht von Chefs, jemanden zu entlassen, ist doch oft stark eingeschränkt.

Kühl: Das kann verschiedene Ursachen haben: Entlassungen passen nicht zur Organisationskultur. Das Arbeitsrecht schränkt Möglichkeiten ein. Oder starke Gewerkschaften setzen einen sehr weitgehenden Kündigungsschutz durch. Hierarchen, die nicht über diese Exit-Macht verfügen und ihre Mitarbeiter nicht über Karriereaussichten locken können, greifen dann nicht selten auf Mobbing von oben zurück.

Strothmann: Die Gewerkschaften sollen schuld daran sein, wenn Chefs ihre Angestellten mobben?

Kühl: Zugegeben: Das entspricht nicht dem üblichen Tenor der Mobbing-Literatur. Aber schauen Sie sich die Häufung von Selbstmordfällen in französischen Unternehmen an. Interessant ist, dass diese nicht in den kleinen, partriarchal geführten Unternehmen auftreten, sondern in Unternehmen mit starken Betriebsräten wie France Télécom oder Renault. In diesen Unternehmen gelten im Vergleich weitgehende Kündigungsschutzrechte für die Mitarbeiter. Zugleich hat sich aber der Leistungsdruck in den letzten Jahren enorm erhöht. Dies hat offenbar dazu geführt, dass Vorgesetzte mobben, um Mitarbeiter anzutreiben oder loszuwerden.

Strothmann: Sind Sie eigentlich ein Fan von Hierarchien? Ihr erstes Buch hieß "Wenn die Affen den Zoo regieren".

Kühl: Zumindest bin ich nicht so naiv, an das angebliche "Ende der Hierarchien" zu glauben, das manche Managementgurus gerne verkünden. Wenn man Hierarchien abschafft, muss man auch sagen, was die Folgen sind.

Strothmann: Und zwar ?

Kühl: In Unternehmen, in denen Hierarchien abgebaut oder gar abgeschafft werden, gibt es einen Effekt: die Machtkämpfe nehmen zu. Das kennt man auch aus K-Gruppen, selbstverwalteten Betrieben oder größeren Wohnprojekten.

Pohl: Reibung kann doch auch positiv sein.

Kühl: Lange Diskussionen und eskalierende Konflikte können intensive Gefühle auslösen, gerade wenn zwischen Privatem und Arbeit kaum Grenzen sind. Das auszuhalten erfordert viel Idealismus. Aber das Risiko der Erschöpfung ist hoch.

Strothmann: Dann lieber gleich: Wir da unten schuften für die da oben.

Kühl: Hierarchien können auch Kreativität unterdrücken oder die Motivation abwürgen. Aber manche Organisationen, vor allem solche, in denen schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen, brauchen Hierarchien. Denken Sie an Armeen im Kriegseinsatz. Oder Tageszeitungen kurz vor Produktionsende.

Strothmann: In der taz sind zwar die Ressortleiter allgemein deutlich jünger als woanders, trotzdem ist es eher die Ausnahme, dass Neue sich sofort intensiv an Diskussionen beteiligen. Wie kommt das?

Kühl: Neulinge sind in den ersten Monaten in einer Organisation damit beschäftigt herauszufinden, wie sie sich verhalten müssen. Was die geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln sind. Insofern spüren sie sehr schnell, dass in einer Sitzung zwar offiziell alle aufgefordert werden, ihre Meinung einzubringen; dass aber einige gleicher sind als andere.

Strothmann: Und was kann man dagegen tun?

Kühl: Ein Trick ist es, den vermeintlich Schwächeren Sonderrechte einzuräumen. Man fragt prinzipiell immer erst nach der Meinung der Neulinge oder schafft Experimentierfelder für sie. Die Woche bei der taz könnte so verstanden werden.

Pohl: Haben Sie einen Tipp für uns, wie wir von dieser Woche möglichst viel in den Alltag retten können?

Kühl: Schreiben Sie alle Punkte auf, bei denen es Konflikte gibt. Die Frage ist, ob die Leitung auf Zeit sich in diesen Momenten durchsetzen kann. Hierarchien werden nur dann interessant, wenn nicht sowieso alle einer Meinung sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

9 Kommentare

 / 
  • J
    Jules

    Sehr interessantes Interview, insbesondere weil ich derzeit meine Masterarbeit über die Hierarchieabflachung in Krankenhäusern schreibe. Ich bin noch in der Anfangsphase und derzeit auf der Suche nach meinem Schwerpunkt. Vielleicht habt ihr Anregungen für mich?! VG Jules

  • H
    hto

    "Hierarchien haben Vorteile" - In der Hierarchie von Kommunikation / Kommunikationsmüll steht der Leser als notwendiges Übel hinten, unten, am Arsch!?

  • H
    hto

    Kühl: "Aber in einer Woche trauen Sie sich nicht, etwas an den Strukturen innerhalb der taz zu ändern. Sie haben ja aufgrund der Begrenztheit der Zeit nicht die Kompetenzen, wirklich etwas zu verändern. Versuchen Sie mal, jemanden zu entlassen."

     

    Die Struktur der taz ist der zeitgeistliche Zynismus im Chaos der gesamtgesellschaftlichen Begrenztheit in bewußtseinsbetäubender / konsumautistischer Konfusionierung durch Überproduktion von systemrationalem Kommunikationsmüll.

     

    Ich denke es geht absolut nicht um Veränderung bei diesem redaktionellem Spielkram, es geht um eine pseudo-alternative Sündenbocksuche, mit dem Slogan des "gesunden" Konkurrenzdenkens der bewußtseinsbeherrschenden Hierarchie in materialistischer "Absicherung": "Ich will so bleiben wie ich bin" - denn für eine wirklich vernunftbegabte Veränderung fehlt offensichtlich nicht nur der Mut!?

  • O
    ovau

    endlich mal ein klares wort zu diesem blödsinnigen begriff der „flachen hierarchie“.

    dieser begriff meint doch nur: ich bin der leitwolf und unter mir sind alle gleich. das ist nicht modern, das ist steinalt.

  • BL
    Benjamin Laufer

    Hallo,

    schade, dass ihr nicht über Geschlechterhierachien gesprochen habt. Die gibt's ja auch in der taz, gerade wenn man sich die Redaktionskonferenzen aguckt. Da reden fast immer nur die Männer. Hoffentlich ist das in dieser Woche anders :)

    Weiterhin viel Spaß

  • T
    Tom

    Eine kleine Anmerkung meinerseits: trotz Hierarchiewechsel war bei den heutigen Printausgabe der taz das Gesicht von Frau Pohl im Zeitungsregal auf "Vorderseite" zu sehen. In diesem Zusammenhang recht witzig. Sonst eine gelungene Ausgabe!

  • S
    Schulz

    Einspruch: Zitat:

    Die Wirtschaft, die Politik oder die Wissenschaft werden anders gesteuert: über Märkte, über Wahlen oder über akademische Debatten. In Organisationen hat sich das Prinzip der Hierarchie jedoch gehalten und das führt dann entweder zur Forderung nach deren Abschaffung - oder eben zu deren Kaschierung.

     

    Wenn die Wirtschaft nicht mehr die Wirtschaft steuert,

    dann ist die Wirtschaft Sklave des Marktes?

    Die Politik wird auch nur sehr mangelhaft

    von Wahlen veraendert.

    Das Kapital derer, die in allen Parteien

    sitzen, wird gleichmaessig verteilt,

    die SPD ist zB ueber die Agenda gestuerzt,

    die CDU wird ueber .. die Uebernahme der Verantwortung

    der Hitler-Untaten-Verbrechen untergehen,

    die Linken hoffentlich nicht gerade durch

    die Friedens-Freiheits-Debatten...

    dann schon eher durch den Atheismus

    (obwohl das inhaltlich gefuellt mit den sogenannten christl. Grundwerten auch besser funktioniert

    als eine christl. Regierung, die garnicht weiss,

    was christl. ist).

    In einigen wenigen Jahren, Generationen

    wird es sowieso keine National-Parteien mehr geben,

    nur noch internationale europ. Machtapparate,

    militaerisch gesteuert oder das Militaer als Quote und Berater fuer Zivilregierungen?

    Schon heute haben wir Auslaender mit deutschem Pass in den Parteien.

    Hierarchie ist oft nicht intelligent, sondern nur und alleine am Finanzkapital gebunden, am Militaer oder an der Exekutive orientiert. Das gleich familien-clan-aehnlich.

    Sind wir also alle abhaengig, wissen nur nicht,

    wogegen wir kaempfen sollen?

    Mit welchen Mitteln?

    Demonstrationen sind doch nur ein kleiner Anfang.

     

    Suche Arbeit und Wohnung in Berlin!

  • B
    Benjamin

    Interessantes Interview. Die Inhalte über Hirarchien waren sehr interessant, insbesondere weil sie das Thema einmal von einer anderen Seite beleuchtet haben.

  • D
    dietah

    Na der Gute, er hat in fast allem Recht.

    Nur eins hadda unterschlagen der kleene Schlawiner.

     

    Hierarchie bedeutet Verantwortung.

    Was passiert aber nun, wenn der Machtausübende sich lieber selbst in die Tasche wirtschaftet? Es gibt keinen Grund und keinerlei Hindernis in einer Hierarchie seine Macht zu missbrauchen, außer dem Ehrenkodex des Machtausübendenden.

    Ob man darauf vertrauen mag, ist jetzt eher so eine Blümchenfrage.

    Ich denke, grabschen wir besser nach der Hegelschen Synthese und sagen:

    Hierarchie der Effizienz willen, ja.

    ABER

    Macht wird nur auf Zeit vergeben und die der Macht unterworfenen dürfen wählen.

    Ach und:

    Wiederwahl unmöglich, nur sicherheitshalber. Kleiner Notstecker sozusagen.

     

    Das dann bitte flächendecken in allen gesellschaftlichen Bereichen (Politik, Wirtschaft, Gesellschaft) einführen. kkthxbye