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talkshowDie Qual nach der Wahl

Queere Rechte sind Menschenrechte. Nach der Bundestagswahl, die den gesellschaftlichen Rechtsruck endgültig belegt, ist das keine Selbstverständlichkeit mehr. Aber auch die politische Linke lässt zu wünschen übrig

Die Grünen-Wahlparty fand im Berliner Queerenclub SchwuZ statt – doch tun die Grünen genug für LQBTQ-Menschen? Foto: Doro Zinn

Von Michaela Dudley

Es ist noch Februar. Trotzdem steckt Deutschland schon zwischen der Merz-Revolution und dem MAGA-Wahn: Make Alemannia Germanisch Again war zwar kein offizieller Wahlkampfslogan, aber beim Rennen um das Bundeskanzleramt spielte die Sehnsucht nach der Vergangenheit unleugbar die Hauptrolle. Am Sonntag wurde gewählt. Die ­Hochrechnungen sind vorbei, die Niederungen der Sondierungsgespräche stehen an. Ein blauer Himmel erstreckt sich über das Land und man sieht schwarz.

In den Augen vieler Menschen innerhalb der LGBTQ-Community verblasst der Regenbogen. Dass die Union und die Alternative für Deutschland am stärksten abgeschnitten haben, lässt, auch wenn die beiden tatsächlich keine Koalition miteinander bilden, befürchten, dass hart erkämpfte Rechte bald gekippt werden könnten. Das Trump-Musk-Gespann macht erfolgreich vor, wie man mit Pomp und Populismus Nicht-Heterosexuelle ausgrenzt.

Friedrich Merz, der Kanzler von 83 Millionen Bür­ge­r:in­nen werden will, erklärt, er werde „wieder Politik für die Mehrheit der Bevölkerung machen, die gerade denke und alle Tassen im Schrank habe“. Man weiß, was oder besser wen der CDU-Vorsitzende mit den Anderen meint. Die AfD besteht sogar darauf, sowohl die Ehe für alle als auch das Amt des Queer-Beauftragten der Bundesregierung abzuschaffen. Eine auf den ersten Blick kuriose Wunschliste für eine Partei, deren Chefin homosexuell ist. Womöglich hält Alice Weidel den Dyke* March für ein Ereignis, das bei Ebbe am Wattenmeer stattfindet.

Wer A wie AfD sagt, muss aber auch B wie BSW sagen. Denn wenn Dem­ago­g:in­nen die Demokratie umarmen, ob von rechts oder links, handelt es sich um einen Würgegriff. Siehe Sahra Wagenknecht, die am Sonntag die Fünf-Prozent-Hürde, um in den Bundestag einzuziehen, verpasste. „Nein zu diesem Selbstbestimmungsgesetz! Das Geschlecht ist keine Lifestyle-Frage“, schrieb die BSW-Gründerin 2024 auf Instagram. Ich erwiderte: „Ein Ja zum BSW ist ein Ja zum bundesdeutschen Scharia-Wahlverein. Fundamentalismus ist nämlich keine Lifestyle-Frage, sondern eine Lebensbedrohung.“

Fakt ist, queer sein ist etwas Natürliches. Es ist eine der mannigfaltigen Manifestationen des menschlichen Bedürfnisses, in Eigenregie zu lieben und zu leben. Wir, die Direktbetroffenen, wollen keine Sonderrechte, sondern Rechte. Wer mit Gift und Galle gegen die sexuelle Selbstbestimmung wettert, lässt tief blicken, auch und gerade wenn sie mit oberflächlichen Begründungen aufwarten. Man wolle Frauen und Kinder schützen. Zweifelsohne müssen Frauen und Kinder geschützt werden: zum Beispiel Trans*­frau­en und non-binäre Kinder vor Hass und Hetze.

Doch die Enttäuschung vieler in der LGBTQ-Community richtet sich nicht nur auf Konservative und Rechtsextreme. Nachholbedarf haben auch jene politischen Parteien, die zumindest in ihren Wahlprogrammen das queere Leben deutlicher in den Mittelpunkt der Gesellschaft rücken. Es ist toll, dass Grüne und die wieder erstarkte Linke für eine umfassende gesundheitliche Versorgung queerer Menschen plädieren. Damit ist aber nicht die Frage beantwortet, was diese Parteien ganz konkret gegen die anwachsende Hasskriminalität gegen Queere jeglicher Couleur unternehmen. Die meisten queerfeindlichen Angriffe in Berlin fanden 2024 nach Polizeiangaben in den Bezirken Tempelhof-Schöneberg, Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf statt, zumindest die angezeigten. Queerfeindlichkeit ist also nichts, was man den eher konservativen bis rechtsextremen Außenbezirken zuweisen kann.

Hart erkämpfte Rechte könnten gekippt werden.Das Trump-Musk-Gespann macht vor, wie es geht

Diese Taten, zu denen auch seit dem 7. Oktober vermehrt antisemitische zählen, geschehen mitten unter uns im doch angeblich toleranten, multikulturellen Milieu.

Den Aufschrei darüber kann ich bei den „progressiven“ Parteien nicht vernehmen. Bleibt er aus, weil man Angst hat, als xenophob oder islamfeindlich gebrandmarkt zu werden? Der Eindruck, dass Täterschutz oft vor Opferschutz geht, ist nach meiner Wahrnehmung in der queeren Community weit verbreitet. Wer die Sicherheitsbedürfnisse der Opfer, zu denen nicht zuletzt muslimische Queere zählen, nicht hinreichend berücksichtigt, darf sich aber nicht wundern, wenn er das Vertrauen der LGBTQ-Community verliert.

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