starke gefühle: Antibiotika? Brauchen Sie nicht, Tee tutes auch, sagt die Ärztin. Danke für nichts!
Wenn ich mal wieder krank bin, dann halte ich das erst mal aus. Lange. Zu lange. Denn ich hasse es, zum Arzt zu gehen. Meine Freunde werden dann wütend, nennen mich unvernünftig. Aber das bin ich nicht – ich bin realistisch. Ich habe früh gelernt: Ärzt:innen helfen mir nicht.
Ich war zwölf, als ich mir auf der Klassenfahrt im Harz beim Schlittenfahren den Fuß verletzte. Ich versuchte, tapfer zu wirken, die Tränen liefen trotzdem. „Heul nicht so rum!“, schimpfte mein Lehrer. Erst am nächsten Tag fuhr er mich zum Dorfarzt. Der röntgte nicht mal. Mit Blick auf meinen geschwollenen Fuß sagte er: „Du hast nichts. Warum humpelst du so?“
Am nächsten Tag musste ich mit ins Schwimmbad. Als die Bademeisterin mich sah, bestand sie darauf, mich ins Krankenhaus zu schicken. Das Ergebnis der Untersuchung: drei gebrochene Fußknochen. Bis heute habe ich Schmerzen und humple ein bisschen.
Wäre der Fuß besser verheilt, wenn er gleich geschient worden wäre? Hätte man mir geglaubt, wäre ich kein Mädchen gewesen? Mit dieser Erfahrung bei Arztbesuchen bin ich nicht allein. 87 Prozent der Frauen zwischen 16 und 30 Jahren fühlen sich laut einer Umfrage aus diesem Jahr von Ärzt:innen nicht ernst genommen. Suchen wir bei Schmerzen Hilfe, werden wir hingehalten: Frauen warten länger in Notaufnahmen, bekommen weniger oft Schmerzmittel verabreicht, kriegen bei physischen Beschwerden überdurchschnittlich oft Psychopharmaka verschrieben und werden im Fall von Krebs tendenziell zu spät behandelt.
Vergangenes Jahr kämpfte ich monatelang mit einer Blasenentzündung. Auf den Hausarzttermin bereitete ich mich akribisch vor. Ich recherchierte im Netz und in meinem Umfeld, las die Apotheken Umschau, notierte mir all meine Fragen. Als ich die Hausärztin dann nach einem passenden Antibiotikum und den dafür notwendigen Test fragte, wies sie mich ab mit den Worten: „Brauchen Sie nicht. Probieren Sie es mal mit einem Tee.“
In der Folge hatte ich monatelang immer wieder Nierenschmerzen, Übelkeit, hielt ständig Ausschau nach der nächsten Toilette. Eine Zeit, in der ich Feierabendbiere mit meinen Freundinnen verpasste. In der ich an vielen Tagen im Homeoffice bleiben musste, mit Wärmflasche auf dem Bauch. Der Campingtrip: abgesagt. Erst die dritte Ärztin, vor der ich aus lauter Erschöpfung in Tränen ausbreche, machte die von mir geforderten Test und verschrieb das passende Antibiotikum. Fünf Tage später war die Entzündung weg. Und wieder frage ich mich: Hätte ich früher die richtige Behandlung bekommen, hätte ich keine „Frauenkrankheit“ gehabt?
Und selbst wenn Ärzt:innen unser Leiden anerkennen, können sie uns oft nicht helfen. Viele für Frauen typische Krankheiten sind schlecht erforscht, genauso die Wirkung von Medikamenten auf unsere Körper. Das ist kein Zufall, sondern hat System in einer Welt, die weiblichen Schmerz nicht ernst nimmt. Gender Health Gap nennt sich dieses Phänomen.
„Die Betäubung wirkt bei Frauen irgendwie manchmal nicht so zuverlässig“, höre ich noch heute meinen Arzt sagen, während er mir unter Schmerzen den Weisheitszahn aus dem Kiefer zieht. Absurd, wenn man bedenkt, dass unsere Körper über die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen.
Die Erfahrung, lange krank zu sein und keine Hilfe zu bekommen, häuft sich in meinem Umfeld. Bei meiner Mitbewohnerin: Endometriose. Bei meiner Freundin: ein zu spät behandelter Tumor in der Schulter. Ob wir nun krank sind, weil wir Frauen sind, oder nicht geheilt werden, weil wir Frauen sind: Wir sind noch keine 30 und fühlen uns wie eine Gruppe Rentnerinnen. Der Gender Health Gap kostet uns im allerschlimmsten Fall das Leben, in jedem Fall aber unsere Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe. Und manchmal raubt er uns die Kraft, weiter für das zu kämpfen, was selbstverständlich sein sollte: dass unsere Schmerzen ernst genommen und unsere Krankheiten endlich erforscht werden.
Josefine Rein
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