piwik no script img

TikTok-Challenge „Run it Straight“Ineinanderrennen ist der dümmste Sport der Stunde

Ein 19-Jähriger stirbt für Klicks. Die Internet-Challenge „Run it Straight“ fordert ihr erstes Todesopfer – und glorifiziert toxische Männlichkeit.

Das vermeintlich männlichste Element aus den Sportarten Rugby und Football: das Aufeinanderprallen Foto: imago

Am Montagabend vergangener Woche starb Ryan Satterthwaite. Am Sonntagnachmittag hatte er entschieden, stur geradeaus zu rennen. Das machen manche Menschen momentan, vor allem fürs Internet. Der 19-jährige Neuseeländer ist das vermutlich erste Todesopfer der „Run it straight“-Challenge.

Und die sieht so aus: Der Mann am rechten Bildschirmrand steht unruhig vor dem Publikum, blickt starr geradeaus. Seine Hände klammern sich an den Rugbyball, den er vor dem Schritt hält. Dann sprintet er los, immer geradeaus, bis er auf seinen Kontrahenten trifft. Frontal prallen die beiden Männer ineinander, der rechte, mit Pferdeschwanz und Cap, blockt mit den Armen vor dem Oberkörper, trifft den anderen, kurzhaarigen damit auf der Brust. Kurzhaar sackt nach hinten, dann knallt er seitlich auf den Rasen.

Das ist „Run it Straight“. Pferdeschwanz fällt nicht, er weicht nach dem Zusammenstoß nach rechts aus, den Ball noch in der Hand. Er ist der Sieger. Kurzhaar rollt sich auf den Rücken, während andere Männer zu ihm eilen. Niemand trägt hier Brustpanzer oder gar einen Helm. Während die Kamera weiter auf den Sieger hält, dem begeisterte Jungen zum Sieg gratulieren, spart sie aus, was sich am Boden abspielt.

Das ist „Run it Straight“, der vielleicht dümmste Sport aktuell. Er hat eine Challenge losgetreten. Auf Tiktok erreichen nicht nur Beiträge von „professionellen“ Wettkämpfen über 3 Millionen Views. Auch Videos, die ganz offensichtlich private Kollisionen zeigen, wie die von zwei Jungen auf einem Schulsportplatz, werden millionenfach angesehen. Das Gejohle und Gekreische am Ende ignoriert, dass ein Mensch auf dem Boden liegt und mindestens gedemütigt, womöglich sogar schwerverletzt ist. Denn gerade in den Videos, die bei privaten Events entstehen, ist klar: Hier geht es um mehr als einen „Wettkampf um Stärke“, wie manche Medien schreiben, oder eine „Mutprobe“.

Im Schneewittchenverschnitt „7 Zwerge“ schlagen sich die Zwerge gegenseitig mit Holzbrettern auf die Stirn. Diese Dummheit wird bei „Run it Straight“ noch aggressiver ausgelebt. Hirnlos prallen Muskeln und Maskulinität aufeinander.

Dabei ist die Idee Sportarten entnommen, die nicht unumstritten, aber doch sehr viel komplexer, weniger toxisch sind, dem Rugby und dem Football. Doch statt Teamplay, Strategie, Eleganz wurde das vermeintlich männlichste Element aus diesen Sportarten herauskopiert: das Aufeinanderprallen.

Veranstalter wollen expandieren

In Australien vermarktet die Runit Championship League diesen „Sport“, organisiert Wettkämpfe, arbeitet mit Sponsoren zusammen. Auf der Website schreibt der Veranstalter: „Runit ist die wildeste neue Kollisionssportart der Welt. Geboren, um viral zu gehen, geschaffen, um Grenzen zu sprengen, hat es die sozialen Medien mit zig Millionen Views im Sturm erobert.“ Die Bewerbung läuft via Formular, das bauernfängerisch einfach gehalten ist.

Immerhin will man expandieren. In Neuseeland gab es kürzlich Wettbewerbe und 20.000 neuseeländische Dollar für den Sieger. Größere Veranstaltungen haben die lokalen Behörden aber vorerst nicht erlaubt, aus Sicherheitsbedenken. Aber selbst wenn der organisierte Sport dort vorerst nicht mehr stattfindet, auf dem Schulhof, im Park, da lässt sich ja noch schön ineinander rennen und herausfinden, wer stärker ist. So wie Ryan Satterthwaite.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Also vor ein paar Jahren haben sie noch Tide Pods um die Wette gefressen. Ich finde da ist durchaus eine Entwicklung zum Besseren zu Erkennen.

    • @QuantumRider:

      "Tide Pods" sind Waschmitteltabletten.

  • Mein Mann pflegt in solchen Momenten kopfschüttelnd zu sagen:

    "Es gibt Gründe, warum Männer im Schnitt nicht so alt werden wie Frauen..."

  • So eine sinnlose Art sein Leben zu verlieren. Mutproben haben natürlich auch zu meiner Jugend gehört, aber sowas?



    Was habe ich beim Film Idiocracy gelacht, jetzt langsam halte ich es für ein prophetisches Machwerk

    • @Pawelko:

      Die Grundlage des Films, dass sich nur noch "Unterschichten-Deppen" fortpflanzen und nicht die schlauen Akademiker, finde ich schon irgendwie ziemlich daneben, weil die Bildung sehr stark mit den sozialen Bedingungen verknüpft ist und eben nicht so stark, wie man denken würde, mit der Intelligenz.



      ABER: Sie haben völlig Recht, dass es erschreckend ist, mit wie viel skurriler Dummheit wir es heutzutage zu tun haben. Wie kann man auf einen Trump hereinfallen? Wie kann man auf Weidel und Chrupalla hereinfallen? Und wie kann man auf die Idee kommen, sich gegenseitig in den Knockout oder direkt ins Jenseits zu rammen? Das alles lässt sich auch nicht mit (mangelnder) Intelligenz erklären - denn so blöd kann man eigentlich nicht sein - sondern nur mit der Weigerung, über Argumente nachzudenken, die einem auf den ersten Blick vielleicht nicht gefallen. Quasi eine Emotionalisierung von Politik und Gesellschaft.

    • @Pawelko:

      Leider bin ich nicht in einen Dauer Schlaf versetzt worden wie im Film sondern bin live dabei wie sich alles dahin bewegt. Wer hätte je gedacht das dieser Film prophetisch ist 😁

  • So kann man sich natürlich auch aus dem Genpool nehmen. Männer ...🤦🏼‍♀️

    • @Minelle:

      Das ist schon Darwin-Award reif.

  • Das kann wirklich nur Männern einfallen. In der Tierwelt geht es bei solchen Kämpfen immerhin darum, wer die Herde besamen darf. Aber eine Verewigung beim Darwin Award (de.wikipedia.org/wiki/Darwin_Award) wäre ja auch eine schöne Aussicht ...

    • @Christian Lange:

      Das gilt aber rein prinzipiell auch für angesehene Sportarten. Die Todesrate bei einer Annapurnabesteigung liegt bei 33%. Ich weiß nicht, welcher andere Sport mit so einer Todesrate noch mithalten könnte.