heute in hamburg: „Man darf seinen neutralen Blick nicht verlieren“
Felix Wieneke, 31, ist Abschiebungsbeobachter für das Diakonische Werk Hamburg.
Interview Deborah Kircheis
taz: Herr Wieneke, Sie sind Abschiebebeobachter. Würden Sie manchmal gerne eingreifen?
Felix Wieneke: Einmal hat eine Polizistin ein Kind aufgefordert, seine Mutter zum Mitmachen zu bewegen. Sie sagte dem Kind: „Wenn ihr nicht mitmacht, bekommt ihr hier nichts mehr zu essen und zu trinken.“ Das war ein Moment, in dem ich gern eingeschritten wäre. Aber ich muss die Situation mit den Vorgesetzten der handelnden Personen besprechen.
Was sind die größten Herausforderungen?
Zum einen passiert in diesen Situationen am Flughafen oft wahnsinnig viel gleichzeitig. Es ist schwer, die Situation allein zu überblicken. Und dann darf man seinen neutralen Blick nicht verlieren. Es ist wichtig, zu prüfen, ob alles nach den geltenden Bestimmungen abläuft. Das darf man nicht mit persönlichen Einstellungen vermischen. Selbst wenn mir jemand total leidtut.
Erleben Sie in diesen Situationen auch Polizeigewalt?
Wenn ein Ziel mit anderen Mitteln nicht erreicht werden kann, ist die Polizei dazu aufgefordert, es mit Gewalt durchzusetzen. Ich habe keine unverhältnismäßige Polizeigewalt erlebt, aber trotzdem erlebe ich Gewalt, weil die Polizei dazu aufgefordert ist.
Gab es Momente, in denen Sie sich nicht in der Lage gefühlt haben, die Beobachtungen fortzuführen?
Ja. 2018 kam es zu der Abschiebung eines Mannes, der schwer krank war und so unter den Maßnahmen gelitten hat, dass meiner Meinung nach eine rote Linie überschritten wurde. Ich dachte, so was kann ich nicht miterleben.
Werden Sie in solchen Momenten unterstützt?
Ich habe die ganze Zeit das Angebot einer Supervision wahrgenommen. Es geht darum, Erlebnisse zu verarbeiten und zu prüfen, ob man seine Rolle noch ausfüllen kann und ob sie sinnvoll für einen selbst, die Betroffenen und die Organisation ist. Aber vor allem das Team der Diakonie hat mich immer unterstützt.
FAQ – was machst Du? Gespräche mit Praktiker*innen im Flüchtlingsschutz: 16.30 Uhr, online; Anmeldung auf der Homepage der Diakonie erforderlich
Wann endet das Projekt?
Formal am 31. Dezember 2020.
Und dann?
Es wird ein Anschlussprojekt geben. Im neuen Koalitionsvertrag ist festgehalten, dass es weitergeführt und auch finanziert wird. Es ist wichtig, dass dieser Bereich, der sonst nicht für die Zivilgesellschaft einsehbar ist, eine Kontrolle bekommt.
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