piwik no script img

heute in bremen„Das BfS lügt“

Jörn Gutbier, 52, Architekt, Vorsitzender des Vereins diagnose: funk, Chef der Grünen-Fraktion in der Stadt Herrenberg und Sprecher des Arbeitskreises Mobilfunk­emissionen in der Immissionsschutz-AG des BUND.

Interview Benno Schirrmeister

taz: Herr Gutbier, Bruxelles und Genf haben die 5-G Mobilfunk-Technologie gestoppt – sollte Bremen dem Beispiel folgen?

Jörn Gutbier: Ja, auf jeden Fall: Nur Moratorien können noch ermöglichen, dass es eine vernünftige Folgenabschätzung gibt, bevor man diese neue Technologie auf den Markt bringt.

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) geht nicht von gesundheitlichen Risiken aus.

Das BfS lügt. Das muss man wirklich so hart sagen. Es belügt in dieser Frage die Öffentlichkeit: Es gibt seit Jahrzehnten ernste Hinweise auf gravierende gesundheitliche Folgen durch Mobilfunktechnologie. Im Verein diagnose:funk werten wir die verfügbaren Studien zu dem Thema die ein Resultat erbracht haben, mit der Hilfe von Fachwissenschaftlern aus. Die Untersuchungen, die physiologische Effekte nachweisen, sind deutlich in der Überzahl. Noch dramatischer wird das Ungleichgewicht, wenn man sich nur die unabhängig von Industrie und Militär erstellten Studien anschaut. Dass deren Erkenntnis so aus der Diskussion herausgehalten wird, deutet auf einen organisierten Wissenschaftsbetrug hin, an dem sich das BfS beteiligt.

Das meiste Gewicht hat dabei wohl die Langzeituntersuchung des US-National Toxicology Program (NTP) …

Das war eine staatliche Studie über zehn Jahre, und die beteiligten Forscher waren selbst überrascht: Sie hatten gegen ihre Erwartung clear evidence, also Beweise für die krebserregende Wirkung von Mobilfunkstrahlen gefunden. Umgehend hat die Mobilfunkindustrie versucht diese Ergebnisse wieder einzufangen. Die Studie ist dann von einem 14-köpfigen Experten-Panel überprüft und als den wissenschaftlichen Standards entsprechend bestätigt worden. Jetzt wird weiterhin die Aussagekraft bestritten, weil die benutzten Leistungen zu hoch gewesen wären. Bloß hatte gleichzeitig eine italienische Studie des Istituto Ramazzini mit sehr niedrigen Frequenzen gearbeitet, und die gleichen Ergebnisse geliefert: Mobilfunkstrahlung ist in der Lage Krebs auszulösen.

… Fiora Belpoggio hat allerdings nur mit Ratten geforscht?

Ja, mit 2.000 Ratten. Wir können ja schlecht Menschen bestrahlen.

Vortrag: 5G Mobilfunk: Auswirkungen auf Mensch und Umwelt, Haus der Wissenschaft, 20 Uhr

Aber das tun wir doch: Seit zehn Jahren gibt‘s Smartphones. Müssten die Auswirkungen nicht erkennbar sein?

Krebs hat lange Latenzzeiten. In der schwedischen Gesundheitsstatistik gibt es eine Verdoppelung von Lymphdrüsenkrebs bei jungen Frauen in weniger als zehn Jahren und steigende Fälle von Zunge- und Hals- und Mundtumoren. Altersstandardisierte Studien aus den USA zeigen Ähnliches bei Heranwachsenden und auch die Zunahme von Hirntumoren bei Kindern ist signifikant. Das ist zwar kein kausaler Beweis. Aber ein Hinweis, dem nachzugehen wäre.

Zumal 5G mit deutlich mehr Funkzellen arbeiten müsste?

5G soll insbesondere in den Städten als weitere Infrastrukturebene auf Straßenniveau den Menschen direkt vor ihre Wohnungen gebaut werden. Die Grundlast wird steigen, obwohl wir alles dafür tun müssten, die Dauerbelastungspegel zu senken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen