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Die Freuden des Italo-PopsEigentlich ist es ganz einfach mit dem Glück

Wenn einen die ganzen Zumutungen des Lebens nur noch frösteln lassen, muss man nicht verzagen. Man darf doch im Berliner Schokoladen Italo-Pop hören.

Der Namensgeber für das Berliner Gebäckorchester: der italienische Sänger Adriano Celentano Foto: Franz-Peter Tschauner/picture alliance/dpa

W eil man mit Goethe eigentlich wenig falsch machen kann, darf so ein Klassikerzitat gleich mal am Anfang ran. Seufz: „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,/ Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn …“

Da geht es um Sehnsucht. Da geht es um Dinge, die man hier bei uns halt nicht hat. Und deswegen mag man sich an den Zeilen zwischendurch einfach mal festhalten, wenn draußen wieder Stürme toben und der Wind Fangen spielt mit den Blättern. Was hübsch aussieht. Wenn der Wind aber die Lust an diesem Spiel verliert, fallen die Blätter tumb zu Boden und liegen dort dann unnütz rum.

Es schmeckt doch bereits wieder nach der Kälte, dem grauen in Anoraks verpackten Leben

Riecht es nicht auch schon modrig da draußen? Es schmeckt doch bereits wieder nach der Kälte, dem grauen in Anoraks verpackten Leben. Es schmeckt nach Vergänglichkeit. Winter kommt.

Da kann man sich jetzt an den Rechner setzen und schnell die Flucht buchen, Kanaren, Balearen, egal. Hauptsache Sonne. Flugscham ist auch nur ein Wort und Klimakrise was für die anderen.

wochentaz

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Oder man setzt sich an diesem Samstag trotz Nieselregen auf sein Fahrrad und fährt auf der Suche nach Italien durch die Berliner Nacht. Der ewige Sehnsuchtsort. Den der Geheimrat in seinem Gedicht „Mignon“ gar nicht erst zu nennen brauchte, weil eh alle wussten, dass mit den Zielmarken Zitronen und Orangen nur dieses Land gemeint sein konnte. Esakapismus in sieben Buchstaben: Italien. Das Versprechen von Sommer mit dem Meer drumherum, von dem ja auch in den Liedern gesungen wird und vom blauen Himmel und der Liebe, natürlich, das sind die Verlockungen des Italo-Pops.

Der ­Schoko­laden

in der Berliner Ackerstraße ist ein guter Ort, um sich musikalisch überraschen zu lassen, weil das niedrig gehaltene Eintrittspreisniveau beim Ausgehen auch mal Experimente möglich macht. Die es neben Punk und bunt aufgefächerten Indierock im Schokoladen auch immer wieder zu hören gibt.

Deswegen hat man sich ja auch auf dem Weg gemacht, und im Schokoladen, diesem fast letzten Widerspruch zur ansonsten durchgentrifizierten Mitte, ist man dann auch nicht allein. Das Konzert ist ausverkauft, manche im Saal tragen, dem Anlass unbedingt angemessen, Glitzerbluse oder eine Hose im Leopardenlook. Auch sonst ist den Menschen anzusehen, dass sie an diesem Abend durchaus den einen Moment länger darüber nachgedacht haben, in welchem Casual Look es nun rausgehen soll zum Vergnügen.

Punk-Bewusstsein, Augenzwinkern und Seriosität

Auch bei den neun auf die kleine Bühne geklemmten Mu­si­ke­r*in­nen vom Adriano Celentano Gebäckorchester glitzert es hier und da, und überhaupt hat man dessen Ansatz – neben dem gleich Appetit machenden Kaffeekränzchen-Namen – bereits mit der Spanne beschrieben, die sich da im Schokoladen zwischen dem schwarzen Anzug samt Schlips (wenigsten am Anfang noch) des hübsch Italienisch parlierenden Sängers und dem trotzig-lässigen „Wipers“-Shirt über der Trainingshose des Gitarristen auftut. Eine Mischung aus Punk-Bewusstsein, Augenzwinkern und auch Seriosität, die es schon braucht, wenn man mit Sehnsuchtsdingen zu tun hat.

Durch die Lieder werden die getriggert und mit Schmackes knallt einem das Gebäckorchester das alles vor den Latz, spielt olle italienische Beatklopper, Rock-’n’-Roll-Fetzer, Partystampfer und widmet sich in charmanter Hemdsärmligkeit diesen waidwunden Herzschmerzschlagern des Italo-Pops, die man einst gar nicht am Strand bei Rimini gehört haben musste, um sich nicht gleich in ihnen einfinden zu können. Und das Publikum macht da umstandfrei mit: Von der ersten Nummer weg wird getanzt, alle sind in steter Bewegung, wirklich niemand will da Spielverderber sein und so brüllt auch der ganze Saal mit dem Lied von Umberto Tozzi „Gloria“, Verzückung ist auf den Gesichtern zu lesen, und nochmal, lauter, „Gloria“, und immer wieder die Kennworte: cielo, Himmel, mare, Meer. Amore. „Viva la Felicità“ gibt das Gebäckorchester als Losung aus. Glück. In diesem Moment wohnt es im Schokoladen.

Von Celentano, der wirklich eine Menge mehr gemacht hat als nur „Azzurro“, hat das Gebäckorchester gar nicht so viel im Programm und spielt dieses unvermeidliche Lied zum Schluss. Um Sommer geht es in dem Lied, natürlich.

Dass es draußen schon wieder nieselt, kann einem da doch jetzt wirklich mal egal sein.

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Thomas Mauch
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1960, seit 2001 im Berlinressort der taz.
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