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Gaza-Tagebuch„Wer kein Geld hat, hat weiter Hunger“

Seit bald einem Monat lässt Israel wieder kommerzielle Güter nach Gaza. Davon profitiert nur, wer die hohen Preise für die Lebensmittel zahlen kann.

Warten auf Essen: Ein Mädchen in Gaza-Stadt am 22. August Foto: Abdel Kareem Hana/ap

V ielleicht kehrt eines Tages wieder Hoffnung in diese Stadt der Schatten zurück. Jeden Tag suche ich nach etwas, das mein Herz am Leben hält. Ich gehe durch die zerstörten Straßen von Gaza-Stadt und stelle mir vor, wie sie einmal waren – wie breit die Straße zum Meer war und wie mir die Brise ins Gesicht wehte. Jetzt scheint der aufgetürmte Schutt die Luft gefangenzuhalten – die Stadt kann nicht mehr atmen. Die Besatzung hat uns das angetan.

Die israelische Besatzungsmacht lügt und behauptet, wir würden nicht verhungern – während sie selbst verhindert, dass Lebensmittel zu uns gelangen. Sie bombardiert uns mit Raketen und behauptet, ihre Armee würde keine Zivilisten töten.

Die Armee belagert Gaza-Stadt von allen Seiten und kontrolliert alles, was in den ganzen Gazastreifen hineingelangt. Seit fünf Monaten lässt die Besatzungsmacht zu wenig Lebensmittel und kaum Medikamente oder Treibstoff für die Generatoren der Krankenhäuser ins Land. Und erst seit weniger als einem Monat erlaubt Israel wieder die Einfuhr von kommerziellen Gütern in den Gazastreifen. Aber reicht das aus, um die Hungersnot zu beenden? Und was bedeutet „kommerziell“ überhaupt?

Natürlich reichen die kommerziellen Lieferungen nicht aus, um die Hungersnot zu beenden. Denn diese Waren werden von Händlern aus dem Gazastreifen eingeführt, die sich mit der israelischen Armee abstimmen und hohe Gebühren zahlen, um die Einfuhr nach Gaza zu gewährleisten.

Was ist also die Wahrheit über den Hunger in Gaza?

Lebensmittel werden auf den Märkten – und in den sozialen Medien – von Händlern und Restaurant-Besitzern im Gazastreifen selbst beworben, als wären sie überall erhältlich. Als hätte die Hungersnot in Gaza ein Ende. Doch ich schwöre bei Gott: Sie zeigen das Leid der Bevölkerung nicht. Was ist also die Wahrheit? Warum spreche ich trotz der derzeit stattfindenden Einfuhr von Handelsgütern immer noch von einer Hungersnot?

Zwei Jahre Krieg haben die meisten Menschen ihrer Arbeit und ihrer Einkommensquelle beraubt, sodass sie sich keine Lebensmittel von den Märkten leisten können. Kostenlose Hilfsgüter sind kaum verfügbar, sie müssen sich alles Benötigte selbst kaufen. Manche Menschen, die bei internationalen Organisationen beschäftigt und durch ihre hohen Gehälter vor den steigenden Kosten geschützt sind, leben einfach weiter. Ebenso Menschen, die Spenden für sich und andere sammeln und sich deshalb ebenfalls die hohen Preise leisten können. Wer kein Geld hat, hat weiter Hunger.

Die Preise für Waren sind aufgrund der vom Militär erhobenen Gebühren und der Gier der Händler außerordentlich hoch – ein Vielfaches ihres normalen Wertes: Ein halbes Kilo Käse, das vor dem Krieg zwei US-Dollar kostete, kostet jetzt 9 US-Dollar. Ein 25-Kilo-Sack Mehl, der früher 7 Dollar kostete, kostet jetzt 100 Dollar – und das ist der Preis von vor zwei Tagen. In den letzten fünf Monaten gab es Zeitpunkte, zu denen er für 500 Dollar verkauft wurde. Das gibt eine Vorstellung davon, wie extrem diese Preissteigerungen – für Güter, die nur die Grundbedürfnisse befriedigen – sind.

Ich arbeite als Lehrer für kreatives Schreiben für Kinder. Und ich schreibe Tagebücher für die taz. Damit kommt etwas Geld für mich und meine Familie zusammen – doch es reicht nicht. Wir leben von einer Mahlzeit am Tag. Oft gehe ich hungrig zur Arbeit, um diese eine Mahlzeit aufzuheben, damit ich am Abend mit halbwegs gefülltem Magen einschlafen kann.

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Esam Hani Hajjaj (29) kommt aus Gaza-Stadt und ist Schriftsteller und Dozent für kreatives Schreiben für Kinder. Nach Kriegsausbruch ist er innerhalb des Gazastreifens mehrfach geflohen.

Internationale Jour­na­lis­t*in­nen können seit Beginn des Kriegs nicht in den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen wir Stimmen von vor Ort ein. Es erscheint meist auf den Auslandsseiten der taz.

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4 Kommentare

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  • Korrektur:

    Laut UNICEF und IPC



    sind aktuell über 500.000 Menschen nur in Gaza Stadt von einer Hungersnot (höchste Stufe) bedroht.

    www.unicef.de/info...lernaehrung/350376

    Bis Ende September könnte diese Zahl auf 640.000 ansteigen, wobei dabei je nach dem zugrunde gelegten Modell (also jeweils 15% oder 25% der Kinder die konkret bedroht wären, und deren Anteil bei der sehr jungen Bevölkerung sagen wir mal bei 25% läge ) dann ca 25.000 oder 40.000 Kinder konkret vom Hungertod bedroht wären ❗

  • Bestürtzend.....

    Da fehlen mir erstmal die Worte und ich wage es kaum mich für diesen Artikel zu bedanken

    Ich wünsche mir, neben einem sofortigen Ende dieses Krieges und der Bedingungslosen Öffnung der Grenzen zur Nahrungsmittel-Versorgung, aber auch für Treibstoffe für Generatoren von den zb noch wenigen verbliebenen Krankenhäusern & Not-Lazaretten.. etc

    auch

    das alle Kommentatoren.... dies (und andere entsprechende Schilderungen) lesen und auch WIRKLICH zur Kenntnis nehmen, die einer eher israelisch geprägten Sicht folgen, um es vorsichtig zu formulieren

    Mich machen diese Zustände sehr traurig und wütend auf die dt Regierung, die immer noch auf Seiten der Verursacher dieses Verbrechens steht

    Und kommt mir dabei nicht mit dem 7.10...

    Das war ein in keinster Weise zu rechtfertigender bestialischer Überfall der Hamas auf zudem Unschuldige❗

    Aber wie Bitte, soll man dem kleinen hungerndem Mädchen auf dem Foto und Hunderttausenden anderen solchen Kindern in Gaza erklären, dass sie jetzt dafür zu leiden, und schlimmsten Falls, wenn es so weiter geht, zu Sterben haben ❓❓

    Und wie ist es mit der Meinungsfreiheit dazu in Deutschland, die "Wahrheit" zu benennen❓

  • Und was sagt unsere Regierung dazu: "Die Sicherheit Israels ist Staatsräson!"



    Und ich sitze hier in Sicherheit und balle ohnmächtig die Fäuste!

  • Und worüber regen wir uns hier auf? Dass die Bahn zu oft Verspätung hat? Dass es nicht genug Parkplätze in der Stadt gibt? Dass der Urlaub teurer geworden ist? Dass die Spritpreise für unseren SUV zu hoch sind? Ach was sind wir doch arm dran....