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die eine frageFehlt nur noch Hausmusik mit Laschet

Ist der Wahlkampf ein konterrevolutionärer Versuch, die ökologische Aufklärung zu stoppen?

Foto: Anja Weber

Peter Unfried

ist taz-Chef­reporter

Wenn die SPD – für die Generation Z: das war in den vorigen Jahrhunderten eine wichtige Volkspartei – sich als „progressive Kraft“ bezeichnet oder behauptet, sie wolle eine „progressive Regierung“ anführen, muss ich immer weinen. Erstens ist die SPD weiß Gott keine progressive Kraft, zweitens gibt es seit Jahrzehnten minimales Interesse daran, dass sie eine Regierung anführt, und drittens brauchen wir keine „progressive“ Regierung im überholten Sinne dieses Wortes.

Ich sage das, weil wir mitten in einem Wahlkampf der Illusionen sind, und der nächste mediengesellschaftliche Spin darin besteht, dass vielleicht doch der SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz der Richtige sein könnte. Logik: Er war und ist zwar unten, aber nun sind nach SPD-Wahrnehmung die Mitbewerber Laschet und Baerbock an ihm vorbei nach Noch-weiter-unten gerauscht; also ist Scholz’ Unten das neue Oben. Jetzt noch die Linkspartei-Mumie beleben und die Grünen mit der unfreiwilligen Hilfe ihrer Spitzenkandidatin zur emanzipatorischen Öko-App zurückschrumpfen, und dann wird’s aber so was von progressiv!

Dabei will ich nicht bestreiten, dass die Sozialdemokratie in der alten Bundesrepublik gemäßigt progressiv war und sich damit große Verdienste erworben hat, aber heute könnte die SPD genauso „knorke“ sagen und als „knorke Kraft“ eine „knorke Regierung“ anführen wollen.

Wer 2021 den Fortschritt immer noch im alten Sozialmodus sucht, also später Kohleausstieg und niedriger CO2-Preis, der ist vielleicht gegenwarts-sozial, ganz sicher aber reaktionär. Das sage ich nicht so daher: Fortschritt im Weiter-so ist der konterrevolutionäre Versuch, die ökologische Aufklärung zu stoppen. Das ist es, was wir im Wahlkampf bisher erleben: Biedermeier-Inszenierungen. Ich will überhaupt nicht bestreiten, dass es lagerübergreifende Biedermeier-Sehnsucht in der Gesellschaft gibt, aber Franziska Giffeys antifreiheitlicher Autofahrer-Wahlkampf in Berlin ist eine groteske Verhöhnung der Problemlage. Fehlt nur noch, dass Armin Laschet der Klima­krise mit Hausmusik begegnen will.

Nun gibt es graduelle Unterschiede zwischen den beiden derzeitigen Regierungsparteien, aber beiden und im Grunde allen Parteien gemeinsam ist die absurde Idee, die fortschreitende Erderhitzung ließe sich in die jeweilige politische Ideologie einpreisen und mit dem jeweiligen parteipolitischen Inventar-Denken lösen. Oder einfach wegreden.

Symptomatisch dafür ist die Reaktion auf das 100-Tage-Klimapolitik-Sofortprogramm der Grünen. Statt Gegenvorschläge zu machen, stürzt sich die politische Konkurrenz auf eine Formalie, ein Vetorecht eines neuen Klimaministeriums. Das wird dann schön mit der Großideologie-Keule attackiert („staatsautoritär“), um nicht über das reale institutionelle Problem sprechen zu müssen, dass nämlich das machtlose Umweltministerium in seiner jetzigen Ausgestaltung nicht funktionieren kann und es auch nicht soll.

Robert Habeck hat in dieser Woche bei Sandra Maischberger nach dem üblichen Slalom um den gruseligen People-Journalismus (ob nicht Baerbock blöd ist und er toll und so weiter) Folgendes gesagt: „Es wird krasser werden und wir reden einzig und allein darüber, die Erderwärmung so zu verlangsamen, dass wir uns als Menschen anpassen können, dass wir in der Lage sind, unsere Städte, unser Leben so zu schützen, dass wir nicht katastrophale Zustände haben.“

Da trat für einen Augenblick die Wirklichkeit in den Wahlkampf.

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