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Gerechtigkeit verlangt Öffentlichkeit. Das ist aber gerade bei Sexualstraftaten ein Problem – für alle Beteiligten. Wie der Fall des Regisseurs Dieter Wedel zeigt

Foto: Anja Weber

Bettina Gaus

ist politische Korrespondentin der taz

So viel Sicherheit und Selbstgerechtigkeit, moralisch und juristisch. Allüberall. Dabei weisen die Anschuldigungen, der Regisseur Dieter Wedel habe Sexualstraftaten begangen, doch vor allem auf eines hin: dass das Rechtssystem nicht allen Beteiligten gerecht werden kann. Und dass es tragische, nicht auflösbare Konflikte gibt.

Der Fall ist traurig, egal, wer die Wahrheit sagt und wer nicht. Leben wurden zerstört. Wenn die Vorwürfe gegen Wedel stimmen, dann sind mehreren Frauen traumatisierende Verletzungen zugefügt worden. Von einem Mann, der jetzt nach einem Herzanfall im Krankenhaus liegt und beruflich nie mehr auf die Beine kommen wird.

Wenn die Vorwürfe stimmen? Ist die Frage überhaupt erlaubt? Ja. Sie ist geboten. Es ist wahr, dass Frauen allzu oft erniedrigt und der Lüge bezichtigt wurden, wenn sie sich öffentlich gegen sexualisierte Gewalt zur Wehr setzten. Wahr ist auch, dass eine Anzeige wegen Vergewaltigung etwas anderes ist als eine Anzeige wegen Autodiebstahls. Niemand hat das Recht, Frauen einen Vorwurf daraus zu machen, wenn sie lange brauchen, um ein sehr persönliches Erlebnis staatlich ahnden lassen zu wollen.

Das bedeutet aber nicht, dass Frauen blind geglaubt werden muss. Oder dass jede Unterstellung der Lüge sexistisch wäre, weil Frauen unfähig wären, sich zu gemeinsamen Falschaussagen zu verabreden.

Um es klar zu sagen: Ich glaube nicht, dass die Frauen lügen, die Wedel jetzt beschuldigen. Mir scheinen die Vorwürfe plausibel zu sein.

Aber ich bin keine Richterin und meine persönlichen Gefühle waren bisher nicht der Maßstab für Rechtsprechung. Das fand und finde ich erfreulich.

Im Archiv des Saarländischen Rundfunks lagern Papiere, die die Vorwürfe gegen Wedel zu belegen scheinen. Schon ist von „Vertuschung“ die Rede. Wenn es doch nur so einfach wäre.

Was wir bisher wissen: Es ging um Geld. Eine Schauspielerin erklärte, Opfer einer Sexualstraftat geworden zu sein und deshalb nicht mehr arbeiten zu können. Infolge der Neubesetzung der Rolle und entsprechender Verzögerung der Produktionszeit drohten Schadenersatzforderungen. Der Frau blieb also gar nichts anderes übrig, als ihrer Arbeitgeberin die – von ihr behaupteten – Gründe für ihren Abschied vom Set zu offenbaren. Das ist nicht dasselbe wie der Wunsch, die Geschichte in der Bild-Zeitung nachzulesen. Ihre Bitte um Vertraulichkeit mindert ihre Glaubwürdigkeit also nicht.

Aber was hätte die Produktionsfirma denn tun sollen? Gegen den Willen der Betroffenen zur Polizei gehen? Auf einem Prozess bestehen? Oder einen Regisseur aufgrund einer einzelnen Aussage einfach zu feuern?

Wenn ich mich in die Situation der Schauspielerin hineinversetze: Dann hätte ich es als eine massive Verletzung meiner Persönlichkeitsrechte empfunden, wenn meine Arbeitgeberin derlei Vorwürfe ohne mein Einverständnis öffentlich gemacht hätte. Wenn ich mich aber andererseits in die Situation von Dieter Wedel versetze: Dann fände ich es ungeheuerlich, wenn ich – ohne Gerichtsverfahren – meinen Job verlöre, nur aufgrund einer unbewiesenen Beschuldigung.

Es ist in all dem Elend ein großes Glück, dass zumindest eine der mutmaßlichen Straftaten nicht verjährt ist, die Staatsanwaltschaft also ermittelt. Vielleicht gibt es eine Verurteilung, vielleicht nicht. Das wäre zumindest eine klare Aussage. Im Unterschied zu allen „gefühlten“ Urteilen. Aber, nein: Nicht einmal das wäre eine Antwort auf alle Fragen. Leider.

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