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die dritte meinungDer Westen hat die Grundlage für den Angriff auf Afrin mit gelegt, sagt Elias Perabo

Elias Perabo

ist Politikwissenschaftler und hat 2011 die deutsch-syrische Initiative „Adopt a Revolution“ gegründet, die den unbewaffneten Widerstand in Syrien unterstützt.

Panzer aus deutscher Herstellung, gefahren vom türkischen Militär, rollten gestern durch das Zentrum von Afrin. Doch der Westen und Deutschland tragen nicht nur deshalb massive Mitschuld an dem Angriffskrieg der Türkei. Selbst die schlimmsten Kriegsverbrechen in Syrien wurden während der letzten sieben Jahren geduldet. Diese absolute Straffreiheit hat erst die Grundlage für den türkischen Krieg geschaffen. Dass Ankara ohne jede Konsequenz auf internationales Recht pfeifen kann, wäre auch losgelöst von den Veränderungen in der Türkei kaum denkbar gewesen.

Doch der UN-Sicherheitsrat und die EU haben es zugelassen, dass in Syrien einzig das Recht des Stärkeren herrscht und internationale Konventionen nichts gelten. Seit sieben Jahren sieht der Westen dabei zu, wie jedes nur erdenkliche, aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs erwachsene UN-Abkommen zur Einhegung des Krieges oder zum Schutz von Zivilisten gebrochen wird. Belagerungen, Chemiewaffen, systematischer Bombenterror gegen zivile Infrastruktur wie Krankenhäuser, Massenmord in den Gefängnissen, Vertreibungen, geächtete Brand-, Fass-, Streubomben.

Alles das blieb ohne Konsequenzen, denn Russland hielt dem Assad-Regime den Rücken frei, blockierte den Weltsicherheitsrat mit seinen Vetos. Das gegenüber der Zivilbevölkerung verstörende rücksichtslose Vorgehen des Westens gegen den „Islamischen Staat“ wiederum ließ dessen Kritik am syrischen Staatsterror hohl und opportunistisch wirken. So wurden all die mühsam errungenen internationalen Verträge ausgehöhlt und sinnentleert.

Mittlerweile bleibt nur noch eines übrig: Retten, was noch zu retten ist. Dazu müsste Europa allerdings endlich und massiv das kurdische Projekt im Nordosten Syriens unterstützen und alles daran setzen, Kriegsverbrechen zu ahnden – ob in Afrin, Ghouta oder Rakka. Es liefert lieber Waffen und verstärkt seine Mitschuld an der weiteren Aushöhlung der internationalen Ordnung – mit potenziell gravierenden Folgen für uns alle.

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