debatte: Der scheinbare Zickzackkurs
Trumps Russlandkurs ist kontinuierlicher als es scheint. Der US-Präsident will den Krieg beenden, um sich dem eigentlichen Feind zuzuwenden: China
Um Donald Trumps Politikstil im internationalen Bereich zu beschreiben, hat sich längst das Adjektiv „erratisch“ eingebürgert. So scheint auch Trumps Wende in der Ukraine-Politik zu dieser Charakterisierung zu passen: Während der US-Präsident zuvor auf Kremlchef Wladimir Putin zuging, territoriale Veränderungen der Ukraine im Austausch für Frieden befürwortete und der NATO-Mitgliedschaft Kyjiws eine Absage erteilte, scheint er nun eine Kehrtwende hinzulegen. Er meint, „dass die Ukraine mit der Unterstützung der Europäischen Union in der Lage“ sei, die Gebiete zurückerobern, die Russland momentan besetzt hält. Ein geplantes Treffen mit Putin sagte er am Dienstagabend kurzerhand ab. Es sei „Zeitverschwendung“.
Trump billigte zudem die Bereitstellung von umfassenderen US-Geheimdienstinformationen für Angriffe auf russische Energieeinrichtungen und stellte die Lieferung von Tomahawk-Marschflugkörpern in Aussicht. Erklärt wird der Zickzackkurs oft damit, dass Trump auf den jeweils letzten Rat höre, den er erhalten hat – und der stammt vom ukrainischen Präsidenten Volodymyr Selenskyj sowie von den europäischen Staats- und Regierungschefs. Implizit heißt das: Trump verhält sich wie ein Fähnchen im Wind und kann eigenständig nicht bis drei zählen.
Doch mehrere Aspekte werden dabei außer Acht gelassen. Erstens besteht Trumps Absicht darin, seine politischen Gegner und Feinde im Ungewissen zu lassen, nach dem Prinzip: Alles ist möglich, weil er die Macht dazu hat. Zweitens gehört es zu seiner Strategie, fortlaufend die Weltaufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Drittens steckt in Trumps Ukraine-Politik – und das ist hier der zentrale Punkt – durchaus eine gewisse Kontinuität, insbesondere hinsichtlich der Bedrohungsanalyse Russlands und der übergeordneten Strategie, die (militärischen) Ressourcen auf die Eindämmung Chinas zu konzentrieren.
Im Gegensatz zu den meisten Europäern hält die Trump-Regierung Russland nicht für eine ernstzunehmende Bedrohung. Deutlich wurde das bei J. D. Vances Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2025, wo der US-Vize-Präsident die Angst vor Russland schon fast ins Lächerliche zog, indem sie ihm kaum eine Erwähnung wert war. Deutlich wurde das auch, als Trump beim Besuch von Friedrich Merz im Oval Office im Juni 2025 den russisch-ukrainischen Krieg als einen „Streit zwischen zwei kleinen Kindern“ bezeichnete. Und bei Trumps jüngstem Post auf Truth Social degradierte Russland zum „Papiertiger“.
Unter der Annahme, dass Russland keine „echte Militärmacht“ (Trump) sei, verfolgte Washington anfänglich die Strategie, auf die Großmachtsehnsüchte Putins und der russischen Elite ein Stück weit zuzugehen, um sich in Zukunft auf die wichtigere Herausforderung, nämlich China, fokussieren zu können. Wenn Trump etwas von Politik versteht, dann darauf, wie Menschen mit viel Macht und Ego ticken.
Trump hat Putin wortwörtlich in Alaska eine Bühne gegeben, um ihn zumindest als zweitrangige Großmacht anzuerkennen, auf dass in der Ukraine Ruhe einkehre. Offensichtlich darum bemüht, den verletzten Stolz Putins und der russischen Elite über den nach dem Kalten Krieg geschrumpften Status seines Landes zu lindern, wertete Trump in einem Interview mit Fox News nach dem Alaska-Treffen Russlands Rolle in der globalen Hierarchie auf: „Wir sind die Nummer 1, und sie sind die Nummer 2 in der Welt.“
„Ein entscheidender russischer Sieg“, so der (eher noch moderate) Chefredakteur des russischen Think-Tanks Russia in Global Affairs, „würde Moskaus Platz als Großmacht in einer multipolaren Welt festigen. Doch wenn Russland diesen Moment nicht nutzt – wenn es in die Falle eines neuen westlichen Engagements tappt –, riskiert es, seine strategischen Gewinne zu verlieren.“ Diese Ansicht vertritt offensichtlich auch Putin, weshalb er Trumps „großzügiges Angebot“ (Marco Rubio) abblitzen ließ und den Großmachstatus und den damit assoziierten Einflussbereich im „nahen Ausland“ militärisch manifestieren will.
Trump empfindet hingegen das in seinen Augen ignorante Verhalten Putins ihm gegenüber als Demütigung. Größenwahnsinnig wie Trump ist, wollte er schließlich den Krieg im Handumdrehen beenden und dadurch seine Weltmachtgeltung demonstrieren, nach dem Credo: „Peace through strength“, Friedensnobelpreis inklusive.
Die Crux ist: Russland wird diesen Krieg nicht zu Bedingungen beenden, die seinen geopolitischen Interessen zuwiderlaufen. Und die Trumpisten betonten immer wieder, dass die USA ihr Geld nicht für die Unterstützung der Ukraine verschwenden sollen, während „die gefährlichere und größere Bedrohung von den Chinesen ausgeht“, wie der stellvertretende US-Verteidigungsminister Elbridge Colby es ausdrückt.
In diesem Sinne ist der Anteil der militärischen Ukraine-Unterstützung unter der derzeitigen Trump-Administration „verschwunden“, bilanziert Laura Cooper, eine ehemalige Beamtin im Pentagon, gegenüber der New York Times. Stattdessen verkündete das US-Verteidigungsministerium im April, seine Truppen in Zukunft vorrangig für Einsätze gegen Chinas auszubilden und auszurüsten. Trump ist zwar bereit, an europäische Nato-Staaten Waffen zu liefern, die sie an Kyjiw weitergeben können, aber Europa muss zahlen.
Ebenso dürfte der Druck Trumps auf Europa, sämtliche Öl- und Gasimporte aus Russland zu unterbinden, die Kassen in den USA füllen – die Alternative wären schließlich teure Energieträger aus den USA. Viel hat sich also durch die Wende in Trumps Ukraine-Politik bisher nicht geändert: Putin führt seinen brutalen Krieg gegen die Ukraine weiter; Trump richtet den Fokus auf China und ringt um die globale Vormachtstellung, die er vor allem durch ökonomische Stärkung wahren will.
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